Projekt Snowflake: Wie Zensurmaßnahmen im Netz umgangen werden können

Stand: 27.09.2022, 10:46 Uhr

Die Zensurmaßnahmen im Internet nehmen in Ländern wie dem Iran oder Russland dramatisch zu. Mit einer kleinen Software namens "Snowflake" können sie umgangen werden. Wie das funktioniert, erklärt WDR-Digitalexperte Jörg Schieb.

In autokratischen Ländern wie China, Russland oder aktuell dem Iran schränken die Mächtigen häufig die Möglichkeiten ein, frei im und über das Internet zu kommunizieren. Im Iran werden dazu nicht nur immer wieder gezielt die Mobilfunknetze gedrosselt oder sogar heruntergefahren, sondern auch Dienste wie Instagram oder WhatsApp komplett blockiert. Nach den jüngsten Protesten im Iran ist genau das passiert.

Youtube, Twitter und Facebook sind im Iran schon lange abgeriegelt. Seit einigen Tagen nun auch WhatsApp und Instagram, das zuletzt im Iran fast 80 Prozent der Menschen benutzt haben. Ein Zugang zu unzensierten Informationen wird dadurch erheblich erschwert.

Auch VPN-Dienste werden immer öfter blockiert

Häufig helfen in solchen Situationen Werkzeuge wie VPN-Dienste (Virtual Privat Network). Sie erlauben in vielen Fällen das Umgehen von Zensurmaßnahmen und Blockaden, indem über eine Verbindung ins Ausland - also indirekt und somit um die Blockaden herum - Dienste wie Twitter oder auch Webseiten angesprochen werden. Durch den "Umweg" bleibt der Zugriff für die Zensurmaßnahmen unsichtbar.

Auf diese Weise lassen sich vergleichsweise einfach und effektiv Zensurmaßnahmen und Blockaden umgehen. Allerdings wissen die autokratischen Regierungen mittlerweile um solche Hilfsmittel - und versuchen, auch diese zu blockieren. Was zwar aufwändig, aber keineswegs unmöglich ist.

"Snowflake" ermöglicht Zugang zum Tor-Netzwerk

Doch es gibt mittlerweile eine effektive Gegenmaßnahme. Eine Erweiterung namens "Snowflake" (Schneeflocke) für den bekannten "Tor-Browser" erlaubt Menschen im Iran ebenfalls, Blockaden zu umgehen. Kostenlos.

Die Erweiterung verrät, wie viele Menschen in den letzten 24 Stunden die eigene Bandbreite genutzt haben.

Der Tor-Browser erlaubt anonymes Surfen im Netz und ermöglicht Zugang zum Darknet. Während in Deutschland das Darknet als Hort krimineller Aktivitäten bekannt ist, stellt es in Ländern wie Iran eine wichtige Möglichkeit zur Kommunikation bereit.

Erweiterung im Browser installieren

Wer hier in Deutschland die Erweiterung "Snowflake" in seinem Browser installiert (derzeit für Chrome und Firefox verfügbar), eröffnet quasi eine virtuelle Startrampe für Menschen im Iran. Diese Startrampe befindet sich - unsichtbar - auf dem eigenen Rechner.

Darüber können dann Menschen im Iran (oder einem anderen Land mit blockierten Netzangeboten) ins Tor-Netzwerk einsteigen und völlig anonym im Netz surfen. Auch wenn das etwas kompliziert klingt: Der Tor-Browser erledigt die ganze Arbeit. Die Menschen im Iran müssen auch nicht wissen, wer im Westen "Snowflake" installiert hat. Ein "Broker" findet heraus, wo Snowflake installiert und aktuell aktiv ist – und stellt automatisch die Verbindung her. In Sekundenbruchteilen.

Der Vorteil dieser Vorgehensweise: Da jeder Rechner, auf dem die Erweiterung "Snowflake" installiert ist, nun plötzlich zum Tor-Netzwerk gehört, gibt es derart viele IP-Adressen als Einstiegsrampe - auch von Privatleuten -, dass eine Blockade all dieser "Gateways" für die Mächtigen in Iran, Russland und Co. praktisch unmöglich ist.

Einsatz des Tor-Netzwerks legal

Dieses Verfahren funktioniert freilich nur so lange, wie es überhaupt Zugang zum Netz gibt. Das Mobilfunknetz wird aktuell im Iran regelmäßig gestört, teilweise sogar blockiert. Doch der reguläre Netzzugang ist derart wichtig, dass eine komplette Abschaltung eher unwahrscheinlich ist.

Der Zugang zum Tor-Netzwerk und das Installieren der Snowflake-Erweiterung ist in Deutschland legal. Wer Snowflake installiert, teilt einen Teil seiner Bandbreite mit Menschen in Ländern wie Iran. Selbstverständlich kann Snowflake jederzeit deaktiviert werden - etwa, wenn man die Bandbreite selbst fürs Arbeiten benötigen. Ist der Rechner im Standby oder ausgeschaltet, arbeitet Snowflake auch nicht mehr.

Ein Klick auf das Schneeflocken-Symbol reicht, schon verrät das Plugin, wie viele Menschen in den letzten 24 Stunden die Verbindung genutzt haben.

Über den Autor

Jörg Schieb, WDR-Digitalexperte.

WDR-Digitalexperte Jörg Schieb

Jörg Schieb, Jahrgang 1964, ist WDR-Digitalexperte und Autor von 130 Fachbüchern und Ratgebern. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Digitalisierung und deren Auswirkungen auf unseren Alltag.

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