Marder: Was neue Panzer für die Ukraine bedeuten

Stand: 06.01.2023, 16:35 Uhr

Deutschland liefert nach langem Zögern mehr schwere Waffen an die Ukraine. Können Schützenpanzer "Marder" und das Patriot-Luftabwehrsystem den Verlauf des Krieges beeinflussen? Und was bedeutet die Lieferung für Deutschland?

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für die angekündigte Lieferung des Patriot-Flugabwehrsystems und von Schützenpanzern Typ Marder gedankt. "Wir werden noch ein Patriot-System und mächtige Panzertechnik bekommen, das ist wirklich ein großer Sieg für unseren Staat", sagte Selenskyj in seiner täglichen Videoansprache in der Nacht zum Freitag.

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Deutschland hatte lange gezögert, der Ukraine schwere Waffensysteme zur Verfügung zu stellen - insbesondere Bundeskanzler Scholz hatte stets vor einer "Eskalation" gewarnt, die das westliche Bündnis direkt in den Konflikt verwickeln könnte.

Geht Deutschland also mit den Lieferungen ein Risiko ein? Was genau können die neuen Waffensysteme? Und können sie einen echten Unterschied für den weiteren Kriegsverlauf bedeuten? Fragen und Antworten.

Um welche Waffensysteme geht es?

Deutschland wird der Ukraine bis zu 40 Schützenpanzer des Modells "Marder" liefern. Sie stammen vom Düsseldorfer Rüstungsunternehmen Rheinmetall. Der wichtigste Unterschied zu ausgewiesenen Kampfpanzern wie dem Leopard 2 besteht in der Bewaffnung der Kettenfahrzeuge. Schützenpanzer sind serienmäßig nur mit einer vergleichsweise leichten Kanone bestückt. Allerdings kann die Besatzung im Gefecht aus dem Fahrzeug heraus schießen und ist dabei durch die Panzerung gut geschützt.

Besonders der letzte Punkt ist für das ukrainische Militär wichtig: Denn aus Mangel an gepanzerten Fahrzeugen müssen Soldaten aktuell häufig in offenen Pickups an die Front gebracht werden - was sie im Fall eines Angriffs einem besonderen Risiko aussetzt.

Auch wenn Marder-Schützenpanzer offiziell nicht als ausgesprochene Offensiv-Waffen angesehen werden: Sie dienen nicht nur der Verteidigung. Zum Beispiel können sie auch mit panzerbrechenden Lenkflugwaffen ausgestattet werden. Das gilt übrigens auch die sogenannten "Spähpanzer" des Typs AMX-10 RC, die Frankreich der Ukraine überlassen will: Diese Radpanzer verfügen mit ihren 105-mm-Kanonen noch über eine weit größere Feuerkraft als der Marder.

Das Flugabwehrsystem Patriot ist hingegen eine defensiv ausgerichtete Waffe. Die mobile Raketen-Abschussrampe kann Flugzeuge, taktische ballistische Raketen und Marschflugkörper noch im Anflug zerstören. Angesichts der massiven russischen Luftangriffe der vergangenen Wochen können zusätzliche Patriot-Systeme ein echter Gewinn für die ukrainische Landesverteidigung sein.

Können die neuen Waffen den Kriegsverlauf wirklich beeinflussen?

Nach Ansicht des Militärexperten Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr München stellen die neuen Waffen für die Ukraine einen echten taktischen Vorteil dar - auch im Hinblick auf die geplante Gegenoffensive im Frühling. Der Schutz der eigenen Streitkräfte sei durch den Marder "wesentlich verbessert", sagte Masala am Donnerstag dem ZDF. "Durch den französischen Spähpanzer kann das gegebenenfalls dann auch nochmal feuermäßig abgesichert werden."

Hingegen sagte der Journalist für Wehrtechnik, Thomas Meuter, dem WDR am Freitag, der Marder sei kein "Game-Changer": "Er ist erstens viel zu alt dafür und zweitens von der Konstruktion eher ein Kind der 70er-Jahre."

Ein weiterer wichtiger Punkt: die Ausbildung der ukrainischen Soldaten an den neuen Waffen. "Zeit ist der kritische Faktor", warnt Masala. "Die Ausbildung muss schnell erfolgen, das Gerät muss schnell in die Ukraine kommen." Denn nicht nur die Ukraine plane eine große Frühlingsoffensive, auch die russische Seite.

Läuft Deutschland Gefahr, in den Krieg hineingezogen zu werden?

Auch wenn die meisten Sicherheitsexperten es für sehr unwahrscheinlich halten, dass Russland eine direkte Auseinandersetzung mit der NATO riskieren würde - völlig ausgeschlossen ist eine Eskalation des Konflikts nicht. Es gibt keine von allen Seiten akzeptierte Definition, ab welchem Ausmaß der militärischen Hilfe ein Staat als "Kriegspartei" betrachtet wird. Diese Entscheidung liegt allein bei der russischen Regierung.

Offenbar teilen viele Bundeswehr-Soldaten diese Sorge. Nach Angaben des Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben ist die Zahl der Kriegsdienstverweigerer in der Bundeswehr stark gestiegen. Im Jahr 2021 gab es demnach 201 Anträge, im Jahr 2022 schon 951.

Wie reagiert Russland auf die angekündigten Marder-Lieferungen?

Die russische Botschaft in Berlin hat mit scharfer Kritik auf die Entscheidung Deutschlands zur Lieferung von Schützenpanzern und eines Patriot-Luftabwehrsystems an die Ukraine reagiert.

"Entschieden verurteilen wir diesen Beschluss und betrachten ihn als einen weiteren Schritt hin zur Konflikteskalation in der Ukraine." Russische Botschaft in Berlin

Man betone erneut, dass die Lieferungen tödlicher und schwerer Waffen "die moralische Grenze darstellen, die die Bundesregierung hätte nicht überschreiten sollen", schrieb die Auslandsvertretung am Donnerstag auf ihrer Internetseite.

Die Botschaft warf Deutschland und dem "kollektive(n) Westen" vor, kein Interesse daran zu haben, "eine friedliche Konfliktlösung zu suchen". Die Entscheidung Berlins, schwere Waffen zu liefern, werde die deutsch-russischen Beziehungen gravierend beeinträchtigen.

Was sagt die Friedensbewegung?

Es ist ziemlich still geworden um die einst so starke Friedensbewegung in Deutschland. Einst betrachteten sich die Grünen als Vertreter des deutschen Pazifismus - spätestens seit dem russischen Überfall auf die Ukraine hat in großen Teilen der Partei ein Umdenken eingesetzt.

Joachim Schramm

Joachim Schramm, Deutsche Friedensgesellschaft

Doch verschwunden ist die Friedensbewegung natürlich nicht - und sie hat klare Ansichten zu den neuen Waffenlieferungen: Selbst hohe Militärs seien mittlerweile davon überzeugt, dass der Ukraine-Krieg militärisch nicht zu gewinnen sei, sagte zum Beispiel Joachim Schramm von der Deutschen Friedensgesellschaft dem WDR am Freitag:

"Uns geht es um die humanitäre Sicht auf den Konflikt." Joachim Schramm, Deutsche Friedensgesellschaft

Jeder Tag des Krieges koste Menschenleben, sowohl von Soldaten als auch von unschuldigen Zivilisten, so Schramm. Wenn ohnehin abzusehen sei, dass der Krieg nur am Verhandlungstisch beendet werden könne, gebe es nur einen logischen Schluss: "Verhandlungslösung so früh wie möglich."

Das Argument, dass angesichts der russischen Kriegsverbrechen mit Putin nicht verhandelt werden könne, lässt Schramm nicht gelten. In der Vergangenheit habe man immer wieder mit Regimen verhandelt, die "nicht sympathisch" waren.

Bleibt es jetzt dabei? Oder liefern wir bald auch Kampfpanzer?

Das zumindest fordern einige Vertreter der Regierungskoalition: "Ich würde mir wünschen, dass als Hauptherstellungsland von Leopard 2 wir eine europäische Initiative starten für die Lieferung von Leopard 2 und gemeinsam mit Europa schauen, was wir alles der Ukraine liefern können, damit sie die besetzten Gebiete befreien können", sagte der Grünen-Europapolitiker Anton Hofreiter am Freitag im ARD-"Morgenmagazin".

In der deutschen Bevölkerung gibt es allerdings immer noch Vorbehalte gegen eine nahezu unbegrenzte militärische Hilfe der Ukraine. Im ARD-Deutschlandtrend erklärten rund ein Viertel der Befragten, die bisherigen Waffenlieferungen gingen "zu weit". Die Mehrheit von 41 Prozent sagte, die bisherige Hilfe sei angemessen - allerdings waren zum Zeitpunkt der Umfrage die neuen Zusagen an die Ukraine noch gar nicht bekannt.

Über dieses Thema berichten wir auch am Freitag ab 18.45 Uhr in der "Aktuellen Stunde" im WDR-Fernsehen.

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