Lecks an Nord-Stream-Pipelines: Was wir wissen - und was nicht

Stand: 19.10.2022, 12:55 Uhr

Die Pipelines Nord Stream 1 und 2 sind massiv beschädigt. Aufnahmen einer schwedischen Zeitung sollen ein risiges Loch zeigen. Auch die Bundesanwaltschaft ermittelt. Aber wer steckt dahinter?

An der massiv beschädigten Gas-Pipeline Nord Stream 1 klafft offenbar ein riesiges Loch von mindestens 50 Metern Länge. Das berichtet die schwedische Zeitung "Expressen" und beruft sich auf eigene Aufnahmen mit einer Unterwasserdrohne.

"Wir konnten mit der Drohne fast zehn Meter in die Pipeline hineinfahren", sagte Reporter Mattias Carlsson. Er war mit seinen Kollegen zu der Stelle in der Ostsee gefahren, wo Ende September plötzlich große Mengen Gas an die Meeresoberfläche geströmt waren. An diesem Abschnitt befinde sich überhaupt kein Rohr mehr, sagte der Journalist. "Es waren nur noch Fragmente aus Metall übrig." Die Aufnahmen sollen nun von Experten ausgewertet werden.

Bundesanwaltschaft ermittelt

Nach den Explosionen an den Gas-Pipelines Nord Stream 1 und 2 hat auch die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe nun Ermittlungen eingeleitet. Ein Sprecher der Behörde sagte, es bestehe der Verdacht "der vorsätzlichen Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion". Den Ermittlern zufolge liegen "zureichende Anhaltspunkte" vor, dass die beiden Gaspipelines durch mindestens zwei Detonationen "gezielt beschädigt" wurden. Es handele sich um einen schweren gewalttätigen Angriff auf die Energieversorgung. Dies sei geeignet, die äußere und innere Sicherheit Deutschlands zu beeinträchtigen.

Zuvor hatten Bundespolizei und Marine eine Aufklärungsmission mit Tauchern und Technik gestartet. Das geht aus einem Schreiben des Verteidigungsministeriums an den Verteidigungsausschuss des Bundestages hervor, das WDR und NDR vorliegt. Zwei Schiffe der Bundeswehr seien dafür in der Ostsee unterwegs.

Die Lecks an den Nord-Stream-Gaspipelines sind durch Angriffe entstanden. Davon gehen immer mehr Länder aus. Während die Suche nach den Tätern läuft, wird über die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt diskutiert.

Was bedeuten die Vorfälle für uns?

Deutsche und dänische Behörden weisen darauf hin, dass die Vorfälle keine Auswirkung auf die Gasversorgung hätten, da die Leitungen zuletzt nicht für den Gasimport genutzt worden seien. Laut Bundesnetzagentur geht die Befüllung der Gasspeicher kontinuierlich weiter. "Die Ereignisse ändern die Versorgungssituation nicht", sagte ein Sprecher.

Allerdings haben die Vorfälle Verunsicherung in die Gasmärkte gebracht. Nach wochenlangen Rückgängen war der Preis für europäisches Erdgas deutlich gestiegen und hatte die Marke von 200 Euro überschritten.

Wer ist für die Lecks verantwortlich?

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sitzt während einer Plenarsitzung auf seinem Stuhl, mit verschränkten Händen. Mit seinem Kopf stützt er sich auf den Händen ab und blickt nach unten.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne)

Es glaubt mittlerweile niemand mehr an einen Un- oder Zufall. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte, man wisse sicher, dass es "Attacken auf die Infrastruktur" gegeben habe. Auch Dänemark spricht von "absichtlichen Taten". Schweden sagt, es sei "grobe Sabotage". Als Folge haben Finnland, Schweden, Dänemark und auch Deutschland angekündigt, die Sicherheitsmaßnahmen um wichtige Infrastruktureinrichtungen zu erhöhen.

Auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg geht davon aus, dass es einen Angriff auf die beiden Gasleitungen gab. Am Mittwoch postete er ein Bild von sich mit dem dänischen Verteidigungsminister Morten Bodskov, mit dem er die "Sabotage diskutiert" habe.

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Auch für Frank Umbach, Experte für Energiesicherheit an der Universität Bonn, ist die Sache klar.

"Es ist eindeutig kein technischer Unfall oder Zufall gewesen. Warum? Die Lecks liegen teilweise 50 Kilometer auseinander, es sind fast gleichzeitig zwei Pipelines betroffen und es gab Unterwasser-Explosionen. Das alles spricht eindeutig dafür, dass es ein Sabotageakt war." Dr. Frank Umbach, Experte für Energiesicherheit Universität Bonn im WDR

Bei der Frage, wer dahinter steckt, halten sich die meisten Regierungssprecher noch bedeckt. Die Dänen sagen, dazu gebe es noch keine Informationen. Aus Deutschland heißt es bislang nur, dass es sich vermutlich nur um einen staatlichen Akteur handeln könne, der zu so etwas fähig ist.

Die ukrainische und die polnische Regierung sprechen dagegen das aus, was vermutlich auch viele andere denken: Sie machen Russland für die Angriffe verantwortlich. Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki sprach davon, dass es sich "wahrscheinlich um die nächste Eskalationsstufe" im Ukraine-Konflikt handele.

Auf der Hand liegt zwar, dass Russland ein Interesse daran haben könnte, Europa zu beweisen, dass man so etwas kann. Denn leckgeschlagene Pipelines sorgen für Unruhe bei Menschen und Märkten. Theoretisch habe Russland Möglichkeit und Motiv für eine Beteiligung, sagt auch Christian Mölling, Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

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Allerdings sind diese Theorien noch reine Spekulation. Solange man nicht sicher wisse, wer der Täter ist, machten auch die von EU-Seite angedrohten Sanktionen keinen Sinn, sagte Mölling dem WDR.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte, es sei "dumm und absurd" zu vermuten, dass Russland hinter den Lecks stecke. Die Lecks seien für Moskau "ziemlich problematisch", sagte er. Für den Sekretär des nationalen Sicherheitsrates, Nikolai Patruschew, sind die USA der "Hauptverdächtige", da das Land vor allem wirtschaftlich von den beschädigte Pipelines profitiere. Auf Anforderung Moskaus wird sich am Freitag der UN-Sicherheitsrat mit Nord Stream befassen.

Was hat die Eröffnung der Baltic-Pipeline von Norwegen nach Polen damit zu tun?

Die Baltic-Pipeline geht von Norwegen über Dänemark nach Polen und soll in den nächsten Tagen in Betrieb genommen werden. Die Pipeline hat eine hohe Bedeutung für die EU und insbesondere für Polen. Denn die Pipeline soll dafür sorgen, dass Polen endgültig unabhängig von russischen Gaslieferungen ist. Deswegen dürfte die Pipeline für Russland ein Störfaktor sein.

Außerdem brisant: Die geografische Lage der Baltic-Pipeline. Die verläuft südlich von Bornholm und kreuzt damit beide Nord-Stream-Pipelines. Die polnische Regierung hat sich bereits besorgt gezeigt und befürchtet, dass möglicherweise (auch) ein Sabotageakt auf die Baltic-Pipeline bevorstehen könnte.

Was für Auswirkungen haben die Lecks auf Umwelt und Klima?

Der Klimaschaden durch die Gaslecks ist offenbar größer als gedacht. Durch die Lecks ist Methan ausgeströmt, dieses ist 25-mal so klimaschädlich wie CO₂. Nach aktuellen Berechnungen des Umweltbundesamtes entspricht die Gasmenge 7,5 Mio. Tonnen CO₂-Äquivalent. Zum Vergleich: Das entspricht 1 Prozent der deutschen Gesamtemissionen pro Jahr. "Es gibt keine Abschottungsmechanismen an den Pipelines, daher wird aller Voraussicht nach der gesamte Inhalt der Röhren entweichen", so das Umweltbundesamt.

Die Deutsche Umwelthilfe kommt in ihren Berechnungen sogar auf mehr als 20 Mio. Tonnen CO₂-Äquivalent. Das Umweltbundesamt habe mit veralteten Werten gerechnet, so der Leiter Energie und Klimaschutz auf Twitter.

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Der Methan-Austritt aus den Lecks sei "natürlich klimapolitisch eine Katastrophe", sagte Frank Umbach, Forschungsleiter des Europäischen Clusters für Klima-, Energie- und Ressourcensicherheit an der Uni Bonn im ZDF.

Auch Lettland stuft die Lecks als "schwerwiegendsten Sicherheits- und Umweltvorfall" ein, wie der Außenminister des Landes Edgars Rinkevics auf Twitter schrieb.

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