Wüsts Fernbeziehung – wie der Ministerpräsident Japan entdeckt
Stand: 10.06.2023, 07:00 Uhr
Trotz Jetlag und Schlafmangel: Hendrik Wüst ist vier Tage durch Japan gereist und hat Verbindungen geknüpft. Er wolle so die Interessen von NRW im Ausland vertreten.
Von Jochen Trum
In dieser Woche war Hendrik Wüst als Handlungsreisender unterwegs. Vier volle Tage tourte der CDU-Politiker mit einer großen Delegation durch Japan, besuchte Tokio, Fukushima und Osaka. Ein Termin jagte dabei den nächsten, selbst hartgesottene Mitreisende bewunderten Wüst für sein Durchhaltevermögen. Jetlag, lange Tage, Schlafmangel als ständiger Weggefährte – und doch immer wieder Hände schütteln, Reden halten, konzentriert zuhören, keine Fehler machen. Eine Dienstreise nach Fernost ist anstrengend.
Beziehungen zur Wirtschaftsmacht
In der nordrhein-westfälischen Politik herrscht ein neuer Japan-Enthusiasmus. Und er scheint die frühere China-Euphorie abzulösen. Je schwieriger die Beziehungen zur Volksrepublik werden, lange Zeit das gelobte Land von deutscher Wirtschaft und Politik, desto mehr besinnt man sich wieder auf den alten Partner Japan. Der Inselstaat ist auch eine Wirtschaftsmacht, selbst wenn man sich aus deutscher Sicht nicht an ähnlich rasanten Wachstumsraten berauschen konnte, wie sie zuletzt für China typisch waren.
Da kommt es gelegen, dass NRW traditionell gute Verbindungen mit Japan hat. Düsseldorf, das Zentrum japanischen Lebens in Deutschland, spielt dabei eine wichtige Rolle. Allein in der Landeshauptstadt leben 7.000 Japaner, in ganz NRW sind es 11.000. Vor allem die 600 japanischen Unternehmen, die sich an Rhein und Ruhr niedergelassen haben, bezeugen das. Neun Milliarden Euro beträgt das Handelsvolumen. Das ist zwar deutlich weniger als mit China oder auch den Niederlanden, aber 16 Milliarden Euro an Direktinvestitionen, die aus Nippon nach NRW geflossen sind, sind nicht wenig.
Wüsts Formel vom Wirtschafts- und Wertepartner
Es geht also ums Geschäft. Aber nicht nur. "Wir haben durch den russischen Angriffskrieg gesehen, wie wichtig es ist, nicht nur Geschäfte zu machen", sagt Wüst, "sondern auch gemeinsame Werte zu teilen, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit." Das sei eine Riesenchance. Geradezu formelhaft spricht Wüst von der "Wirtschafts- und Wertepartnerschaft", wo immer er in Japan auftritt. Wüst arbeitet an der Erneuerung einer Fernbeziehung, so ließe sich seine Japan-Strategie auf den Punkt bringen.
Das zweite große Thema war die Energiepolitik. Denn Japan ist wie Deutschland ein Industrieland und abhängig von Energieimporten. Japan setzt auf grünen Wasserstoff aus Solarstrom, forscht an der Gewinnung ebenso wie an den Möglichkeiten der Speicherung. Da kann es sinnvoll sein, eng zusammenzuarbeiten. Eine weitere Parallele: Japan ist die älteste Industriegesellschaft, Deutschland statistisch nur etwas dahinter. Ähnliche Demographie, ähnliche Probleme, könnte die Kurzformel lauten. Soziale Isolation, Einsamkeit im Alter, darum kümmert sich Japan. Wüst will es zuhause auch, wie er in seiner Regierungserklärung im letzten Jahr angekündigt hatte.
"Hab’ aktuell nur eine Ambition"
Eigentlich, so heißt es, machen Ministerpräsidenten keine Neben-Außenpolitik. Das ist Sache des Bundes. "Genau mein Satz", sagt auch Wüst. Er möchte lieber von "Standortpolitik" sprechen. Und doch weiß er natürlich, dass, wer als Politiker hoch hinaus will, auch die internationale Bühne beherrschen muss. Es dürfte ihm zumindest schmeicheln, dass sein Name inzwischen öfter genannt wird, wenn es um eine mögliche Kanzlerkandidatur der Union geht. Das besagt aber noch nichts darüber, ob er das wirklich will. "Ich hab’ aktuell nur eine Ambition, mich voll reinzuhängen dafür, dass es Nordrhein-Westfalen gut geht", sagt er in Osaka. Und dazu gehöre auch, "unsere Interessen im Ausland zu vertreten."
Reisen bildet, heißt es. Vor allem in einem Land, das sehr traditionell geprägt ist, große kulturelle Unterschiede zu Deutschland aufweist und in dem viel Wert auf die äußere Form gelegt wird. Etwas steif und bürokratisch geht es hier für deutsche Maßstäbe bisweilen zu. Insofern ist dieser Trip für einen Handlungsreisenden am Ende auch eine Schule der Diplomatie.