Zum ersten Mal hat das NRW-Schulministerium eine landesweite Statistik zum Unterrichtsausfall veröffentlicht, die auf der Daten-Basis aller Schulen erstellt wurde. Demnach wurden im Schuljahr 2023/2024 insgesamt 4,8 Prozent der Unterrichtsstunden ersatzlos gestrichen.
Dies teilte am Mittwoch das NRW-Schulministerium mit. Eine vorläufige Auswertung hatte das Ministerium bereits im April veröffentlicht. Die nun vorliegenden Daten bestätigen weitestgehend die vorläufigen Zahlen.
Die Zahlen im Einzelnen
- Unterricht in planmäßiger oder in besonderer Form erteilt: 83,7 Prozent
- Unterricht gemäß Stundenplan: 77,5 Prozent
- Unterricht in besonderer Form: 6,2 Prozent
- Vertretungsunterricht bei unveränderter Lerngruppe: 8,1 Prozent
- Vertretungsunterricht bei veränderter Lerngruppe: 1,6 Prozent
- Distanzunterricht: 0,4 Prozent
- Eigenverantwortliches Arbeiten: 1,4 Prozent
- Ersatzloser Unterrichtsausfall: 4,8 Prozent
Der "Unterricht in besonderer Form" ist "verpflichtender Bestandteil des schulischen Bildungs- und Erziehungsauftrags", wie das Ministerium erklärt. Hierbei handelt es sich zum Beispiel um Schulfahrten, Exkursionen, Projekttage, Praktika, Wettbewerbe, Schul- oder Sportfeste. "Dies alles ist ein wichtiger Bestandteil des Schullebens und dem planmäßigen Unterricht im Klassenraum qualitativ gleichzusetzen." Beim "eigenverantwortlichen Arbeiten" widmen sich die Schülerinnen und Schüler ohne Aufsicht eigenständig einer Aufgabe. Das kann innerhalb oder auch außerhalb der Schule erfolgen. Diese Form des Unterrichts gibt es nur in der Sekundarstufe II.
Bei den Schulformen Gesamtschulen am stärksten betroffen
Betrachtet man, welche Schulform besonders vom ersatzlosen Unterrichtsausfall betroffen war, sticht die Gesamtschule hervor. Dort war es in der Sekundarstufe I insgesamt 7,8 Prozent, also drei Prozentpunkte mehr als der Durchschnitt.
Am niedrigsten waren die Ausfälle in der Sekundarstufe II der Gymnasien mit 2,8 Prozent. Dafür ist hier der Anteil des "eigenverantwortlichen Arbeitens" besonders hoch mit 11,5 Prozent. In der vergleichbaren Stufe an Gesamtschulen erfolgen sogar 13,2 Prozent des Unterrichts in Eigenverantwortung.
Die Gründe für den Ausfall
Laut Schulministerium ist ein Teil des ersatzlosen Unterrichtsausfalls und des eigenverantwortlichen Arbeitens "auf systembedingte Gründe zurückzuführen".
Als Beispiele werden genannt: der Schuljahresbeginn am zweiten Tag für Erstklässlerinnen und -klässler, die Zeugnisausgabe in der dritten Stunde und das anschließende Schulfrei, regionale Brauchtumstage, Eltern- sowie Schülersprechtage oder auch schulinterne Fortbildungen und pädagogische Tage. Davon seien etwa zwischen 2,5 und 3,0 Prozent des gesamten Unterrichtsvolumens betroffen.
In etwa mehr als der Hälfte aller Fälle lagen ungeplante Abweichungen vom Stundenplan in der Erkrankung der Lehrkraft begründet, so das Ministerium. In drei von vier Unterrichtsstunden fand im Fall von Erkrankungen Vertretungsunterricht statt. Der Rest führe zu Unterrichtsausfall oder dem eigenverantwortlichen Arbeiten.
SPD fordert "grundsätzliches Umdenken"
Aus der SPD-Fraktion des NRW-Landtags kam scharfe Kritik an Schulministerin Dorothee Feller (CDU). "Wenn in jeder fünften Unterrichtsstunde etwas schiefläuft, dann läuft insgesamt etwas schief an unseren Schulen. Schulministerin Feller hat ganz offensichtlich immer noch nicht verstanden, dass sie mit alten Rezepten keine neuen Entwicklungen schaffen kann", sagte die bildungspolitische Sprecherin Dilek Engin.
Sie forderte "ein grundsätzliches Umdenken im System Schule". Dazu gehören ihrer Auffassung nach "kurzfristig eine Entschlackung der Lehrpläne, mittelfristig eine umfassende Lehrplanreform, moderne Prüfungsformate und Unterrichtsformen sowie mehr Freiräume und Verantwortung für die Lehrkräfte". Angesichts von 8.000 unbesetzten Lehrerstellen sei eine Bildungswende dringend nötig, so Engin.
FDP: "Verlorene Chance für die Zukunft"
Franziska Müller-Rech
Die bildungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion im Landtag, Franziska Müller-Rech, sprach von "alarmierenden Ausfallraten". Die Landesregierung würde Schülerinnen und Schüler im Stich lassen: "Jede ausgefallene Stunde ist eine verlorene Chance für ihre Zukunft."
Sie kritisierte auch den hohen Anteil an eigenverantwortlichem Unterricht: "Was als pädagogisches Konzept verkauft wird, ist in Wirklichkeit ein Notfallprogramm, um den Lehrkräftemangel zu kaschieren. Eigenverantwortliches Arbeiten darf Unterricht nicht ersetzen, sondern nur ergänzen."
VBE spricht von verzerrter Statistik
Für den Landesverband NRW des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) ist die Statistik ein Beleg dafür, wie motiviert und engagiert die Lehrerinnen und Lehrer versuchten, die Lücken so gut wie möglich zu schließen.
Ein grundsätzliches Problem sieht der VBE allerdings: Die Erhebung zeige nicht, wie hoch die Lücken durch den sogenannten strukturellen Unterrichtsausfall seien. Dieses Problem sei hauptsächlich auf den Personalmangel zurückzuführen. "Solange diese Lücken nicht nachhaltig mit ausreichend qualifiziertem Personal geschlossen werden, wird das Bild des schulischen Alltags in NRW verzerrt und nicht umfassend abgebildet", erklärte Stefan Behlau, Landesvorsitzender des VBE NRW.
Daten für jede Schule ab 17.12. online abrufbar
Dorothee Feller
Die Daten zur Unterrichtsstatistik werden ab dem 17.12.2024 online für alle Schulen in NRW abrufbar sein. Das kündigte das Schulministerium an. Vor der Veröffentlichung werde jeder teilnehmenden Schule die Zusammenstellung der von ihr übermittelten Daten zur Verfügung gestellt. Abrufbar sind die schulscharfen Daten dann über das Bildungsportal des Schulministeriums.
Schulministerin Feller verbindet die geplante Veröffentlichung mit der Aufforderung, verantwortlich mit den Daten umzugehen: "Wenn an einer Schule vermehrt krankheitsbedingt Unterricht ausfällt, so lässt dies ausdrücklich keine Rückschlüsse auf die Qualität der schulischen Arbeit zu."
Die Unterrichtsstatistiken in NRW
Eine Unterrichtsstatistik, die nicht nur stichprobenartig erfolgt, sondern die Daten aller Schulen erfasst, war bereits für das Schuljahr 2018/2019 geplant, wurde dann allerdings wegen der Corona-Pandemie ebenso wie in den Folgejahren nicht veröffentlicht. Die nun vorgelegte Erhebung für das Schuljahr 2023/2024 ist "flächendeckend, systematisch und schulscharf", wie es im Bericht heißt.
Über dieses Thema berichten wir am 11.12.2024 auch im WDR Hörfunk: WDR aktuell ab 16 Uhr.
Unsere Quellen:
- Mitteilung der NRW-Staatskanzlei
- Mitteilung der FDP
- Mitteilung der SPD
- Mitteilung des VBE NRW