NRW-Politiker wollen TikTok nicht der AfD überlassen
Stand: 07.03.2024, 17:03 Uhr
TikTok ist besonders bei jungen Leuten beliebt - und die AfD erzielt dort hohe Reichweiten. Im Europawahljahr sind vor allem SPD und CDU dabei nachzuziehen.
Von Martin Teigeler
Karl Lauterbach will sich auf TikTok anmelden. Der SPD-Politiker und Bundesgesundheitsminister sagte dem Nachrichtenportal T-Online, er werde versuchen, dort auch ein "gutes Gegengewicht" zur AfD zu bilden.
Karl Lauterbach war auch durch seine Twitter-Aktivitäten bekannter geworden
Ein Diensthandy werde er aber dafür nicht nutzen, sagte Lauterbach. "Ich kenne mich mit Datensicherheit und Digitalisierung gut aus und treffe entsprechende Vorkehrungen", so Lauterbach. Auf TikTok wolle er jungen Leuten erklären, "was wir eigentlich machen - und zwar in einer Sprache, die sie verstehen".
TikTok. Die App mit den Kurzvideos hat nach eigenen Angaben über 20 Millionen (meist junge) Nutzer in Deutschland. Doch westliche Regierungen beäugen die Plattform kritisch: Die Firma ByteDance, die hinter TikTok steht, sei zu eng mit Chinas System verknüpft, heißt es immer wieder. Auch gegen politische Hetze unternehme TikTok zu wenig, wird kritisiert. Genauso wie der mangelnde Datenschutz.
Was ein Experte zu Lauterbachs TikTok-Entscheidung sagt
Der Politikberater Johannes Hillje sagt: "In der Abwägung halte ich Lauterbachs Entscheidung für richtig." TikTok stelle westliche Regierungen vor ein Dilemma: "Einerseits will man nicht ein strategisches Technikwerkzeug Chinas füttern." Andererseits dürfe man aber die Plattform und die junge Zielgruppe dort nicht der AfD oder anderen Radikalen überlassen. Hillje: "Nun rächt sich, dass Europa kaum in eigene Plattformen investiert hat."
Und die Parteien und Politiker in Nordrhein-Westfalen? Folgen sie im Europawahljahr 2024 dem Beispiel Lauterbachs? Die meisten bekannteren Landespolitiker sind bisher nicht auf TikTok.
Die NRW-Grünen haben einen TikTok-Account. Und auch der Co-Landesvorsitzende Tim Achtermeyer postet regelmäßig Clips für seine knapp 2.500 Follower. "Ich will TikTok nicht den Nazis überlassen. TikTok wurde von den demokratischen Parteien viel zu lange ignoriert", sagt er. Dadurch sei ein Raum entstanden, "den die AfD und die Populisten für sich genutzt haben".
Und er finde auch, dass man TikTok auf der einen Seite deutlich stärker regulieren müsse, so Achtermeyer, denn dort kursierten viel zu viel Hass, Fake-News und Intransparenz des Datenumfangs. "Und gleichzeitig müssen wir als demokratische Parteien dort präsent sein und Falschaussagen, die von der AfD verbreitet werden, widerlegen."
Gegen Falschbehauptungen und Scharfmacherei
Bislang sei weder die Landespartei noch die Landesvorsitzenden Sarah Philipp und Achim Post auf TikTok vertreten, sagt ein Sprecher der NRW-SPD. Aber man beschäftige sich sehr intensiv damit und werde dies "in Angriff nehmen". Wann genau, ist noch offen. TikTok sei für viele junge Menschen ein wichtiger Ort, so der Sprecher. Da wolle man dabei sein, auch um der AfD etwas entgegenzusetzen.
Jochen Ott lädt bereits auf TikTok Videos hoch. "TikTok ist das Kommunikations- und Informationsmedium der jungen Generation. Die dürfen wir nicht der AfD ausliefern, die unseren Nachwuchs ungeniert mit Falschbehauptungen und Scharfmacherei indoktriniert", sagt der SPD-Fraktionschef im Landtag. "Sonst entstehen Welt- und Gesellschaftsbilder, die gedanklich in die Zeit vor der Aufklärung zurückreichen. Das will ich unter allen Umständen verhindern und werde mein Engagement dort künftig noch intensivieren."
In einem Video zum Beispiel schimpft Ott - unterlegt von Musik - über marode Schulen ("Schrotthaufen") und eklige Schulklos ("beschissen") in NRW.
Und die Regierungspartei in NRW? "Weder die CDU NRW noch unser Landesvorsitzender Hendrik Wüst nutzen TikTok aktiv", sagt ein Sprecher der Landes-CDU. "Wir beobachten die Plattform und überlegen, ob TikTok für die Verbreitung unserer Botschaften und zur Demokratiebildung gerade jüngerer Zielgruppen einen Beitrag leisten kann."
Längst präsent auf TikTok ist die AfD. Laut einer neuen Analyse hat sie dort eine deutlich höhere Reichweite als die anderen Parteien. Ein Beispiel: Der AfD-Fraktionschef in NRW, Martin Vincentz, hat gut 1.500 TikTok-Follower, SPD-Mann Ott ungefähr 1.000. Die nordrhein-westfälische FDP hat einen Account mit gut 400 Followern.
Generation TikTok = Generation AfD?
Macht es für die anderen Parteien überhaupt noch Sinn, jetzt nachzuziehen und auch auf TikTok Inhalte zu verbreiten? "Better late than never. Das entscheidende Argument für TikTok ist die hohe Nutzung durch junge Menschen", sagt der Politikberater Johannes Hillje. Wenn zwei Drittel der 14- bis 19-Jährigen diese Plattform nutzten, dann sollten auch Parteien dort präsent sein. "Wenn die demokratischen Kräfte jetzt nicht nachziehen, dann könnte im schlimmsten Fall aus der Generation TikTok die Generation AfD werden."
Hillje warnt: "Damit es nicht peinlich wird, sollten Politiker die Cringe-Falle umgehen." Man müsse den Spagat zwischen einer authentischen Sprache und einer jungen Sprache schaffen.