zwei junge Menschen stehen am Bahnsteig

Semesterticket in NRW steht weiter auf der Kippe

Stand: 14.07.2023, 10:43 Uhr

750.000 Studierende in NRW haben weiterhin keine Gewissheit, ob Sie ab Herbst noch ein Semesterticket für den ÖPNV haben werden. Die Hintergründe sind kompliziert, die Konsequenz einfach: Studis wären ohne Fahrschein.

Von Thomas DrescherThomas Drescher

Je nachdem, mit wem man über das Semesterticket spricht, klingt es äußerst dringlich oder sommerlich entspannt.

Die Studierendenvertretungen, Asten genannt, sind auf dem Baum und drohen damit, millionenschwere Verträge mit den Verkehrsverbünden zu kündigen. Das vom Grünen Oliver Krischer geführte Verkehrsministerium gibt sich betont gelassen und verweist auf die "Komplexität" des Themas.

Da brauche man halt etwas Zeit. Doch genau die wird aus Sicht der Asten allmählich knapp. Denn am 1. Oktober beginnt das nächste Semester.

Zu denen, die die Studierenden unterstützen, gehört die SPD im Landtag. Sie mahnte jetzt das Verkehrsministerium: "Auch Studierende müssen davon profitiereren, dass der ÖPNV insgesamt günstiger wird", so der SPD-Verkehrsexperte Bastian Hartmann. Das Armutsrisiko sei in dieser Gruppe besonders hoch. Worum dreht sich der Streit?

Das Problem Deutschlandticket

Das bisherige Semesterticket gilt für den Nahverkehr in ganz NRW. Wer hier studiert, bekommt es in den meisten Fällen quasi automatisch. Es wird über den Semesterbeitrag der Hochschule finanziert. Auf den Monat umgerechnet kostet es zwischen 30 und 40 Euro.

Ein übergroßes Modell des neuen Deutschlandtickets

Das Deutschlandticket

Der Preis war bis zur Einführung des Deutschlandtickets (49 Euro) günstig. Grundlage dafür ist ein Solidarmodell: Weil alle 750.000 Studierenden in NRW ein Ticket nehmen müssen, egal ob sie es nutzen oder nicht, gibt es von den Verkehrsverbünden eine Art Mengenrabatt.

Zwang oder Solidarität?

Allerdings gab es um das Semesterticket seit seiner Einführung vor 30 Jahren immer wieder juristischen Streit. Studierende, die es nicht nutzten, wollten es nicht zwangsweise mitfinanzieren. Doch Gerichte entschieden zugunsten des Solidarmodells.

Vertragspartner der Verkehrsverbünde sind aber nicht etwa die Hochschulen, sondern die Asten. Die allgemeinen Studierendenvertretungen sehen sich durch das am 1. Mai eingeführte Deutschlandticket wieder einem erhöhten Prozessrisiko vor Gericht ausgesetzt.

Der Preisabstand zwischen dem aktuellen Semesterticket und dem deutschlandweit gültigen 49-Euro-Ticket sei zu gering. Das hätten zwei Rechtsgutachten ergeben, teilten die Asten mit. Das Solidarmodell könnte so juristisch nicht mehr haltbar sein.

Aus Sorge vor einer Klagewelle bereiten die Asten nun die massenhafte Kündigung der Semestertickets vor, wie sie am Mittwoch mitteilten. Dies würde nicht nur die dann fahrscheinlosen Studierenden vor Probleme stellen, sondern auch die Verkehrsverbünde, wenn sie schlagartig hunderttausende Abonnenten verlieren. Die Semestertickets spülen den Verkehrsverbünden bisher einen dreistelligen Millionenbetrag in die Kassen.

Kritik am Upgrade-Modell

Damit die Studierenden zumindest nicht benachteiligt werden, gibt es seit Anfang Mai ein Übergangsmodell. Die Studierenden können ein Upgrade auf das Deutschlandticket erwerben, indem sie die Differenz zum 49-Euro-Ticket zahlen. Das ist besser als nichts, vermindert aber weder das Prozessrisiko (siehe oben), noch trägt es dem Umstand Rechnung, dass es für andere längst verbilligte Deutschlandtickets gibt. Für Arbeitnehmer werden Jobtickets für rund 35 Euro abgegeben, für Schülerinnen und Schüler kosten entsprechende Abos rund 29 Euro im Monat.

Bundesweite Lösung erst 2024

Seit diesem Frühjahr versprechen die Verkehrsminister der Länder eine Lösung auch für Studenten, allerdings erst zum Januar 2024. Wie viel das Semesterticket, das dann auch ein Deutschlandticket sein soll, kosten wird, ist immer noch offen.

"Die Komplexität, eine für alle 16 Bundesländer und den Bund passende und akzeptable Lösung zu finden, ist jedoch hoch", teilt das Ministerium mit.

Am Ende geht es also um die Monate Oktober bis Dezember 2023. Ob dafür Jahrzehnte alte Verträge gekündigt werden oder ob deshalb jemand vor Gericht zieht, bleibt offen. Vielleicht ist Oliver Krischer ja ein Pokerspieler.