Warum sich Waldbauern, Sägewerke und Landesregierung um viele Millionen streiten
Stand: 09.12.2022, 10:13 Uhr
Der Streit um die Holzpreise in NRW schwelt seit vielen Jahren. Es geht um 187 Millionen Euro, um Sägewerke und Waldbauern und um einen Adeligen, dem der Kragen geplatzt ist.
Von Sabine Tenta
Es knarzt gewaltig im Gebälk der NRW-Holzwirtschaft - genauer zwischen den Waldbesitzenden und der zuständigen Landwirtschaftsministerin Silke Gorißen (CDU). Es ist ein seit Jahren schwelender Streit zwischen der Sägeindustrie und den Waldbesitzern - der am Donnerstag eskalierte: Waldbauernverband-Präsident Philipp Freiherr Heeremann trat als Chef des obersten Forstausschusses in NRW zurück.
Worum geht es eigentlich?
Von Mitte der 1970er Jahre bis 2019 hatte das Land sein Holz aus landeseigenem Staatswald gemeinsam mit dem Holz aus Privat- und Kommunalwald vermarktet. An dieser Zusammenarbeit waren insbesondere Besitzer und Besitzerinnen von kleineren Wäldern, zwischen zwei und zehn Hektar groß, beteiligt. Die Frage ist aber: Verkaufte die Kooperative das Holz zu teuer?
Das behauptet eine Inkassogesellschaft, die die Interessen von 32 Sägewerken vertritt, die in NRW Holz gekauft haben. Den Sägewerken sei ein Schaden von 187 Millionen Euro entstanden. Deshalb hatten sie im April 2020 Klage gegen das Land NRW vor dem Landgericht Dortmund eingereicht. Die damalige Landwirtschaftsministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) bestritt die Ansprüche der Sägewerke.
Der Vorwurf der Kartellbildung seitens der Sägewerke ist nicht neu, 2001 wurde er schon einmal erhoben. Das Bundeskartellamt schaltete sich ein, auch andere Bundesländer mit ähnlicher Vermarktung waren betroffen. Am Verfahren wurde hier und da geschraubt, Gerichte befassten sich immer wieder damit. Die Zweifel am Modell wuchsen stetig - und NRW beendete 2019 die kooperative Vermarktung.
Welche Rolle spielt Ministerin Silke Gorißen?
Am Dienstag dieser Woche gab Landwirtschaftsministerin Silke Gorißen (CDU) nach einem Kabinettsbeschluss eine Pressemitteilung heraus. Titel: "Gemeinsam mit Waldbesitzenden gegen unbegründete Klage der Sägewerke". Das klingt nach einer Solidaritätsaktion. Aber stattdessen bedeutete es, dass das Land im Falle einer gerichtlichen Niederlage die Waldbesitzer in Regress nehmen kann. 800 Waldeigentümer sollen in die Kartellklage einbezogen werden. Im juristischen Fachjargon heißt dieser Schritt "Streitverkündung".
Gorißen betonte, dass die möglichen Forderungen auf das "rechtlich absolut notwendige Minimum" reduziert worden seien. 95 Prozent der Waldbesitzenden seien gar nicht betroffen. Unter den 800 Betroffenen, die im Falle einer Niederlage zur Kasse gebeten würden, sind private Waldbesitzer, Waldgenossenschaften und Kommunen.
Rechtsstreit mit Sägewerken
Das klingt nach einer großzügigen Geste des Landes. Dahinter steckt aber wohl auch, dass bei den restlichen 95 Prozent, die nun verschont bleiben sollen, ohnehin nicht viel zu holen ist. Denn die wirklich großen Holzverwerter im Land waren gar nicht erst in die Landesvermarktung eingestiegen, sie verhandelten direkt mit den Sägewerken. Nur für die kleineren Waldbauern und -bäuerinnen war das System lukrativ.
Das Landwirtschaftsministerium spielte das Vorgehen am Dienstag als "übliche prozessuale Vorsichtsmaßnahme" herunter - aber die Waldbesitzer zeigten sich massiv verärgert.
Warum sind die Waldbesitzer sauer?
Der Waldbauernverband NRW teilte am Donnerstag mit, dass sein Vorsitzender Philipp Freiherr Heereman sein Amt als Leiter des obersten Forstausschusses im NRW-Landwirtschaftsministerium mit sofortiger Wirkung niederlegt. Die Waldbesitzer seien "empört".
Der Vertriebsweg der kooperativen Vermarktung sei von der Landesforstverwaltung in der Vergangenheit "nicht nur beworben, sondern auch dringend empfohlen worden", so der Verband. Das Verhalten des Ministeriums sei vor diesem Hintergrund "ein Schlag ins Gesicht gegen die Waldbesitzer und die ehrenamtlich geführten Zusammenschlüsse, die stets auf die Empfehlungen der staatlichen Förster vertraut haben".
Angesichts der derzeitigen Herausforderungen - Heeremann nennt die Stichworte Sommerdürre, Fichtensterben und Umbau zum klimagerechten Wald - sei das Vorgehen "ein Tiefschlag gegen die Waldbesitzer". Es zerstöre das Vertrauen, das gerade in Krisenzeiten so dringend gebraucht werde. "Der Waldbauernverband fordert daher die sofortige Rücknahme des Kabinettsbeschlusses bis zum 13.12."
Im Gespräch mit dem WDR klagt Heeremann über die Kommunikation der Landesregierung: "Wir hätten vor einem Jahr oder auf dem Waldbauerntag im September Klarheit schaffen können." Das Landwirtschaftsministerium erklärt hingegen, dass mehrfach mit den Waldverbänden, auch auf dem Waldbauerntag, über die Klage gesprochen worden sei. Über den Kabinettsbeschluss am Dienstag seien die Verbände auch vorab in einer Telefonkonferenz informiert worden. Für nächsten Dienstag (13.12.2022) lade das Ministerium die Waldverbände zu einem Treffen ein.
Warum eskaliert der Streit gerade jetzt?
Wie aus dem Landwirtschaftsministerium zu hören ist, drohten Verjährungsfristen. Ohne die Waldbesitzenden juristisch mit einzubeziehen, könnte das Land im Falle einer Niederlage vor Gericht auf den Regressansprüchen komplett sitzen bleiben. Das Ministerium sieht sich auch in der Pflicht, die Waldbauern mit in die Klage einzubeziehen, schließlich gehe es um Steuergelder.
Wann ist mit einer Entscheidung im Rechtsstreit zu rechnen?
Das Landwirtschaftsministerium geht davon aus, dass sich der Rechtsstreit noch viele Jahre hinziehen wird: Der "Prozessstoff" sei umfangreich und komplex, mit einem Urteil in erster Instanz rechnet das Ministerium im nächsten Jahr.
Wie auch immer es ausgeht, es wird wahrscheinlich der Auftakt zum Weg durch die weiteren Instanzen sein. Befassen könnten sich mit dem Fall dann noch das OLG Düsseldorf und am Ende der Bundesgerichtshof. Nicht ausgeschlossen ist, dass es auch um europäisches Wettbewerbsrecht geht. Dann könnte der Fall sogar vor dem Europäischen Gerichtshof landen.
Über dieses Thema berichten wir auch in der Sendung Westblick in WDR5, ab 17.05 Uhr am 08.12.2022.