Seeadler

Was das Artenschutzabkommen von Montreal für NRW bedeutet

Stand: 20.12.2022, 16:47 Uhr

Das Artenschutzabkommen von Montreal wird als großer Erfolg für den Planeten gefeiert. Wie wird es den Naturschutz in NRW beeinflussen? Eine Suche nach Antworten.

Von Thomas DrescherThomas Drescher

Die beiden sind Stars. Und wenn man sie am Himmel über der Bislicher Insel bei Xanten majestätisch ihre Kreise ziehen sieht, könnte man meinen, dass dem einzigen Seeadlerpaar in NRW durchaus bewusst ist, dass Vogelverrückte von weither anreisen, nur um sie zu sehen.

Dass wieder Seedadler am Niederrhein brüten, ist Teil der Erfolgsgeschichte des Artenschutzes in Nordrhein-Westfalen. Einst heimische und lokal ausgestorbene Tierarten kommen zurück, so wie die Weißstörche, die Biber - und nicht zuletzt auch die Wölfe.

Naturschutz in NRW

Knapp 12 Prozent der Landesfläche von Nordrhein-Westfalen stehen aktuell unter strengem Schutz. Es handelt sich zum Beispiel um Naturschutzgebiete, Natura-2000-Gebiete, FFH-Gebiete - und um den bisher einzigen Nationalpark in NRW, den Nationalpark Eifel, den viele als großen Erfolg sehen.

Bislicher Insel.

Seeadlerland: Bislicher Insel bei Xanten

Diese streng geschützten Flächen spielen für den Artenschutz eine große Rolle. Hier sollen bedrohte Tiere, Pilze und Pflanzen Zuflucht finden und sich vermehren können - möglichst unbehelligt vom Menschen, so wie die beiden Seeadler bei Xanten. Im Amtsdeutsch heißt das: Zugang und Nutzung sind für diese Gebiete beschränkt.

Worauf bezieht sich das Prozent-Ziel von Montreal?

Im kanadischen Montreal haben sich am Sonntag knapp 200 Staaten darauf geeinigt, 30 Prozent ihrer Landesfläche bis 2030 unter Schutz zu stellen, zusätzlich auch 30 Prozent der ihnen zugerechneten Meeresfläche. In diesen Schutzgebieten sollen vorhandene Lebensräume geschützt und geschädigte wiederhergestellt werden.

Heißt das nun, dass auch jedes Bundesland die 30 Prozent Schutzfläche erreichen muss? Ein Sprecher des Bundesumweltministeriums sagt dem WDR: Das Prozent-Ziel des Montreal-Abkommens beziehe sich auf das gesamte Staatsgebiet. Also im Fall Deutschlands nicht etwa auf einzelne Bundesländer, Landkreise oder Kommunen.

Landschaftsschutz nicht gleich Naturschutz

Rechnet man neben den Gebieten mit strengerem Naturschutz auch die Landschaftsschutzgebiete mit eher weichem Schutz hinein, würde NRW praktisch schon heute das 30-Prozent-Ziel des Abkommens von Montreal erfüllen. NRW steht dann nach Zahlen des Landesumweltministeriums sogar bei mehr als 40 Prozent geschützter Fläche.

Allerdings: Bei Flächenprozenten hört das Abkommen eben nicht auf. Es geht um zusätzliche Maßnahmen, die für den Artenschutz von Bedeutung sind. Und ob diese durch die Regeln des Landschaftsschutzes zu erreichen sind, bezweifelt der grüne Landesumweltminister Oliver Kirscher. Ihm sei klar, dass dieser Schutz "nicht besonders ausgeprägt" ist und dass dort "zu wenig Naturschutz stattfindet", wie er dem WDR sagte.

Pestizide werden auf einem Feld verteilt.

Nur noch 50 Prozent Pestizide?

Denn: Landschaftsschutzgebiete sollen, wie der Name sagt, nicht unberührte Natur, sondern die Eigenarten menschlich geprägter Landschaften schützen. Landwirtschaft inklusive des Einsatzes von Gülle und Pestiziden, sind weiter möglich, ebenso Fortwirtschaft und Bejagung.

Wie umgehen mit Pestiziden und Dünger?

Gerade Pestizide und Überdüngung sind für viele Arten allerdings tödlich. Der Pestizideinsatz soll mit dem Montrealer Abkommen bis 2030 halbiert werden, ebenso der Eintrag von Düngemittelüberschüssen in die Umwelt. Das wird auch Folgen für die Landwirtschaft in NRW haben - doch welche genau, da tun sich die Ansprechpartner mit konkreten Antworten so kurz nach dem Durchbruch von Kanada noch schwer.

Klar ist nur: Fragen des Artenschutzes werden künftig sehr viele Ministerien beschäftigen. Das Thema ist jetzt oben auf der Agenda. "Die Zeiten, in denen man das lächerlich gemacht hat mit irgendwelchen Hamstern sind endgültig vorbei", sagt Krischer.

Bühende Besenheide (Calluna vulgaris) mit Sanddünen in der Senne, Nordrhein-Westfalen, Deutschland, Europa

Heide und Sanddüne in der Senne

Mit der schwarz-grünen Landesregierung will der Minister einen neuen Landesentwicklungsplan aufstellen und ermitteln, "wo wir noch mehr Fläche für den Naturschutz zur Verfügung stellen müssen". Im Koalitionsvertrag ist außerdem verankert, dass ein zweiter Nationalpark ausgewiesen werden soll. Ob dies im Siebengebirge bei Bonn geschieht oder in der ostwestfälischen Senne ist noch offen. Es gehe aber auch darum, sagt Minister Krischer, bereits geschützte Gebiete im Sinne des Artenschutzes "aufzuwerten".

Auch die EU mischt mit

Ganz unvorbereitet trifft das Thema die Umweltminister in Bund und Ländern nicht: Die EU hatte sich schon vor zwei Jahren das Ziel für die Mitgliedsstaaten bis zum Jahr 2030 gesetzt, 30 Prozent der Land- und 30 Prozent der Meeresfläche zu schützen. Der Rat der Europäischen Union schrieb damals, die 30-Prozent-Marke sei ein Ziel "das von den Mitgliedstaaten gemeinsam erreicht werden muss, wobei (...) die nationalen Gegebenheiten berücksichtigt werden müssen." Heißt: Es kann sein, dass Luxemburg dabei anders agieren darf als Polen (und umgekehrt), der Weg ist noch vage.

Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz in Düsseldorf teilt mit, es sei "Teil intensiver Besprechungen zwischen Bund und Ländern" welche bestehenden Schutzgebiete zum 30-Prozent-Ziel der EU beitragen und welche dorthin entwickelt werden können. Auch hier: Es gibt bislang wenig Konkretes.

Dennoch gibt es mit dem EU-Ziel und dem Montrealer Abkommen klare Fixpunkte für den Artenschutz. Und die Chancen, dass die beiden Xantener Seeadler noch von den verstärkten Bemühungen um die Biodiversität profitieren können, stehen nicht schlecht. Die Vögel werden bis zu 40 Jahre alt - unter guten Bedingungen.