Frontansicht des NRW-Justizministeriums in Düsseldorf

Dicke Luft bei Staatsanwaltschaften in NRW

Stand: 02.07.2024, 09:49 Uhr

Viele Staatsanwälte beklagen hohe Arbeitsbelastung und zu niedrigen Lohn. Fast die Hälfte wehrt sich formal. Eine Veränderung dürfte es bald aber nicht geben.

Von Philip Raillon

Tausende offene Verfahren, überlastete Staatsanwälte und dazu eine unzuverlässige IT-Infrastruktur – wenn man sich in den Staatsanwaltschaften im Land umhört, ist die Stimmung nicht besonders gut.

Am drängendsten scheint die Überlastung zu sein. Die Quote lag laut Ministerium im vergangenen Jahr bei 123 Prozent. Staatsanwälte berichten, dass gerade in den sogenannten Allgemeinen Dezernaten die Belastung am höchsten sei. Wer dort arbeitet, kümmert sich etwa um Schwere Körperverletzungen oder Diebstähle wertvoller Sachen. Also Fälle, die oft leichter gelagert sind – eigentlich.

Ermittlungsqualität leide unter hoher Belastung

Wie viele solcher Akten in die Dienstzimmer der einzelnen Abteilungen gebracht werden, kann das Ministerium nicht sagen. Doch aus den Behörden hört man, es seien oft 180 bis 200 Akten – pro Monat. Unter dieser Masse leidet auch die Qualität der Arbeit, sagen Strafverteidiger. "Die Anklagen werden nicht zeitnah erhoben und Akteneinsichtsgesuche brauchen lange“, sagt Sonka Mehner, Vizepräsidentin des Deutschen Anwaltvereins.

Manche Mandanten würden sich darüber freuen, da sie sich besser wegducken können. Zumal es – wenn es besonders lange dauert – deswegen eine Strafmilderung geben kann.

Tatsächlich dauern heute mehr Ermittlungsverfahren länger als noch vor zehn Jahren. Das dürfte unter anderem an der dünnen Personaldecke liegen. Der Richterbund NRW fordert fast 300 weitere Planstellen. Für diese müsste Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) sorgen. Doch während der laufenden Haushaltsverhandlungen bremst er die Hoffnung.

Justizminister: Neuer Haushalt bringt wohl keinen Stellenregen

"Wir befinden uns in einer schwierigen Finanzsituation. Wir müssen uns in den haushalterischen Eckdaten bewegen. Und daher haben wir jetzt keinen Stellenregen zu erwarten“, so der Minister im WDR-Interview. Dennoch sei ihm die Situation der Staatsanwaltschaften bewusst. Daher wolle er dort möglichst keine Mittel kürzen.

In einer Art Notlösung werden nun zunächst 100 Richterstellen zu den Staatsanwaltschaften gezogen. Der Minister möchte so justizintern die Belastung abfedern. Der Richterbund und auch die Opposition im Landtag kritisieren das. "Es zeigt die Hilflosigkeit des Ministers. Offensichtlich fehlt ihm das nötige Geld, um tatsächlich mehr Personal bezahlen zu können“, sagt die SPD-Fraktions-Vize Elisabeth Müller-Witt.

Schleppende Suche nach geeignetem Personal

Ob mehr Stellen die erhoffte Erleichterung bringen würden, ist aber ebenso fraglich. Denn aktuell findet das Land gar nicht genügend passende Bewerber. Das gilt ebenso für Rechtspfleger und Amtsanwälte, die mit für einen reibungslosen Ablauf sorgen.

Bei den Staatsanwälten waren Ende April sogar 111 Stellen unbesetzt – zumindest für knapp die Hälfte habe man konkrete Personalvorschläge, so das Ministerium. Angesichts dessen spricht es von einer "relativ hohen Besetzungsquote“.

Mit den dann bald besetzten Stellen ist die Quote ähnlich wie die des Saarlands oder in Sachsen. In Baden-Württemberg und Bayern ist sie hingegen deutlich besser: dort gibt es quasi keine unbesetzten Stellen.

Künftig auch Staatsanwälte mit schlechterem Abschluss

Das Justizministerium senkt nun – befristet für ein Jahr – die Einstellungsanforderungen für Staatsanwälte. Künftig können auch Bewerber mit schlechteren Examensnoten in NRW berücksichtigt werden. In der Belegschaft kommt das offenbar nicht gut an, erfuhr der WDR aus Kreisen der Staatsanwaltschaften.

Dass die Nachwuchssuche so schleppend läuft, könnte am niedrigen Gehalt liegen, glaubt der Deutsche Richterbund NRW. In Bayern und Baden-Württemberg verdienen Staatsanwälte und Richter mehr.

Gerd Hamme vom Bund der Richter und Staatsanwälte NRW betont, dass ein konkreter Verdacht gegen einen Prieser Voraussetzung für die Ermittlung seitens der Staatsanwaltschaft  ist.

"Im Moment ist die Vergütung für Staatsanwältinnen und Staatsanwälte im Vergleich zu Anwälten und der freien Wirtschaft so schlecht, dass sie sich gegen den Staatsdienst entscheiden“, so Gerd Hamme, Geschäfstführer des Richterbunds. Die Forderung: 1000 Euro mehr pro Monat für Staatsanwälte und Richter in NRW.

Fast jeder zweite Staatsanwalt wehrt sich gegen sein Gehalt

Zum Vergleich: In der maßgeblichen Besoldungsgruppe R1 verdient man in NRW derzeit rund 56.000 Euro brutto im Jahr. Viele Großkanzleien zahlen Anwälten aber Einstiegsgehälter von weit über 100.000 Euro im Jahr.

Die SPD- und FDP-Opposition im Landtag fordern ebenfalls höhere Gehälter. "Wir befürworten ausdrücklich eine Lohnsteigerung der Justizberufe“, so FDP-Rechtspolitiker Werner Pfeil.

Viele Widersprüche gegen Besoldung

Minister Limbach erteilt den Forderungen aber eine deutliche Absage. Sonst gebe es eine Ungerechtigkeit, wenn Juristen in der übrigen Verwaltung deutlich weniger verdienen würden. Außerdem – so Limbachs Eindruck – beschwerten sich kaum Staatsanwälte über das Gehalt.

Die Zahlen sprechen aber eine andere Sprache: Fast die Hälfte aller Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in NRW legten 2023 formalen Widerspruch gegen die Besoldung ein.

Unsere Quellen:

  • WDR-Reporter
  • Offener Brief des Deutschen Richterbundes NRW
  • WDR-Anfragen an verschiedene Ministerien

Über dieses Thema berichtet der WDR auch im Hörfunk in der Sendung Westblick auf WDR5.