Ergebnis der Weltnaturkonferenz: Warum Artenschutz so wichtig ist
Stand: 19.12.2022, 21:16 Uhr
Auf dem Weltnaturgipfel haben sich die Teilnehmer auf ein neues UN-Naturschutzabkommen geeinigt. Das globale Artensterben ist weniger präsent als der Klimawandel. Aber nicht weniger wichtig.
Von Timo Landenberger
In ihrer Abschlusserklärung haben sich rund 200 Staaten das Ziel gesetzt, mindestens 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresflächen bis 2030 unter Schutz zu stellen beziehungsweise beschädigte Ökosysteme wiederherzustellen. Außerdem wollen sie mehr Geld für den Schutz der Artenvielfalt ausgeben. Dafür sollen unter anderem reichere Länder ärmeren Ländern bis 2025 rund 20 Milliarden Dollar jährlich zukommen lassen. Doch was geht uns das an?
Menschengemachtes Artensterben
Nicht nur der Klimawandel, auch der Zustand der Ökosysteme auf der Welt ist alarmierend. Rund eine Million Arten (von insgesamt geschätzten acht Millionen) sind bis zum Ende des Jahrhunderts vom Aussterben bedroht. Wissenschaftler sprechen vom sechsten großen Massensterben in der Geschichte. Die letzten fünf sind für die Beteiligten nicht gut ausgegangen. Der Unterschied diesmal: Die Zerstörung ist menschengemacht.
Ursachen: Ressourcenhunger und Wegwerfmentalität
Abholzung im Cerrado
Durch unseren Ressourcenhunger, unsere Art zu konsumieren und unsere Wegwerfmentalität stellen wir die Natur vor Herausforderungen und tragen massiv zum Verlust der Biodiversität bei. Dabei sei vielen gar nicht bewusst, dass der Kaffee am Morgen, die Schokolade, Futter für die Tierhaltung und vieles mehr seinen Ursprung oftmals auf Feldern in Brasilien genommen habe, für die zuvor hektarweise Regenwald gerodet worden sei, erklärt SPD-Umweltpolitikerin Delara Burkhardt. So seien wir allein in Europa für zehn Prozent der weltweiten Entwaldung verantwortlich. 80 Prozent der Arten der Erde seien in Wäldern zu Hause, so die Europaabgeordnete. Dabei ist der Wald nur einer von vielen Problembereichen.
Die Treiber des Artensterbens
Und auch auf unseren eigenen Böden ist die Produktion seit Jahrzehnten auf Ertragsmaximierung ausgelegt. Zu den Treibern des Artensterbens gehören:
- Monokulturen in der Land- und Forstwirtschaft
- Der Einsatz von Pestiziden und chemischen Düngemitteln
- Die Ausbeutung natürlicher Ressourcen für die Industrie und zur Energiegewinnung
- Infrastruktur, Straßen- und Städtebau
- Die Überfischung der Meere
- Umweltverschmutzung, etwa durch Plastikmüll
Intakte Natur als Lebensversicherung
Die Grundlage für alles Leben auf der Erde ist eine intakte Natur. So sind laut Bundesumweltministerium beispielsweise 75 Prozent aller Nahrungspflanzen auf eine natürliche Bestäubung, etwa durch Bienen, angewiesen. Die Anzahl der Fluginsekten ist in Deutschland seit 1989 aber um rund drei Viertel zurückgegangen.
Viele Arzneimittel beruhen auf Zutaten aus der Natur, wir brauchen sauberes Wasser und saubere Luft. Funktionierende Ökosysteme wie Wälder oder Moore binden außerdem CO2 aus der Luft und tragen entscheidend zum Kampf gegen den Klimawandel bei. Anders herum ist dieser ebenfalls ein entscheidender Faktor für das Artensterben. Klima- und Artenkrise hängen also untrennbar voneinander ab.
Es geht auch für die Menschheit ums Überleben
Während es beim Kampf gegen den Klimawandel aber vorwiegend um die Frage geht, wie die Menschheit in 50 oder 100 Jahren leben wird, geht es beim Verlust der Biodiversität um das ob. Dabei sind beides keine regionalen oder nationalen Phänomene. Die Krisen können nur global gelöst werden. Auch deshalb war die Weltnaturschutzkonferenz in Montreal von entscheidender Bedeutung.
Sämtliche Ziele bislang verfehlt
Unterzeichnet wurde das grundsätzliche Biodiversitätsübereinkommen bereits im Jahr 1992. Entsprechend verfolgen die Vertragsstaaten seit mittlerweile 30 Jahren erfolglos das Ansinnen, den Verlust der Artenvielfalt zu stoppen. Bei der zehnten Naturschutzkonferenz in Japan im Jahr 2010 wurden schließlich 14 konkrete Ziele für die Zeit bis 2020 formuliert. Seit der Veröffentlichung des fünften globalen Biodiversitätsberichts im September 2020 ist klar: Keines der Ziele wurde erreicht.
Die Zeit drängt also. Die nächsten Jahre gelten als entscheidend, um das Artensterben noch rechtzeitig aufzuhalten. Als einen "Schutzschirm für unsere Lebensgrundlagen" bezeichnete Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) das aktuell beschlossene Artenschutzabkommen. Auch Umweltschützer begrüßten die Einigung, vermissen jedoch klare Vorgaben für die Wirtschaft.
Was wurde konkret beschlossen?
Deutschland und die EU hatten ein ambitioniertes Vorgehen gefordert. Langfristig sei eine intakte Natur schließlich die Grundlage, um überhaupt noch etwas produzieren zu können. Beschlossen wurde nun im Detail folgendes:
- 30 Prozent der Fläche an Land und auf dem Meer bis 2030 unter Schutz zu stellen. Das würde einer Verdopplung der Fläche an Land und einer Vervierfachung auf dem Meer entsprechen.
- Das Risiko durch Pestizide und gefährliche Chemikalien bis 2030 um die Hälfte zu reduzieren.
- Zugleich soll der nachhaltige Konsum gefördert werden. Hier haben sich die Staaten unter anderem darauf geeinigt, die Lebensmittelverschwendung in den kommenden acht Jahren um 50 Prozent zu verringern.
- Die Länder müssen in ihrer Biodiversitätsstrategie darstellen, wie sie die vereinbarten Ziele auf nationaler Ebene umsetzen wollen. Dafür gibt es laut Bundesumweltministerium nun erstmals einheitliche Indikatoren, die für alle Staaten gelten.
- Mindestens 200 Milliarden US-Dollar jährlich sollen bis 2030 für die Umsetzung der Ziele fließen. Dafür wollen die Staaten sowohl öffentliches als auch privates Geld mobilisieren. Wirtschaftlich ärmere Länder sollen unterstützt werden.
- Die Hilfen aus Industrieländern sollen bis 2025 auf jährlich 20 Milliarden US-Dollar steigen, bis 2030 soll sich die Summe auf jährlich 30 Milliarden US-Dollar erhöhen.
Verhandlungen unter schwierigen Bedingungen
Bleibt zu hoffen, dass die Maßnahmen greifen und tatsächlich effektiv umgesetzt werden. Denn die Verhandlungen in Montreal standen unter keinem guten Stern. Während an der Weltklimakonferenz in Ägypten mehr als 100 Staats- und Regierungschefs teilnahmen und schon dadurch für die nötige öffentliche Wahrnehmung sorgten, war ein solches Treffen in Montreal nicht vorgesehen. Artensterben? Im gesellschaftlichen Diskurs ist es immer noch kaum präsent.
Und viele Umweltschutzambitionen wurden in Zeiten multipler Krisen in vielen Ländern zuletzt eher zurückgefahren. Zu groß ist die Sorge, durch strengere Auflagen Produktionskapazitäten zu verlieren und damit die Nahrungsmittel- und Energieversorgung zu gefährden und die Preise noch weiter steigen zu lassen.