Lützerath: Aktivisten glauben an letzte Chance
Stand: 23.11.2022, 05:00 Uhr
Kann Lützerath doch gerettet werden? Aktivisten glauben daran und fordern das grün geführte NRW-Energieministerium zu einem ungewöhlichen Schritt auf. Derweil wird eine Räumung des besetzten Dorfes in diesem Jahr immer unwahrscheinlicher.
Von Samuel Acker
Zumindest an bedeutungsschweren Worten mangelt es den Aktivisten, die sich für den Erhalt des vom RWE-Kohletagebau Garzweiler bedrohten Ortes Lützerath in Erkelenz einsetzen, nicht: Es zeichne sich "eine entscheidende Wende" ab, heißt es in einer Erklärung von Klimaaktivisten, unter anderem darunter die Initiative "Alle Dörfer bleiben". Die Aktivisten beziehen sich dabei auf den Hauptbetriebsplan für den Tagebau, der am 31. Dezember ausläuft.
Auslaufender Hauptbetriebsplan gibt Aktivisten Hoffnung
Schon seit März liegt der Bezirksregierung Arnsberg, die für den Tagebau Garzweiler die zuständige Bergbau-Behörde ist, ein Antrag vom Energiekonzern RWE vor, den Tagebau weiterzuführen – von 2023 bis 2025. Die Klima-Aktivisten fordern nun das NRW-Wirtschaftsministerium unter Führung der grünen Ministerin Mona Neubaur auf, Arnsberg anzuweisen, den RWE-Antrag abzulehnen. Das wäre theoretisch möglich, da das Wirtschaftsministerium in NRW die oberste Bergbau-Kompetenz hat.
"Entscheidende Wende" vs. "Normaler Vorgang"
Der Rechtsanwalt Dirk Teßmer, der für den Erhalt von Lützerath kämpft, fordert von Neubaur, ein Moratorium für den Ort zu verhängen: "Aus juristischer Sicht kann sie den Antrag von RWE ablehnen lassen und RWE auffordern, stattdessen einen Hauptbetriebsplan vorzulegen, der zunächst den Abbau der unter [dem Dorf] Immerath lagernden Kohle vorsieht und sich nicht auch auf Lützerath erstreckt." In einer Pressekonferenz wollen die Aktivisten heute weitergehend erläutern, warum sie eine Ablehnung des RWE-Antrags als juristisch möglich betrachten. Derzeit ist Lützerath von rund 100 Aktivistinnen und Aktivisten besetzt, die sich gegen den Abbau des Ortes stemmen.
Das NRW-Wirtschaftsministerium reagiert auf die neuesten Forderungen der Klimaaktivisten verhalten. Auf Anfrage teilt es dem WDR mit, dass die Bezirksregierung Arnsberg RWE die Zulassung erteilen müsse, "wenn die im Bundesberggesetz festgelegten Zulassungsvoraussetzungen erfüllt sind". Eine Abbaggerung Lützeraths ist auch im neuen Hauptbetriebsplan vorgesehen. Während die Klimaaktivisten also im Ablaufen des alten Betriebsplans eine "entscheidende Wende" sehen, ist dies für das Wirtschaftsministerium eher "ein normaler Vorgang", wie ein Sprecher sagt – und die Genehmigung eines neuen Betriebsplans schlichtweg vorgesehen, solange der Antrag nicht generell gegen das Bundesberggesetz verstößt.
Energieministerium: Versorgungssicherheit gefährdet
Bereits im März hatte das Oberverwaltungsgerichts Münster entschieden, dass RWE dazu berechtigt ist, Lützerath abzubaggern – darauf hat Ministerin Mona Neubaur in Diskussionen mit Klima-Aktivisten immer wieder verwiesen. Im Oktober stellte Neubaur gemeinsam mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und RWE schließlich eine Vereinbarung zum vorzeitigen Kohleausstieg in NRW bis 2030 vor. Fünf Dörfer im Tagebaugebiet werden demnach erhalten – Lützerath nicht.
Auch ohne die Kohle unter Lützerath abzubaggern, würden die "förderbaren Kohlemengen (...) für Jahre" reichen, betont Christopher Laumanns, Sprecher der Initiative "Alle Dörfer bleiben." Beispielsweise für das bereits abgerissene Dorf Immerath geben die Aktivisten ein Kohle-Potenzial von 150 Millionen Tonnen an, Lützerath zu erhalten gefährde daher nicht die Energiesicherheit. Das Wirtschaftsministerium NRW sieht das anders: Die Energiesicherheit sei sehr wohl gefährdet. Sinngemäß sagte ein Sprecher dem WDR, auch die Kohle unter Lützerath müsse jetzt so schnell wie möglich erschlossen werden.
Vielen der Aktivistinnen und Aktivisten, die sich für den Erhalt von Lützerath einsetzen, wird wohl klar sein, dass das Wirtschaftsministerium kaum auf ihre juristischen Vorschläge eingehen wird. Dass die Ministerin den mit RWE ausgehandelten vorzeitigen Kohleausstieg noch durch ein so ungewöhnliches Manöver wie eine Ablehnung des neuen Tagebau-Betriebsplans riskieren würde, ist kaum zu erwarten.
Wann wird Lützerath geräumt?
Vom Energiekonzern RWE hieß es vor knapp zwei Wochen, dass eine Räumung von Lützerath "im Rahmen der Rodungsperiode“ noch in diesem Winter erforderlich sei. Die Rodungssaison endet in NRW am 28. Februar. Dass Lützerath aber noch in diesem Jahr geräumt wird, kann als ausgeschlossen gelten: Schon vor knapp zwei Wochen hatte die zuständige Aachener Polizei dem WDR mitgeteilt, dass eine solche Räumungsaktion circa acht Wochen Vorbereitung benötige. Heute teilte Aachens Polizeipräsident Dirk Weinspach dem WDR mit: "Angesichts der benötigten Vorbereitungszeit von mehreren Wochen, ist das Zeitfenster für einen verantwortungsvollen und fachlich gut vorbereiteten Einsatz im laufenden Jahr 2022 bereits geschlossen.“
Reul: Nicht "scheibchenweise" vorgehen
Ähnlich hatte sich NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) vergangene Woche im Innenausschuss des Landtags geäußert: Die Vorbereitung eines Räumungseinsatzes wie in Lützerath, der "schwierig und komplex“ sei, brauche rund acht Wochen Zeit. Reul führte weiter aus: "Meine Polizeiexperten raten deshalb auch dringend davon ab, „scheibchenweise“ vorzugehen. Immer mal wieder durch einzelne Einsätze etwas zu unterbinden - das löst das Problem nicht. Am Ende muss Lützerath leer sein, und das geht nur in einem Gesamteinsatz - das ist die Beratung meiner Polizeiexperten.“
Das heißt: Lützerath steht, für den Fall einer Räumung, wohl ein einzelner, massiver Polizeieinsatz bevor. Ein mühseliges Hin und Her wie bei der Räumung des Hambacher Forstes, mit starken negativen Folgen für Polizei und Protestler, will die Landesregierung vermeiden.