In Lützerath in Nordrhein-Westfalen gehen Demonstranten bei eine Protest-Spaziergang an einem Denkmalgeschütztem Bauernhof vorbei. An dem Bauernhof ist ein großes, gelbes Banner mit dem Aufschrift "1,5 Grad heißt: Lützerath bleibt".

Lützerath: Droht der NRW-Polizei ein zweiter Hambacher Forst?

Stand: 27.10.2022, 16:41 Uhr

Es wird nicht einfacher für die Grünen in der Landesregierung. Die Energiekrise hat die Klimaschutzpartei schon zu schmerzhaften Zugeständnissen gezwungen. Jetzt hat sie das Thema Lützerath vor der Brust.

Von Nina Magoley

Wann genau die Polizei kommt, wissen wohl nur wenige. Aber dass der Widerstand in Lützerath heftig sein wird, davon gehen alle Beteiligten aus. Der kleine Weiler im Rheinischen Braunkohlerevier bei Erkelenz wird gewiss nicht kampflos aufgegeben.

Zwar hat Anfang Oktober der letzte der ursprünglichen Einwohner das Dorf nach langem Protest verlassen. In den leeren Gebäuden leben aber inzwischen andere Menschen, die sich den vorrückenden Baggern entgegenstellen und für den Klimaschutz demonstrieren. Nach Angaben des NRW-Innenministeriums hält sich gegenwärtig eine Personenzahl "im unteren dreistelligen Bereich" in Lützerath auf.

Die lokale Initiative "Alle Dörfer bleiben" fordert ein "sofortiges Moratorium für jegliche Bergbau-Aktivitäten in Lützerath". Andernfalls werde "die Zivilgesellschaft Lützerath vor Ort mit zivilem Ungehorsam schützen müssen", heißt es auf der Homepage der Initiative.

Ein Dorf wird zum Symbol

Luisa Neubauer diskutiert mit Menschen im Dorf Lützerath bei Erkelenz über die Klimakrise und den Erhalt des Dorfes

Luisa Neubauer zu Besucht in Lützerath

Nach dem Hambacher Forst ist Lützerath zum neuen Symbol der Klimabewegung geworden. Teils prominente Klimaaktivisten aus aller Welt reisen zum Rand der gewaltigen Kohlegrube Garzweiler II. Erst am Mittwoch statteten im Vorfeld der UN-Klimakonferenz in Ägypten zwei Klimaaktive aus Honduras und El Salvador dem Dorf einen Besuch ab. Greta Thunberg war schon dort, und auch Fridays For Future-Sprecherin Luisa Neubauer fuhr nach ihrer viel beklatschten Rede auf dem Bundesparteitag der Grünen Mitte Oktober nach Lützerath.

Bei der Initiative "Alle Dörfer bleiben" ist der Groll mittlerweile groß: "Die Grünen haben sich von RWE über den Tisch ziehen lassen", so die Aktivistin Alexandra Büne. Mittlerweile könne man "die Politik der Grünen nicht mehr von der der vorherigen Regierung aus CDU und FDP unterscheiden".

Grüne Jugend rebelliert

Auch innerhalb der Grünen Partei deutet sich eine Spaltung an. Die Grüne Jugend NRW will bei einer Räumung von Lützerath die Dorfbesetzer unterstützen. Man stehe "an der Seite der vielfältigen Bewegung für den Erhalt von Lützerath", erklärte der Landesvorstand.

Die schwarz-grüne Landesregierung, allen voran der CDU-Innenminister Herbert Reul, geht von einer schwierigen Lage bei der Räumung aus, wie er den Innenausschuss des Landtags am Donnerstag wissen ließ. Eine "untere bis mittlere zweistellige Personenanzahl" sei unter den aktuellen Dorfbesetzern, die als potenziell gewaltbereit bewertet würde.

Es gebe bereits Mobilisierungsaufrufe für eine Unterstützung vor Ort am Tag der Räumung "durch verschiedene zivildemokratische und auch linksextremistisch beeinflusste Akteure im Bundesgebiet und im benachbarten europäischen Ausland", heißt es in einer Einschätzung des Innenministeriums.

Der Braunkohletagebau, die Dörfer und die Grünen

WDR RheinBlick 07.10.2022 26:19 Min. Verfügbar bis 05.10.2028 WDR Online


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Polizei will zweiten "Hambacher Forst" verhindern

Noch aber steht gar nicht fest, wann die Räumung stattfinden soll. "Zu gegebener Zeit" werde die Polizei die notwendigen Planungen aufnehmen, so Reuls Ministerium. Die geplanten Einsätze seien "insbesondere darauf ausgerichtet, friedlichen Protest zu schützen und auf gewalttätige Aktionen konsequent zu reagieren".

Polizisten stehen vor einem Baumhaus im Hambacher Forst

Traumatische Erinnerung: Räumung im Hambacher Forst

Das erinnert an die einstige Räumung des mit Baumhäusern besetzten Hambacher Forsts. Nicht nur die damaligen Besetzer, auch viele der eingesetzten Polizeikräfte denken mit unguten Gefühlen an den Großeinsatz im Herbst 2018 zurück. Es sei "völlig unvernünftig" gewesen, die Räumung anzuordnen, bevor überhaupt ein gerichtliches Urteil dazu vorlag, erinnert sich Michael Mertens, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei NRW. Die Folge waren Bilder von chaotischen Zuständen und viele frustrierte Polizeikräfte. Ein junger Mann stürzte bei einem Unfall in den Tod.

Das Verwaltungsgericht Köln stufte den Einsatz 2021 als rechtswidrig ein, im April 2022 ließ das Oberverwaltungsgericht eine Berufung zu.

Wer ruft die Polizei?

Diesmal müsse das besser laufen, sagt Polizeigewerkschafter Mertens. Dabei sei noch nicht einmal klar, wer die Räumung in Auftrag geben muss: Ob die Stadt Erkelenz, RWE oder die für den Bergbau zuständige Bezirksregierung Arnsberg. Erst, wenn eine dieser Parteien ein "Vollzugshilfeersuch" an die Polizei stelle, werde man mit der Vorbereitung des Einsatzes beginnen, sagt Mertens. Bis jetzt aber würden sich "alle Beteiligten so verhalten, als sei das nicht ihre Baustelle".

Abmontiertes Windrad

Windräder werden abmontiert

Die Vorbereitung eines solchen Einsatzes brauche mindestens zwei Monate, so Mertens: Um die nötige Infrastruktur zu schaffen, um Spezialkräfte zu organisieren, die zur Not Menschen aus Bäumen oder Tunneln holen können. Ohne sorgfältige Vorbereitung bestehe Gefahr für die Einsatzkräfte. "Wir haben im Hambacher Forst viel gelernt - weil der Einsatz auf einer umstrittenen Rechtsgrundlage stand und die Planungsphase damals viel zu kurz war."

Neues Konfliktpotenzial könnte durch den Abriss von Windrädern rund um Lützerath entstehen, der am vergangenen Wochenende gestartet ist - trotz Betriebsgenehmigungen bis 2024. Die Grüne Landtagsabgeordnete Antje Grothus forderte einen sofortigen Stopp dieser Maßnahme: In der aktuellen Energiekrise komme es auf jede Kilowattstunde erneuerbarer Energie an. "Hier werden ohne Not Windräder am Kohletagebau abgerissen." So werde der Konflikt um Garzweiler nur noch befeuert, fürchtet Grothus.