SPD nach der Wahl: Ratlose Ursachenforschung

Stand: 19.05.2022, 17:15 Uhr

Die Sozialdemokraten lagen bei der NRW-Landtagswahl unerwartet deutlich hinter der CDU. Parteimitglieder grübeln über die Ursachen und die schwache Wahlbeteiligung. Ein Stimmungsbericht.

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Es war ein Schlag in die Magengrube für die Sozialdemokraten. Nachdem Umfrageinstitute wochenlang ein knappes Rennen gemessen hatten, lag die SPD bei der Landtagswahl neun Prozentpunkte hinter der CDU. Aus der Genossen-Traum von einem rot-grünen Comeback in Nordrhein-Westfalen.

Markus Herbert Weske

SPD-Politiker Markus Weske aus Düsseldorf

Ein Sozialdemokrat, der am Sonntag den Wiedereinzug in den Landtag verpasste, ist Markus Weske aus Düsseldorf. 2012 gewann er den nördlichen Wahlkreis der Landeshauptstadt und war seitdem Abgeordneter. 2022 hat es nicht gereicht. An Spitzenkandidat Thomas Kutschaty habe es nicht gelegen, sagt Weske. Auch nicht am Engagement im Wahlkampf, man habe neue Veranstaltungsformate ausprobiert und wie andere Parteien viel plakatiert. "Es gab ja keine freie Laterne mehr im Wahlkampf."

Kein Mittel gefunden gegen den "grünen Flow"

Der "Bundestrend" habe nicht gerade geholfen, sagt er. "Kommunikationsprobleme" der Ampel-Regierung etwa beim Entlastungspaket und einen "Flow für die Grünen" nennt Weske als Ursachen. Bei der Wahlbeteiligung beobachtete er deutliche soziale Unterschiede in seinem Wahlkreis: Über 70 Prozent in "gut bürgerlichen" Vierteln mit vielen CDU-Wählern, deutlich mehr Wahlenthaltung hingegen in Stimmbezirken mit traditioneller SPD-Wählerschaft.

Einbruch im Vergleich zur Bundestagswahl

Dass die schwache Wahlbeteiligung gerade den Genossen geschadet hat, zeigt sich beim Gesamtergebnis: Bei der Bundestagswahl 2021 hatte die SPD in NRW knapp 2,9 Millionen Zweitstimmen geholt und mit 29,1 Prozent deutlich vor der CDU gelegen. Bei dieser Landtagswahl waren es nur 1,9 Millionen SPD-Zweitstimmen. Die CDU bekam bei Landtags- und Bundestagswahl in NRW jeweils etwa 2,5 Millionen Stimmen.

Fehlende Polarisierung

Er habe im Wahlkampf nicht das Gefühl gehabt, dass ein "gravierendes landespolitisches Thema" im Mittelpunkt gestanden hätte, sagt der frühere SPD-Landesminister Axel Horstmann. Die frühere Zuspitzung zwischen Rot-Grün einerseits und Schwarz-Gelb andererseits gebe es so nicht mehr.

Juso-Landesvorstandsmitglied Leonie Jabs: "Wir hätten möglicherweise stärker herausstellen sollen, dass man SPD wählen muss, wenn man Rot-Grün will." Nach diesem Ergebnis sollten die Ursachen klar aufgearbeitet werden. Jabs: "Und dabei sollte die Parteiführung auch die Verantwortung übernehmen. Wir stellen aber derzeit keine Rücktrittsforderungen."

Ihm seien die Gründe des schwachen Abschneidens der SPD "nicht ganz klar", sagt Wolfgang Wendland, SPD-Mitglied, Wattenscheider und Sänger der Punkband "Die Kassierer". Er selbst habe die "überlegte Reaktion" von Kanzler Olaf Scholz (SPD) auf den Krieg in der Ukraine als "sehr angenehm" empfunden, doch in Teilen der Wählerschaft sei das Vorgehen von Scholz möglicherweise als Zögern interpretiert worden. Der SPD habe im Wahlkampf zudem ein polarisierendes Thema gefehlt. Vielleicht habe es aber auch daran gelegen, dass die Grünen-Minister im Bund "telegener" seien.

Viele wollen nichts sagen

Auch der Landesvorstand in NRW beriet zu Wochenbeginn bereits über die Ursachen der Niederlage - ebenso die von 69 auf 56 Mitglieder zusammengeschrumpfte Landtagsfraktion. Die Aufarbeitung des schlechtesten SPD-Landtagswahlergebnisses der Landesgeschichte soll weitergehen. Beim Herumtelefonieren in der Partei fällt auf, dass viele sich nicht äußern wollen - auch solche, die sonst fast immer was zu sagen haben.

Wer vertraulich mit SPDlern spricht, hört viele Erklärungsversuche für die "fehlende Mobilisierung" (Kutschaty) des eigenen Wählerpotenzials: ein Rückzug ins Private mancher Wähler in (Klima-)Krisen- und Kriegszeiten, die Medien, das (zu schöne) Wetter am Wahlsonntag, das neue freundliche Image von Hendrik Wüst (CDU) im Wahlkampf, gegen das man kein Mittel gefunden habe. Neben Enttäuschung ist aber auch eine gewisse Ratlosigkeit spürbar.

Mit Bezug auf Kutschaty geht man trotz der Schlappe davon aus, dass er Landeschef bleibt. Es gebe nach den SPD-Personalquerelen der letzten fünf Jahre auch wenig Lust auf einen erneuten Wechsel, ist zu hören.

Und es ist ja auch nicht völlig ausgeschlossen, dass die Partei doch noch gebraucht wird für die Regierungsbildung in NRW, wenn CDU und Grüne nicht zusammenkommen. Am Freitag treffen sich in Düsseldorf die Landesspitzen von SPD und Grünen, um die aktuelle Lage zu bereden. Zudem unterhielt sich Kutschaty mit FDP-Landeschef Joachim Stamp.