Wie erreicht man Nichtwähler?

Stand: 17.05.2022, 18:11 Uhr

Von dieser Landtagswahl wird auch die historisch niedrige Wahlbeteiligung in Erinnerung bleiben. Wer sind eigentlich die Nichtwähler? Und wie kann man sie wieder an die Wahlurne bringen?

Von Rainer StriewskiRainer Striewski

Noch nie haben bei einer Landtagswahl in NRW so wenig Menschen ihre Stimme abgegeben: Landesweit lag die Wahlbeteiligung nur bei 55,5 Prozent der Wahlberechtigten. Gegenüber der letzten Landtagswahl 2017 ist das ein Rückgang von knapp zehn Prozent. Im Wahlkreis Duisburg III mit der schwächsten Wahlbeteiligung gingen sogar nur 38,1 Prozent der Stimmberechtigten an die Urne. Vor fünf Jahren hatte die Wahlbeteiligung hier noch bei 53,1 Prozent gelegen. "Das ist eine dramatische Entwicklung", findet Stefan Marschall, Politikwissenschaftler an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Wer sind die Nichtwähler?

"Der Nichtwähler ist ein schwer zu erreichendes Wesen", weiß Stefan Marschall. Da Nichtwähler sich ungern befragen ließen, sei es schwer, mehr über diese Menschen zu erfahren.

Was man aber weiß: Es gibt unterschiedliche Typen von Nichtwählern. Die, die von Wahl zu Wahl entscheiden, ob sie (nicht) wählen - und die, die grundsätzlich nicht wählen gehen.

Laut Robert Vehrkamp, Demokratieforscher bei der Bertelsmann-Stiftung, sind es vor allem die sozial prekären Milieus, die einkommensschwächeren und bildungsferneren Milieus, die sich zunehmend von der aktiven Wahlteilnahme verabschiedeten. Aber diese Erklärung allein reicht nicht mehr.

Warum gehen Menschen nicht zur Wahl?

Fragt man zufällig auf der Straße nach, so gibt es offenbar viele Gründe, warum viele Menschen am Sonntag nicht zur Wahl gegangen sind. Die Antworten reichen von "Keine Zeit gehabt." über "Ich war arbeiten." bis "Ich wusste nicht, wen ich hätte wählen sollen."

Demokratieforscher Robert Vehrkamp überrascht das Ergebnis dieser kleinen Zufalls-Umfrage nicht: "Sich zu entscheiden zwischen den einzelnen Parteien ist nicht ganz einfach", weiß er. Denn die natürlichen Parteibindungen von früher, etwa in der Familie oder im Freundeskreis, seien heute nicht mehr gegeben. "Deshalb fällt vielen Menschen die Entscheidung schwerer."

Hinzu kommt: Wegen des Ukraine-Krieges drangen landespolitische Themen im Wahlkampf kaum durch. "Wir werden jetzt bei den nächsten Landtagswahlen genau hinschauen, ob das ein Trend ist, der sich fortsetzt", erklärt Nico Siegel, Geschäftsführer des Wahlforschungsinstituts Infratest dimap. Zumindest würden die großen klassischen Volksparteien nun viele Anstrengungen unternehmen, diesen Trend umzukehren, ist sich Siegel sicher.

Ein Ansatz dazu wäre etwas mehr Schärfe in der Auseinandersetzung. "Man hätte sich in einigen Hinsichten einen stärker polarisierenden Wahlkampf wünschen können", meint Politikwissenschaftler Stefan Marschall - so dass "ein Duell stattfindet, kein Duett".

Wie kann man Nichtwähler wieder an die Urne bringen?

"Vielleicht ist das traditionelle Modell des Wahlsonntags, in dem von 8 bis 18 Uhr in der Nachbarschaft gewählt wird, nicht mehr so ganz zeitgemäß", vermutet Demokratieforscher Robert Vehrkamp. Er schlägt deshalb vor, die Art, wie wir wählen, besser an die Lebensgewohnheiten der Menschen anzupassen - etwa indem einige Wahllokale schon Tage vor dem Wahltermin öffnen.

Die Wahl-Teilnahme könnte auch dadurch erleichtert werden, indem die Briefwahlunterlagen automatisch mit den Wahlbenachrichtigungen verschickt werden, ohne extra angefordert werden zu müssen - so wie es etwas die Schweiz bei ihren regelmäßigen Volksabstimmungen macht. Das Motto ist: die Hürden für eine Teilnahme an Wahlen senken.

In den USA geschieht in republikanisch regierten Bundesstaaten gerade das Gegenteil: Die Hürden für eine Teilnahme an Wahlen werden gerade deutlich erhöht - um Afroamerikaner und Latinos, die häufig demokratisch wählen, das Wählen zu vergällen.

Robert Vehrkamp empfiehlt außerdem eine Bündelung von Wahlterminen. Einzeln stattfindende Kommunal- und Landtagswahlen seien seiner Meinung nach eigentlich aus der Zeit gefallen. 

Wie kann man Erstwähler zur Wahl führen?

"Wählen will auch gelernt sein", betont Vehrkamp. Würde man das Wahlalter absenken und damit die Erstwahl in die Schulzeit verlegen, könnte man so auch Jugendliche aus eher wählerfernen Milieus an die Wahl heranführen. Denn: "Wir wissen aus der Wahlforschung, dass derjenige, der bei seiner ersten Wahl an der Wahl teilgenommen hat, das auch in seinem weiteren Lebensverlauf sehr regelmäßig tut."

Darauf setzt auch das Projekt der "Juniorwahl". Weil sie selber noch nicht wahlberechtigt sind, haben 150.000 Schülerinnen und Schüler an weiterführenden Schulen parallel zur Landtagswahl einfach ihre eigene Wahl durchgeführt - organisiert vom überparteilichen Verein Kumulus, dem Landtag und der Landeszentrale für politische Bildung. Dafür hatten sich die Schülerinnen und Schüler in den vergangenen Wochen im Unterricht intensiv mit Demokratie, Landespolitik und Wahlen beschäftigt. Und das wirkte sich auch auf die Wahlbeteiligung aus. Die lag bei erfreulichen 72,3 Prozent.