Ist NRW wirklich sicherer geworden?

Stand: 13.05.2022, 12:20 Uhr

Nordrhein-Westfalen sei sicherer geworden, sagt Hendrik Wüst (CDU) im TV-Duell. Denn die Kriminalität sei zurückgegangen. Und diese Entwicklung sei auch ein Verdienst der Landesregierung. Stimmt das?

Von Anna Kirberich, Tom Klees und Lucas Tenberg

Hendrik Wüst (CDU): "Wir haben dafür gesorgt, dass Nordrhein-Westfalen so sicher ist wie seit 35 Jahren nicht mehr."

Bewertung: Der Blick in polizeiliche Kriminalstatistik 2021 zeigt, dass Hendrik Wüst mit den Zahlen prinzipiell recht hat. Demnach sind die Fallzahlen mit insgesamt 1.201.472 Delikten (minus 1,2 Prozent) so niedrig wie zuletzt 1985. Auch die von Wüst in der Diskussion angesprochene Zahl der Wohnungseinbrüche in NRW hat sich um 70 Prozent reduziert – im Vergleich zu 2015. Ähnlich gut lesen sich 2021 die Zahlen für Fälle von Straßenkriminalität. 273.267 Fälle wurden registriert, ein Minus von sechs Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Laut der Statistik gab es seit 1990 keinen niedrigeren Wert bei der Straßenkriminalität.

Der Einwand von SPD-Spitzenkandidat Thomas Kutschaty (SPD) auf die Aussagen Wüsts folgte in der Debatte aber direkt: "70% weniger Wohnungseinbrüche, das ist kein Wunder, wenn Corona ist und alle im Homeoffice sind. Mich wundert, dass sie die Anzahl der Ladendiebstähle nicht als Beispiel genannt haben. Auch dass die zurückgegangen sind, ist kein Wunder, wenn die Geschäfte mehrere Monate zu hatten."

Bewertung: Bestätigt wird das auch vom Bund deutscher Kriminalbeamter. Auf Anfrage teilte deren Sprecher Oliver Huth dem WDR mit: "Die letzte veröffentlichte polizeiliche Kriminalstatistik ist sicherlich keine Messgröße für den Zustand der inneren Sicherheit. ,Keine Kneipenschlägerei ohne Kneipe' - das Motto der Pandemie aus Sicht der Fallzahlenentwicklung. Den Rückgang der Fallzahlen haben wir auch bei der Straßenkriminalität zu verzeichnen gehabt. Ebenso beim Thema Geldautomatensprengung. Die gesellschaftlichen Restriktionen haben verschiedene Kriminalitätsformen unterdrückt."

Allerdings sei die Zahl der Wohnungseinbrüche aber auch schon vor Pandemiebeginn zurückgegangen. Laut Huth hatte das aber verschiedene Gründe: "Die staatlich geförderte technische Sicherheitsausstattung der Wohneinheiten, die Schließung der Balkanroute, intensivere Grenzkontrollen, Ermittlungen mit Intensivtäterkonzepten, ganzheitliche Verfolgung der Straftäter durch die Justiz, dürften Ursachen dafür sein. Den Rückgang verzeichnen mehrere Bundes- und europäische Länder." Kriminologe Prof. Thomas Feltes von der Ruhr-Uni Bochum weist zudem darauf hin, dass seit 10 bis 15 Jahren bundesweit in vielen Deliktbereichen die Fälle zurückgehen, egal unter welcher Regierung. Feltes kritisiert außerdem, dass man aus der Kriminalstatistik keine Rückschlüsse auf politische Maßnahmen ziehen könne. "Die Kriminalstatistik ist ein Arbeitsnachweis der Polizei und hängt dementsprechend davon ab, wie die Polizei ihre Arbeit gestaltet und ihre Schwerpunkte setzt", so der Kriminologe gegenüber dem WDR. Wüst würde durch seine Aussage einen kausalen Bezug zwischen politischen Maßnahmen und der Kriminalitätsentwicklung herstellen, der so wissenschaftlich nicht haltbar sei.

Fazit: Ja, Hendrik Wüst hat recht, wenn er sagt, dass die Kriminalität in NRW so niedrig wie seit 35 Jahren nicht mehr ist. Dass der aktuelle Rückgang allerdings nur ein Erfolg seiner Regierung ist, stimmt so nicht. Laut BdK habe die Landesregierung die Polizei im Bereich Digitalisierung und Ausstattung auf neue Wege geführt. Viele gute Projekte seien dabei entstanden und wurden umgesetzt. Aber: "Auch im Jahr 2020 hatte das Land NRW die schlechteste Aufklärungsquote aller Flächenländer und landet auf dem 12. Platz vor den Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin. Das hat sich 2021 trotz des enormen Rückgangs der Fallzahlen fortgesetzt", so Huth.

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