Tödliche Polizeischüsse in Dortmund: Viele Fragen an Innenminister Reul

Stand: 23.08.2022, 18:31 Uhr

NRW-Innenminister Reul (CDU) hat im Landtag den Abgeordneten zu den tödlichen Schüssen auf einen 16-Jährigen in Dortmund Rede und Antwort gestanden. Einiges wurde geklärt, vieles blieb offen.

Von Sabine Tenta und Thomas Drescher

Die tödlichen Schüsse aus der Maschinenpistole eines Polizisten auf einen 16-jährigen senegalesischen Geflüchteten in Dortmund beschäftigten am Dienstag den NRW-Landtag. In einer von der SPD-Opposition beantragten Sondersitzung des Hauptausschusses stellte sich NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) den Fragen der Abgeordneten.

Formal zuständig für Polizei-Angelegenheiten ist eigentlich der Innenausschuss des Landtags. Da dieser aber noch nicht konstituiert ist, wurde das Thema im Hauptausschuss behandelt.

Reul bedauert Tod des 16-Jährigen

In einem Eingangsstatement bedauerte Reul den Tod des 16-Jährigen und sprach den Angehörigen sein Beileid aus. Es sei für die Familie im Senegal besonders tragisch, dass der Jugendliche in einem weit entfernten Land zu Tode gekommen sei - und dann noch durch Schüsse der Polizei, so Reul. Er stehe im ständigen Kontakt zur Botschaft des Senegal.

Herbert Reul

Herbert Reul

Dann schilderte Reul die Abläufe in Dortmund: Am Montag, den 8. August, sei nach 16 Uhr der Notruf eines Betreuers bei der Polizei eingegangen. Der 16-Jährige habe sich ein circa 15 bis 20 Zentimeter langes Messer vor den Bauch gehalten, wahrscheinlich in Suizidabsicht.

Die Beamten seien auf dem Weg zum Einsatzort darüber informiert worden. Ebenfalls zu Einsatzbeginn sei der Polizei bekannt gewesen, dass der jugendliche Geflüchtete ohne deutsche Sprachkenntnis sei und zuvor in der Jugendhilfe des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) war. Der Geflüchtete sei vor Ort auf Deutsch, Englisch und Spanisch angesprochen worden, berichtete Reul. Amtssprache im Senegal ist aber Französisch.

Reizgas und Taser eingesetzt?

Im Verlauf des Einsatzes habe die Polizei Reizgas und einen Taser eingesetzt, wobei es auch zu einer Stromabgabe gekommen sei. Warum weder Reizgas noch Stromstoß den jungen Mann gestoppt haben, bleibt weiter unklar. Aus einer Maschinenpistole des Typs MP5 habe ein Polizist sechs Schüsse abgefeuert, davon trafen fünf das Opfer im Gesicht, am Unterarm, in den Bauch und in der Schulter. Der Senegalese verstarb im Krankenhaus.

Gegen den Beamten, der die tödlichen Schüsse abgab, werde wegen gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge ermittelt. Reul bekräftigte, er sei von Unabhängigkeit und Neutralität der Ermittlungen überzeugt. Geleitet werden sie von der Staatsanwaltschaft.

Einsatz von Taser und Bodycams

Die Beamten trugen wohl Bodycams, bislang hieß es, diese seien nicht eingeschaltet gewesen. Dazu sagte Reul im Ausschuss, das könne er weder bestätigen noch dementieren. Die Kameras würden dann nicht eingeschaltet, wenn "Kernbereiche der Persönlichkeitsrechte berührt sind", erklärte der Minister und vermutet, dass die Suizidabsicht dazu gehören könnte. Ob das aber die konkrete Absicht der Beamten war, wisse er nicht. Laut NRW-Polizeigesetz sei der Sinn der Bodycams die Deeskalation und nicht die Dokumentation des Einsatzgeschehens.

Zu Presseberichten über möglicherweise defekte Akkus der NRW-Bodycams sagte Reul, alle Geräte seien einsatzfähig gewesen. Nur bei einigen sei vorsorglich der Akku ausgetauscht worden.

Im Koalitionsvertrag zwischen CDU und Grünen ist auch festgehalten, dass "Distanzelektroimpulsgeräte", wie die Taser auch genannt werden, mit den Bodycams gekoppelt werden. Umgesetzt ist dieses automatische Auslösen der Bodycam-Aufnahme jedoch noch nicht. Nach Aussage von Reul soll es vor einer flächendeckenden Einführung auch zunächst eine wissenschaftliche Evaluation dazu geben.

Der Einsatz der Maschinenpistole

Besonders strittig ist die Verwendung einer Maschinenpistole bei dem Polizei-Einsatz in Dortmund. Dazu sagte Reul, rein rechtlich gebe es keinen Unterschied zwischen einer herkömmlichen Pistole und einer Maschinenpistole. Letztere gehöre zur Standardausstattung eines Streifenwagens.

Nach einem Erlass ist jedoch nur die Abgabe einzelner Schüsse zulässig, Dauerfeuer sei per Erlass verboten. Das Ziel sei, Angreifer kampfunfähig zu machen. Um die Waffe auf Dauerfeuer umzustellen, benötige man beide Hände, erklärt Polizeiinspekteur Michael Schemke dem Ausschuss. Das sei kein einfacher Handgriff sondern "extrem aufwändig".

Viele konkrete Fragen

Auf Nachfrage der Abgeordneten sagte Innenminister Reul, der Umgang mit psychisch auffälligen Personen sei Teil der Grundausbildung bei der Polizei. Die Beamten lernten, auffälliges Verhalten zu erkennen und damit umzugehen. Bei der Früherkennung solcher Personen setzt der Minister auch auf das NRW-Projekt Periskop. Warum der Jungendliche trotz seiner psychischen Auffälligkeit nicht in einer Klinik war, ist Teil der Ermittlungen.

Immer wieder hat Reul die konkreten Fragen der Abgeordneten jedoch nicht mit dem Hinweis auf die laufenden Ermittlungen beantwortet. Durch die Fragen der Abgeordneten deuteten sich Optionen an, wie die Polizei bei künftigen Fällen anders handeln könnte: Wurde ein Dolmetscher und ein Psychologe hinzugezogen? Der Einsatz des SEK erwogen? Kennen die Beamten vor Ort die besondere Ausstattung des SEK mit Messerschutzanzügen und Distanzstangen?

Nach über zwei Stunden intensiver Diskussion im Ausschuss ist am Ende klar, dass der Landtag sich auch künftig mit der Aufklärung des Falls befassen wird, sowie mit der Frage, was künftig besser laufen kann und muss.

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