Frühwarnsystem: So versucht die NRW-Polizei Amoktaten zu verhindern
Stand: 09.06.2022, 15:32 Uhr
Lassen sich Amokfahrten wie in Münster und jetzt mutmaßlich in Berlin verhindern? Die NRW-Polizei versucht es mit "Periskop" - einem interdisziplinären Austausch, um Menschen in Not zu erkennen.
Von Sabine Tenta
Münster, Trier, Volkmarsen, Würzburg, Berlin - die Liste der Amoktaten von mutmaßlich psychisch kranken Einzeltätern ist mit der jüngsten Amokfahrt am Kurfürstendamm um ein trauriges Kapitel erweitert worden. Ein Versuch, dies zu verhindern, ist das vom NRW-Landeskriminalamt entwickelte Früherkennungsprogramm "Periskop" oder wie die Polizei es schreibt "PeRiskoP" - denn es ist die Abkürzung für "Personen mit Risikopotenzial".
Ein Periskop ermöglicht mit verwinkelten Spiegeln den Blick um die Ecke. Bei U-Booten oder Panzern beispielsweise diente es einst der Früherkennung von Gefahren. Und genau das soll das Landesprogramm auch leisten. Konkret geht es um Amoktaten, Stalking, häusliche Gewalt und ähnliche Delikte. In einer Pilotphase haben die Kreispolizeibehörden in Münster, Kleve und Bielefeld das Konzept seit März 2021 getestet. Im Mai 2022 wurde es dann für alle 47 Kreispolizeibehörden in NRW eingeführt.
So funktioniert "Periskop"
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) erklärt im WDR den Grundgedanken der Periskop-Prävention: Es gehe um "Menschen, die schon mal gewalttätig gewesen sind, die aufgefallen sind, nicht mit großen Straftaten, aber gewalttätig sind oder Menschen, die mit psychischen Auffälligkeiten umherlaufen". Und wenn "man merkt, das kommt zusammen, dann guckt man sich die an und fragt: Müssen wir uns darum kümmern?" Das bedeute aber nicht, dass sich die Polizei darum kümmern muss, betont Reul, es könne auch psychologische oder psychiatrische Hilfe sein. "Die Polizei darf immer nur dann eingreifen, wenn es um ganz konkrete Gefahrenabwehr geht."
Wichtig sei darum der Austausch der Polizei mit weiteren Behörden und Institutionen, wie Gesundheits- oder Jugendämtern. In der Pilotphase des Projekts habe man beispielsweise einen Menschen identifiziert, der sich auffällig häufig über Amoktaten informiert habe. Ihm habe man helfen können, so Reul. Es habe weitere erfolgreiche Fälle gegeben, über die er aber aus Datenschutzgründen nicht reden dürfe.
Suche nach Menschen in Not, nicht nach Tätern
Die Kriminalpsychologin Karolin Roshdi aus Darmstadt warnt im WDR: "Man muss aufpassen, dass man nicht anfängt zu sagen: Wir suchen nach Tätern." Es gehe um Menschen in Not, die Warnsignale aussenden und für die man Lösungen suchen müsse.
Roshdi sagt, dass zwischen 90 und 95 Prozent der Amoktäter zuvor Anzeichen gezeigt hätten. Den Versuch, durch koordinierte Früherkennung zu versuchen, Taten zu verhindern, begrüßt die Wissenschaftlerin. Sie wendet ein, dass es zwar sehr personalintensiv sei, aber durch ein Netzwerk von Fachleuten könne diese Arbeit auch auf mehrere Schultern verteilt werden. Wichtig sei es, dranzubleiben und hilfsbedürftige Menschen nicht aus den Augen zu verlieren.
Präventionsarbeit auch in anderen Bundesländern
Kriminalpsychologin Roshdi spricht im Zusammenhang mit der Früherkennung auch von "Bedrohungsmanagement". Das Konzept werde ungefähr seit dem Jahr 2000 in Europa vermehrt verfolgt. So gebe es beispielsweise bereits seit längerem in Bayern regionale Einrichtungen zum Bedrohungsmanagement.
Auch NRW ist im Austausch mit anderen Bundesländern und dem Bundeskriminalamt. Minister Reul verweist auf eine entsprechende Arbeitsgruppe zwischen dem Bund und den Ländern. Denn, so Reul: "Wir wollen nicht ohnmächtig zusehen, dass was passiert, ohne dass wir uns gekümmert haben."
Über das Thema berichtet auch die Aktuelle Stunde im WDR Fernsehen um 18.45 Uhr.