NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Bündnis 90/Die Grünen) und Ministerpräsident Henrik Wüst bei der 42. Sitzung des NRW-Landtags

Halbzeit: Wie gut performt die NRW-Regierung?

Stand: 18.12.2024, 06:00 Uhr

Vor zweieinhalb Jahren hat die erste schwarz-grüne Regierung in NRW ihre Arbeit aufgenommen. Was hat sie seitdem erreicht?

Von Martina KochMartina KochSelina MarxSelina Marx

Sie sind als Experiment gestartet: Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und seine Stellvertreterin und Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne). Nie zuvor haben CDU und Grüne in Nordrhein-Westfalen gemeinsam regiert. Heute gibt Neubaur unumwunden zu: "Da steckt ordentlich Arbeit dahinter. Es war von vorneherein klar, dass das zwei Pole miteinander verbinden muss."

Vision der klimaneutralen Wirtschaft

Aus den beiden Polen ist eine gemeinsame Vision geworden: NRW soll der erste klimaneutrale Industriestandort Europas werden. Doch dieses große Ziel scheint durch das Aus der Ampel-Regierung in Berlin in weite Ferne zu rücken. Der Kohleausstieg wackelt - auch weil eine Gaskraftstratgie der Bundesregierung fehlt.

Dafür könnte die Regierung es noch gerade so schaffen 1.000 neue Windräder bis 2027 aufzustellen. Darauf deuten die Genehmigungen hin: 2023 wurde die Erlaubnis für den Bau von mehr als 300 neuen Windrädern erteilt. In diesem Jahr sind es bis Ende Oktober 588. Danach dauert es im Durchschnitt rund zwei Jahre, bis ein Windrad gebaut und in Betrieb genommen ist. 

Grüne Verkehrswende?

Im Kapitel zum Verkehr im Koalitionsvertrag ist die grüne Handschrift deutlich erkennbar: neue Radwege, eine Erhöhung des ÖPNV um 60 Prozent, ein flächendeckendes Schnellbusnetz und gleichzeitig so wenig neue Straßen wie möglich.

FDP hält nichts von "Sanierung vor Neubau"

Letzteres ist einer der Hauptkritikpunkte der FDP im NRW-Landtag. Viele Gutachten legten nahe, dass sich der LKW-Verkehr auf den Hauptachsen von Bundesstraßen und Autobahnen bis zum nächsten Jahr verdopple, erklärt Christof Rasche, verkehrspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion. Seine Sorge: "Betriebe und auch der Mittelstand sind dann gezwungen, sich woanders anzusiedeln, wo der Verkehr noch läuft."

Tatsächlich läuft der in NRW aktuell nur schleppend. Auf den Schienen sieht es nicht besser aus: ein Zugausfall nach dem anderen.

Für Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) liegt das an den zu komplizierten Planungsverfahren: "Wir sind ein sehr dicht besiedeltes Land. Da haben Sie es mit den Interessen ganz vieler Menschen zu tun und die in Ausgleich zu bringen, ist in Deutschland einfach zu kompliziert geworden. Deswegen ist Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung leider ein Dauerthema, das uns auch heute noch beschäftigt."

Die Landesregierung ist hinter ihren eigenen Ansprüchen zurückgeblieben. Gerade einmal 37 Schnellbuslinien sind bisher in Betrieb gegangen und nur rund 250 der versprochenen 1.000 Kilometer Radwege neugebaut worden.

Krankenhausplanung reformiert

Ein Mammutprojekt von Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) ist kurz vor Jahresende fertig geworden: Die Krankenhausreform. Ein neuer Plan soll Doppelstrukturen abbauen, die Kliniken sollen sich mehr spezialisieren. 308 Krankenhäuser finden sich in Laumanns Plan wieder, verteilt auf 527 Standorte.

Karl-Josef Laumann (CDU), NRW's Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales, bei Pressekonferenz zu neuer Krankenhausplanung

In Ministerium und Bezirksregierungen gab es viel zu tun, denn die Häuser hatten die Möglichkeit, selbst Vorschläge zu machen, welche Behandlungen sie künftig anbieten wollen. Die Behörden haben die Stellungnahmen in mehreren Runden ausgewertet und nun steht der Plan.

Größere Veränderungen wird es im Bereich Orthopädie geben, also bei Hüft- und Knie-OPs, die von deutlich weniger Kliniken angeboten werden sollen. Auch bestimmte Krebsbehandlungen werden gebündelt, vor allem bei Leber- und Speiseröhrenkrebs. Der Gesundheitsminister verspricht aber auch, dass mindestens 90 Prozent der Menschen in NRW im Notfall schnell ein Krankenhaus erreichen sollen, und zwar innerhalb von 20 Autominuten. 

Mehr Polizisten eingestellt

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU)

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU)

Anders sieht es bei der CDU und ihrem Kernthema Sicherheit aus. Innenminister Herbert Reul (CDU) konnte das Regierungsversprechen, jährlich 3000 neue Polizeianwärter einzustellen, einhalten. Seine Bilanz bei der Bekämpfung der Clankriminalität ist hingegen eher durchwachsen. Von 2022 auf 2023 stiegen die Straftaten von kriminellen Clanmitgliedern um knapp sieben Prozent.

Kehrtwende in der Migrationspolitik

Einen großen Einschnitt stellte im August das islamistische Attentat von Solingen mit drei Toten für die Landesregierung dar. Schnell brachte sie ein 400 Millionen Euro schweres Paket auf den Weg und verabschiedete sich damit gleichzeitig von ursprünglich vereinbarten Zielen in der Migrationspolitik. Für die Grünen bedeutet das: eine Kehrtwende.

Denn eigentlich sollte das Bleiberecht für Geflüchtete breit ausgeschöpft werden und eine Abschiebehaft nur das äußerste Mittel sein. Zudem sollten Geflüchtete nach maximal sechs Monaten auf die Kommunen verteilt werden.

Mit dem neuen Maßnahmenpaket hingegen werden Abschiebungen beschleunigt, eine weitere Abschiebehaftanstalt gebaut und Sicherheitsbehörden, wie etwa der Verfassungsschutz, gestärkt.

AfD hält Sicherheitspaket für verspätet

Martin Vincentz (AfD) Fraktionsvorsitzender NRW

Martin Vincentz (AfD) Fraktionsvorsitzender NRW

Für die AfD kommt das Sicherheitspaket zu spät. "Das sind Schritte, die längst überfällig sind und die wir auch seit Jahren schon fordern. Es ist maximal traurig, dass es erst so einen Anlass braucht, damit die CDU reagiert und sich die Grünen zumindest geschlagen geben.", sagt AfD-Fraktionschef Martin Vincentz.

Dass die Maßnahmen den Grünen einiges abverlangt haben, bestätigt Neubaur im Westpol-Interview. Gerade beim Thema Migration gebe es Diskussionen: "Da streiten wir sehr intensiv intern miteinander um die beste Lösung."

Sparen trotz Rekordhaushalt

Finanziell sind für die zweite Halbzeit der schwarz-grünen Koalition eher keine großen Sprünge drin. Schon im laufenden Jahr waren die Steuereinnahmen geringer als ursprünglich kalkuliert, für 2025 bis 2028 sind weitere Rückgänge zu erwarten.

Marcus Optendrenk (CDU), Finanzminister von Nordrhein-Westfalen

Deshalb nutzt Finanzminister Optendrenk (CDU) Ausnahmen bei der Schuldenbremse, um dennoch neue Kredite aufnehmen zu können. Das führt zu einem Rekordhaushalt 2025 mit gut 105 Milliarden Euro. Trotzdem wird an vielen Stellen gespart, was der Regierung lautstarke Kritik von Sozialverbänden eingebracht hat. Obwohl hier kurzfristig nachgebessert wurde, fehlt es vielen Initiativen weiterhin an Geld.

Auch angedachte eigene Projekte der Landesregierung stehen in den Sternen. So sind ein weiteres beitragsfreies Kita-Jahr oder kostenlose Schulessen für alle Schüler nach aktuellem Stand nicht zu finanzieren. Viel Geld fließen soll aber auf jeden Fall für die Kommunen. Hier will das Land auf jeden Fall seinen Anteil am Abbau der Altschulden tragen - selbst wenn der Bund noch nicht über seine Beteiligung entschieden hat. Das kostet 250 Millionen Euro jährlich ab 2025.

CDU und Grüne regieren geräuschlos

Auf den Umgangston in der Öffentlichkeit haben die internen Reibereien und inhaltlichen Unterschiede bisher keinen Einfluss. So konnte die NRW-Regierung ein Gegenbild zur zerstrittenen Bundesregierung aufbauen.

Das zahle vor allem auf Ministerpräsident Hendrik Wüst ein, analysiert Politikwissenschaftler Martin Florack. Wüst sei bekannt und populär, wohingegen die Grünen als kleiner Koalitionspartner um Aufmerksamkeit kämpfen müssten und es schwer hätten sich neben dem großen Koalitionspartner zu profilieren.

Halbzeit: Eine Zwischenbilanz von Schwarz-Grün

18 Millionen. Der Podcast für Politik in NRW 13.12.2024 36:11 Min. Verfügbar bis 12.12.2029 WDR Online


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Bildung als Schwerpunkt für 2025

Im kommenden Jahr will die schwarz-grüne Landesregierung, trotz aller Sparzwänge, ihren Fokus auf die Bildung legen. Dafür gibt sie in dem Bereich so viel Geld aus wie nie. Ebenfalls schon umgesetzt ist das Wahlversprechen, dass Grundschullehrer so viel wie Lehrer an weiterführenden Schulen verdienen sollen. Gleichzeitig sind aktuell noch 8000 Lehrerstellen unbesetzt.

Notlage in Kitas

Und in den Kitas sieht es noch schlechter aus. Es fehlt an Personal und damit an genügend Betreuungsplätzen. Von einem kostenlosen Mittagessen oder gar einem beitragsfreien dritten Kitajahr ist die NRW-Regierung weit entfernt.

Gemischte Bilanz

Und so fällt die Bilanz der Regierung bisher gemischt aus, urteilt Politikwissenschaftler Martin Florack. "Man kann sagen, dass 50 Prozent der Maßnahmen umgesetzt oder angefasst und in Bearbeitung sind. Aber es gibt auch einige Dinge, die nicht mehr funktionieren werden oder die anders kommen als man sich das vorgestellt hat."

Tatsächlich ist die Erfolgsbilanz der schwarz-grünen Regierung eher durchwachsen. Ihr Pfund bleibt die gute und vertrauensvolle Stimmung, die sie nach außen transportiert.

Halbzeitbilanz schwarz-grün

Westpol 15.12.2024 20:09 Min. UT DGS Verfügbar bis 15.12.2029 WDR Von Martina Koch, Selina Marx, Henrik Hübschen