"Natürlich stecken auch Chancen in der Bezahlkarte", sagte Paul am Dienstag. So könnte die Bezahlkarte etwa zu Erleichterungen für Geflüchtete führen, weil sie sich dann nicht mehr zu bestimmten Zeiten an bestimmten Stellen anstellen müssten. Wichtig sei aber, dass die Karte tatsächlich zu einer Verringerung des Verwaltungsaufwandes führe, so Paul.
Die Menschen kämen in Not nach NRW und Deutschland und "nicht aus Jux und Tollerei", hatte NRW-Sozialminister Karl-Josef Laumann von der CDU im Oktober noch gesagt. Flüchtlingsministerin Josefine Paul von den Grünen hatte damals eine Karte noch abgelehnt. Vor Einführung einer Karte, so Paul im Herbst letzten Jahres, müsse geklärt werden, "inwiefern eine solche Lösung nicht einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Ausübung der persönlichen Lebensgestaltung sowie des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bedeutet".
Am Mittwoch betonte Paul gegenüber dem WDR, sie habe eine Karte nie rigoros abgelehnt, sondern nur Bedenken angemeldet. Die Erwartungen an die Bezahlkarte dürften nicht zu hoch gehängt werden, es gehe darum, die illegale Migration zu senken. Die Bezahlkarte sei nur "ein Baustein". Um die Migration zu begrenzen, brauche es ein "Gesamtpaket". Die Karte müsse "diskriminierungsfrei" sein, Asylsuchende also weiterhin in der Lage sein, "alle Dinge des täglichen Lebens bekommen zu können".
Nur Bayern und Mecklenburg-Vorpommern machen nicht mit
Fakt ist: NRW nimmt nun an dem Ausschreibungsverfahren der Länder für einen gemeinsamen technischen Dienstleister teil. 14 von 16 Bundesländern sind dabei, nur Bayern und Mecklenburg-Vorpommern wollen eigene Modelle entwickeln. Bereits im November hatten sich die Ministerpräsidenten der Länder und Bundeskanzler Olaf Scholz darauf verständigt, dass Asylbewerber in Deutschland mindestens einen Teil ihrer Leistungen künftig als Guthaben auf einer Bezahlkarte bekommen sollen. Am Dienstag erzielte die Ministerpräsidenten-Konferenz (MPK) dann den Durchbruch.
"Mit der Einführung der Bezahlkarte senken wir den Verwaltungsaufwand bei den Kommunen, unterbinden die Möglichkeit, Geld aus staatlicher Unterstützung in die Herkunftsländer zu überweisen, und bekämpfen dadurch die menschenverachtende Schlepperkriminalität", zählt Hessens Ministerpräsident Boris Rhein auf, aktuell Vorsitzender der MPK. Wie hoch das Guthaben auf der Karte sein soll und wie viel Geld weiterhin bar ausgezahlt wird, sollen die Länder selbst entscheiden.
Ziel: Überweisungen in Herkunftsländer nicht mehr möglich
Da keine Karte-zu-Karte-Überweisungen und Überweisungen im In- und Ausland mehr möglich sein sollen, erhoffen sich einige Bundesländer, Anreize für illegale Migration nach Deutschland zu senken. Insbesondere soll verhindert werden, dass Schutzsuchende Geld aus staatlicher Unterstützung in Deutschland an Angehörige und Freunde im Herkunftsland überweisen - was mitunter als Hauptanreiz einiger Flüchtlinge für die Einreise nach Deutschland betrachtet wird.
Die Auswirkungen einer Bezahlkarte müssen wissenschaftlich aber erst noch erforscht werden, sagt etwa Wirtschaftswissenschaftler Paul Poutvaara vom Münchner Ifo-Institut. Zwar könne die Einführung einer Bezahlkarte Deutschland als Zielland weniger attraktiv machen, allerdings gebe es bisher keine Erkenntnisse über die Effekte einer solchen Reform. Daher sei es wichtig, nun parallel zur Einführung zu erforschen, ob sie die gewünschten Auswirkungen habe.
Deutliche Kritik kommt vom NRW-Flüchtlingsrat, dessen Geschäftsführerin Birgit Naujoks die Bezahlkarte ablehnt. Ein solches Modell sei "selbstverständlich diskriminierend", da den Menschen die autonome Entscheidung genommen werde, wofür sie ihr Geld ausgeben wollen würden. Wenn die Bezahlkarte nun auch in NRW wirklich komme, hoffe sie wenigstens darauf, dass diese bundesweit nutzbar sei, man Geld unbegrenzt abheben könnte und diese nicht für Waren oder Dienstleistungen eingeschränkt sei.
Dass durch eine Bezahlkarte dazu führe, dass die illegale Migration nach Deutschland gesenkt werde, hält Naujoks für "Quatsch". Es seien Push- und nicht Pull-Faktoren, die die Menschen nach Deutschland treiben würden. Außerdem könnten Asylsuchende, die Grundleistungen in Deutschland beziehen, "eh nicht im nennenswerten Umfang Überweisungen tätigen".
Forscher: Nur wenige überweisen Geld in ihre Heimat
Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch der Sozialforscher Herbert Brücker vom Berliner Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Nur ein sehr kleiner Anteil der Geflüchteten überweise Geld ins Herkunftsland, was seiner Meinung nach auch eher ein Bleibeanreiz für die Angehörigen sei. Die Erwartung der Politik, dass die Bezahlkarte Migration einschränken könne, werde seiner Einschätzung nach nicht eintreten. Eher hätte es negative Auswirkungen für die Flüchtlinge, die bereits hier leben. Je nach Ausgestaltung könne es sich zudem negativ auf die Integration auswirken und Diskriminierung fördern.
Brücker kritisiert das Vorhaben der Politik scharf. Es sei nicht sachgerecht, es gebe keine empirische Evidenz für diese Themen, sagt der Sozialforscher. "Es werden Anekdoten in den Raum gestellt, die oft auf Vorurteilen beruhen und damit werden dann solche Maßnahmen begründet. Das halte ich für falsch."
In Hannover und Greiz gibt es schon Bezahlkarten
In einigen Landkreisen Deutschlands gibt es ein Bezahlkarten-Modell bereits, etwa im Ortenaukreis in Baden-Württemberg oder in Hannover, wo die Stadt Sozialleistungen per Überweisung auf die sogenannte "Social Card" gutschreibt. Ein System, das auch Birgit Naujoks vom NRW-Flüchtlingsrat lobt, da es so einigen Menschen ermöglicht werde, ein Bankkonto zu eröffnen, die dazu sonst nicht die Möglichkeit hätten.
Im Landkreis Greiz in Thüringen berichtet das Landratsamt, dass die Abreise von Asylsuchenden sich mit der Einführung einer Bezahlkarte verstetigt hätte. 15 Betroffene, die bisher ihre monatliche Unterstützung abgeholt hätten, hätten sich einfach nicht mehr gemeldet. Landrätin Schweinsburg von der CDU sagte im ZDF, dadurch trenne sich die Spreu vom Weizen.
Es gibt jedoch auch Kritik an den Plänen. Brandenburgs Integrationsbeauftragte Lemmermeier bezeichnete die Pläne als eine "Art von Diskriminierung", da Menschen nicht zugetraut würde, mit Geld verantwortlich umzugehen. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Alabali-Radovan, warnte mit Blick auf die geplante Umstellung von Bargeldzahlungen auf Bezahlkarten vor Nachteilen für Geflüchtete. Es dürfe nicht sein, dass Menschen durch Bezahlkarten in Läden als Geflüchtete identifizierbar seien, mahnte sie im Interview mit dem Tagesspiegel.