Seit dem vergangenen Herbst werden aus NRW keine Menschen mehr in den Iran abgeschoben. Grund war die problematische Menschenrechtslage dort. Denn im Zuge der Demonstrationen gegen das Regime wurde brutal gegen Kritiker vorgegangen. Inzwischen schaut die Öffentlichkeit nicht mehr so intensiv hin. Verbessert hat sich aber nichts. Nur was die Abschiebungen betrifft, hat sich inzwischen etwas geändert.
Abschiebungen wieder möglich
Denn am 30. Juni ist der bisherige Abschiebestopp in NRW formal ausgelaufen. Eine Verlängerung gibt es bislang nicht. Das heißt: Theoretisch können nun wieder Menschen in den Iran rückgeführt werden. Und das, obwohl sich alle Beteiligten einig sind, dass genau das weiterhin nicht passieren soll. Doch es herrscht Uneinigkeit zwischen NRW und dem Bund. Statt pragmatisch zu handeln, geht es um Zuständigkeiten und bürokratische Formalien.
Aber von vorne: Schon zwei Mal hat NRW den Abschiebestopp verlängert. Da wäre die nächstliegende Idee, das einfach noch einmal zu tun. Doch NRW-Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne) sagt, dass das Land jetzt nicht im Alleingang handeln könne. "Das Land hat den Abschiebestopp bereits zweimal verlängert - auf insgesamt sechs Monate - und damit seine landesrechtlichen Mittel komplett ausgeschöpft." Für eine weitere Verlängerung brauche es den Bund. So sehe es das Gesetz vor. Konkret sei die Erteilung des Einvernehmens durch das Bundesinnenministerium (BMI) nötig.
Genau das aber hat Ende vergangener Woche einen Brief an die Innenministerkonferenz der Länder verschickt. Das Schreiben liegt dem WDR vor. Daraus wird deutlich, dass eine Verlängerung des Abschiebestopps zwar unterstützt wird. Es solle zuvor aber geklärt werden, ob es Länder gibt, die einer Verlängerung bis Ende 2023 widersprechen. "Sofern kein Widerspruch eingeht, erteilt das BMI hiermit sein Einvernehmen zur Fortgeltung des Abschiebungsstopps bis zum 31. Dezember 2023", heißt es.
Das heißt, bevor das Bundesinnenministerium sein Einvernehmen erteilt, will es sich erst das Einvernehmen der Länder einholen. Ein Sprecher sagte am Montag auf WDR-Anfrage, man komme nicht umhin, den Konsens unter den Bundesländern festzustellen. Man halte sich an die "üblichen Verfahren".
Die SPD in NRW meint nun, dass ihre Bundesinnenministerin in Berlin, Nancy Faeser, mit dem Brief die Grundlage für einen Abschiebestopp gegeben habe. "Das hat die Bundesregierung gegenüber Frau Paul auch unmissverständlich klargestellt. Sie kann und muss den Abschiebestopp daher jetzt unverzüglich verlängern", sagte Fraktionsvize Lisa-Kristin Kapteinat am Montag dem WDR. Also alles ganz einfach?
Eher nicht. Denn die zuständige NRW-Flüchtlingsministerin Paul sieht das anders. Sie sagte am Montag dem WDR, das Innenministerium erteile "eben gerade nicht seine Zustimmung, sondern stellt sie lediglich in Aussicht". Es reiche nicht, wenn man grundsätzlich bereit sei, das Einvernehmen zu erteilen und es daran knüpfe, dass die Länder noch eine Abfrage durchführen. "Wir brauchen hier keine unnötigen Abstimmungsrunden unter den Ländern, sondern die sofortige Zustimmung des Bundes."
Zu viel Wahlkampf? Versäumnis?
Am Ende droht das Schicksal der Menschen jetzt unter die Räder bürokratischer Machtspielchen zu kommen. Und alle Seiten schieben sich die Verantwortung munter gegenseitig zu. Paul sagt über Bundesinnenministerin Faser, die in Hessen Ministerpräsidentin werden will, dass sie "derzeit mehr mit Wahlkampf beschäftigt zu sein scheint". Soll heißen: Die SPD-Frau vernachlässigt ihren eigentlichen Job. Die SPD attackiert hingegen die Grüne: "Offenbar will Ministerin Paul nur von ihrem eigenen Versäumnis ablenken, das Auslaufen der eigenen Frist nicht frühzeitig auf dem Schirm gehabt zu haben", sagt Kapteinat.
Wohl erstmal keine Abschiebungen
Immerhin: Das Hickhack führt offenbar nicht dazu, dass jetzt tatsächlich Abschiebungen aus NRW stattfinden. Denn aus dem Flüchtlingsministerium heißt es, dass solche Rückführung immer einen gewissen organisatorischen Vorlauf brauchen. Deshalb stehe nicht zu befürchten, dass in den nächsten Tagen Personen in den Iran rückgeführt werden.