Bei diesem Deal, den WDR-Recherchen ans Tageslicht gefördert haben, gibt es am Ende nur Verlierer. Am meisten aber leidet die Demokratie und das Vertrauen in die Lokalpolitik insgesamt. In hitzigen Zeiten hat die Stadt Kerpen 2017 eine Rahmenvereinbarung mit RWE geschlossen.
Darin sichert die Stadt dem Energie-Unternehmen zu, dass sie die Weiterentwicklung des Tagebaus nicht in Frage stellt. Im Gegenzug stellt RWE in Aussicht, Beeinträchtigungen und Belastungen durch konkrete Projekte zu kompensieren.
Bräsigkeit oder politische Heimlichtuerei?
Dabei handelt es sich in der Tat mehr um eine wenig konkrete Absichtserklärung ohne juristische Ansprüche oder Verpflichtungen. Und doch ist der Vorgang bemerkenswert.
Warum die Rahmenvereinbarung damals nichtöffentlich behandelt wurde, lässt sich letztlich nur mutmaßen. So richtig viel hatte sie jedenfalls mit dem - wohl zu Recht - nichtöffentlichen Rest des Tagesordnungspunktes nicht zu tun. Und auch die Vereinbarung selbst hätte, alleine betrachtet, eigentlich öffentlich verhandelt werden müssen. Zu der Einschätzung kommen auch die vom WDR befragten Juristen.
Also bleiben eigentlich nur zwei mögliche Motive für die Nicht-Öffentlichkeit: Bräsigkeit oder politische Heimlichtuerei. Beides ist nicht das, was ich mir in einer Stadtverwaltung wünsche.
Hohes Gut der Demokratie ist Transparenz
Philip Raillon, Rechtsexperte WDR-Landespolitik
Was auch immer es war - ich hätte mir erhofft, dass so eine Rahmenvereinbarung offen und transparent im Rat diskutiert wird. Zumal zu einer Zeit, in der der Konflikt um den weiteren Verlauf des Tagebaus Hambach nicht nur die Region um Kerpen in Atem gehalten hat - sondern zwischenzeitlich die gesamte Bundesrepublik.
Ich kann sogar nachvollziehen, dass die Lokalpolitik den Versprechen von RWE etwas abgewinnen kann. Bisschen Tagebau gegen neue Schulen, Wohnungen und Kitas - klingt ja gar nicht so schlecht, oder?
Doch warum sollen die Menschen in Kerpen das nicht mitbekommen? Es ist doch gerade wichtig, dass sie wissen, wie welche Partei sich in so einer Abstimmung verhält und abstimmt. Das wäre die Transparenz, die es in einer Demokratie zwingend braucht. Nur so lässt sich das Vertrauen der Menschen in die Politikerinnen und Politiker vor Ort aufrechterhalten. Nur so können mündige Bürgerinnen und Bürger bei der nächsten Wahl entsprechend abstimmen.
Heimlichtuerei fördert Misstrauen und Ablehnung
Wenn wichtige Entscheidungen, vor allem solche mit Geschmäckle, in geschlossenen Sitzungen verhandelt werden, dann schadet das ganz konkret unserer Demokratie. Das ist nicht nur bitter und falsch, das ist vor allem gefährlich. Die Folgen sind nämlich etwa Misstrauen und die Ablehnung der rechtsstaatlichen Institutionen.
Und das gilt nicht nur in Düsseldorf, Berlin oder Brüssel - das beginnt ganz konkret vor Ort. In Kerpen und allen anderen Rathäusern im Land. Dort wird die Politik gemacht, die die Menschen meist unmittelbar betrifft. Politik, die ohnehin immer weniger von Journalisten und Öffentlichkeit begleitet werden - das Sterben der Lokalzeitungen lässt grüßen.
Stadtverwaltung und Bürgermeister treffen besondere Verantwortung
Übrigens, um eins noch klarzustellen: Es greift zu kurz, nun nur auf CDU-Bürgermeister Dieter Spürck zu schimpfen. Sicher: Er leitete er die Ratssitzung und als Bürgermeister obliegt es ihm, die Tagesordnung vorzuschlagen. Als solcher hat er auch eine Beschlussvorlage zum Thema Stadtwerke und Innogy vorgelegt, die wohl hunderte Seiten umfasste und hohe Priorität hatte und zu der erst ganz zum Schluss die besagte Vereinbarung gehört.
Diese wurde laut Beschlussvorlage auch noch nachgereicht. Da drängt sich mir der Verdacht auf, dass hier etwas untergejubelt werden sollte. Schließlich sind Spürck und die Verwaltung hauptamtlich im Einsatz der Stadt unterwegs, der Rat besteht aus Ehrenamtlern. Und selbst wenn Beamtinnen und Beamte aus der Verwaltung das praktisch ausgearbeitet haben - die rechtliche wie politische Verantwortung trägt der Bürgermeister.
Ratsmitglieder wurden ihrer Aufgabe nicht gerecht
Nichtsdestotrotz: Alle Ratsmitglieder, die im Juli 2017 anwesend waren, sollten sich Fragen stellen. Soweit uns bekannt, hat damals niemand die Nichtöffentlichkeit angeprangert. Dabei sind es die Ratsmitglieder, die qua Amt die Bevölkerung repräsentieren, die Verwaltung politisch kontrollieren. Die Ratsmitglieder hätten schon in der Sitzung etwas sagen können.
Ich finde sogar, sie hätten etwas sagen müssen. Sie hätten sogar womöglich im Anschluss klagen müssen. So hätten sie feststellen lassen können, dass das Vorgehen rechtswidrig war. Das wäre angemessen gewesen - im eigenen Interesse, im Interesse der Menschen aus Kerpen und im Interesse unserer Demokratie.