Tabletten und Medikamente

Trotz Arzneimangels: Bloß nicht Medikamente privat weitergeben

Stand: 19.12.2022, 18:46 Uhr

Lieferengpässen bei Medikamenten wollte Ärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt mit privaten "Flohmärkten" begegnen. Warum das keine gute Idee ist, erläutert Thomas Preis, Vorstand des Apothekerverbands Nordrhein, im WDR-Interview.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte führt angesichts der aktuellen Infektionswelle etwa 330 Medikamente auf, die wegen Lieferengpässen nicht oder nur eingeschränkt verfügbar sind. Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt machte deshalb einen unkonventionellen Vorschlag. "Wer gesund ist, muss vorrätige Arznei an Kranke abgeben. Wir brauchen so was wie Flohmärkte für Medikamente in der Nachbarschaft."

Reinhardt brachte sogar Arzneimittel ins Spiel, deren Verwendbarkeitsdatum abgelaufen ist. Inzwischen ist die Ärztekammer zurückgerudert und spricht nur noch von "nicht-verschreibungspflichtigen, originalverpackten Arzneimitteln", die man in einem "Akt der Solidarität" weitergeben könnte.

Auch davon hält Thomas Preis, Vorstand des Apothekerverbands Nordrhein, nichts. Warum, erklärt er im WDR-Interview.

WDR: Welche Medikamente kann man gefahrlos weitergeben? Welche nicht?

Der Vorsitzende des Apothekerverbandes Thomas Preis

Thomas Preis: Gefahrlos kann man kein Medikament weitergeben. Bloß nicht! Medikamente sind ja nicht umsonst Produkte, die nur in Apotheken und durch pharmazeutisches Personal abgegeben werden sollen.

Nur die können beurteilen, ob ein Patient mit dem nachgefragten Medikament behandelt werden soll oder ob er besser zum Arzt gehen sollte. Ein Nachbar oder Freund sollte nicht Arzt oder Apotheker spielen.

"Privatleute sollten wirklich keine Rezepte bedienen." Thomas Preis, Vorstand des Apothekerverbands Nordrhein

WDR: Was, wenn ein Freund oder Nachbar ein Rezept für ein bestimmtes Medikament hat, die Apotheke nicht liefern kann, man aber das Arzneimittel zu Hause hat?

Preis: Ärztliche Verordnungen sind auch im Computer-Zeitalter von Laien nicht optimal interpretierbar. Selbst die Apotheken müssen genau hinschauen, um das richtige Medikament in der richtigen Dosierung abzugeben. Privatleute sollten wirklich keine Rezepte bedienen.

WDR: Was hat es mit dem Verwendbarkeitsdatum auf sich? Wenn ein Medikament nur eine Woche abgelaufen ist, ist das schon problematisch?

Preis: Auf Arzneimittelverpackungen steht ganz genau ‚Verwendbar bis‘, daran sollte man sich halten - im Gegensatz zu Lebensmitteln, da heißt es 'Mindesthaltbarkeitsdatum'. Man weiß nicht genau, was passiert, wenn man ein Arzneimittel über sein Verwendbarkeitsdatum hinaus einnimmt. Das sollte man auf keinen Fall tun. Man würde ja auch nicht in ein Taxi steigen, bei dem der TÜV abgelaufen ist.

"Arzneimittel gehören in die Apotheke und nicht auf den Flohmarkt." Thomas Preis, Vorstand des Apothekerverbands Nordrhein

WDR: Auf welche Weise lässt sich der Medikamentenmangel beseitigen?

Preis: Der aktuelle Medikamentenmangel kann nicht behoben werden mit den Vorschlägen von Ärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt. Wir lehnen das ab: Arzneimittel gehören in die Apotheke und nicht auf den Flohmarkt.

Früher war Deutschland die Apotheke der Welt, jetzt sind das China und Indien. 100 wesentliche Medikamente für Europa werden nur in zwei, drei Werken in China produziert. Apotheker warnen seit einem Jahrzehnt davor, dass das eine ganz gefährliche Abhängigkeit ist. Wir müssen wieder mehr in Europa und Deutschland produzieren.

Es gibt zum Beispiel in Europa nur noch ein Werk, in dem Antibiotika produziert werden, und das wird nächstes Jahr auch abgebaut, in Österreich.

WDR: Was erwarten Sie von der Politik?

Preis: Die Politik ist gefordert, dass die Versorgung mit Basismedikamenten sichergestellt wird - so wie sie das bei den Corona- und Grippe-Impfstoffen gemacht hat. Der Staat hat Abnahmegarantien gegeben, und so muss man auch bei den Basismedikamenten verfahren.

"Die Krankenkassen haben eine hohe Verpflichtung, jenen Lieferanten den Zuschlag zu geben, die garantieren können, dass sie liefern. Und dann kommt es nicht auf den billigsten Preis an." Thomas Preis, Vorstand des Apothekerverbands Nordrhein

WDR: Inwieweit sind auch die Krankenkassen gefordert?

Preis: Krankenkassen sind seit 2007 bei Rabattverträgen mit den Herstellern so umgegangen, dass nur der billigste Anbieter den Zuschlag bekommen hat für die Belieferung. Und jetzt sind ganz viele Lieferanten überhaupt nicht mehr lieferfähig. Die Krankenkassen haben eine hohe Verpflichtung, jenen Lieferanten den Zuschlag zu geben, die garantieren können, dass sie liefern. Und dann kommt es nicht auf den billigsten Preis an.

Das Interview führte Frank Menke.