Atomkraftwerk, davor Schild mit der Aufschrift "Anlagenutzung auf eigene Gefahr"

AKW in Reservebetrieb: Wie sinnvoll sind Habecks Pläne?

Stand: 08.09.2022, 13:30 Uhr

Bundeswirtschaftsminister Habeck will Ende des Jahres aus der Atomenergie aussteigen - also fast. Zwei Meiler sollen in Bereitschaft bleiben. Aber ist das sinnvoll?

Obwohl es Befürchtungen gibt, dass es im Winter zu Stromengpässen kommen könnte, hält Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) an seinem Plan fest, die letzten drei aktiven Atomkraftwerke in Deutschland Ende des Jahres vom Netz zu nehmen. Zwei von ihnen - die Reaktoren Isar 2 und Neckarwestheim 2 - sollen aber als Reserve vorgehalten werden, um bei einem Engpass einzuspringen.

Kritik an diesen Plänen kommt unter anderem vom Branchenverband Kerntechnik Deutschland (KernD), der Habeck vorwirft, bei seinen Plänen nicht die Sorgen der Verbraucher und die Preisentwicklung auf dem Strommarkt im Blick zu haben.

"Es ist unverständlich, dass die Auswirkung eines mehrjährigen Weiterbetriebs von Kernkraftwerken mit ihrer Erzeugung von 33 Milliarden Kilowattstunden pro Jahr auf die Preisentwicklung in der Entscheidungsfindung der Bundesregierung offensichtlich keine Rolle gespielt hat." Pressemitteilung von Kerntechnik Deutschland (KernD)

Preussen-Elektra: Reservebetrieb nicht möglich

Die Atomkraftwerke Isar 1 und 2 mit dem Kühlturm hinter dem Fluss Isar nahe Essenbach in Niederbayern

Das Atomkraftwerk Isar 2

Noch deutlicher ist die Kritik von Preussen-Elektra, dem Unternehmen, dass das AKW Isar 2 bei Landshut betreibt. In einem Brief an das Wirtschaftsministerium erklärt es, dass dieser geplante Reservebetrieb, also ein Wiederhochfahren auf Kommando, technisch gar nicht möglich sei.

Als Gründe dafür nennt Preussen-Elektra einerseits die fehlenden Erfahrungen der Betriebsmannschaft mit so einem Prozess. Andererseits sei genau dieser riskant, wenn die Reaktoren wie geplant bei drohendem Strommangel in Betrieb gehen würden. Denn die Kernkraftwerke bräuchten vor allem für die Kühlung der Brennstäbe selbst Strom.

Aber stimmt das? Und was ist mit den anderen ungeklärten Fragen, die es in der Diskussion um die Abschaltung bzw. den Weiterbetrieb der AKW in Deutschland gibt?

Kann man Atomkraftwerke kurzfristig an- und abschalten?

In diesem Punkt sind sich die Betreiber und Experten weitgehend einig: Eine schnelles Wiederhochfahren von AKW ist nicht ohne weiteres möglich. "Kernkraftwerke sind in ihrer technischen Auslegung keine Reservekraftwerke, die variabel an- und abschaltbar sind", sagt Eon, das Mutterunternehmen von Preussen-Elektra.

"Sie müssen sicherheitstechnisch überprüft und es müssen Personal und Brennelemente vorgehalten werden", erklärt auch Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin).

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"Um ein AKW nach einer Pause wieder ans Netz zu nehmen, sind einige Tage bis eine Woche nötig", sagt WDR-Wirtschaftsredakteur Jörg Marksteiner. Allerdings habe Habeck auch von einer solchen Vorwarnzeit gesprochen. Marksteiner vermutet, dass es zwischen dem Wirtschaftsminister und dem Betreiber des AKW Isar 2 einfach zu einem Missverständnis gekommen sei.

Würde der Weiterbetrieb tatsächlich eine Entspannung bei den Strompreisen bringen?

Ein weiterer Grund, warum über die Frage Reservebetrieb contra Laufzeitverlängerung diskutiert wird, sind die aktuell hohen Strompreise. So fordert unter anderem die Wirtschaftsweise Veronika Grimm, die Kraftwerke regulär weiter zu betreiben und nicht nur in Bereitschaft zu versetzen.

"Denn nur dann gibt es einen senkenden Effekt auf den Strompreis", so die Professorin für Volkswirtschaftslehre im Gespräch mit den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Bei den drei noch laufenden Atomkraftwerken sollte man über eine Laufzeitverlängerung von fünf Jahren nachdenken."

Das will Wirtschaftsminister Habeck jedoch nicht. Auch weil der Effekt, dass dadurch die Strompreise sinken, seiner Meinung nach nur in sehr geringem Maße - wenn überhaupt - eintreten würde.

"Wenn man alle drei AKW bis April am Netz lassen würde, könnten sich die Strompreise für die Lieferung im Winter entspannen", vermutet WDR-Wirtschaftsredakteur Marksteiner. Am grundsätzlich hohen Strompreisniveau würden AKW seiner Meinung nach aber nicht viel ändern. Denn für die hohen Preise sorgten vor allem die Gaskraftwerke, die nicht einfach durch Atomkraftwerke ersetzt werden könnten. 

Habecks aktuellen Plan hält Grimm dennoch für die "eigentlich schlechteste aller Lösungen", wie sie im ZDF sagte. Es entstünden die Kosten der Bereithaltung, da man das Personal bezahlen und die Versorger entschädigen müsse.

In diesem Punkt stimmt ihr Claudia Kemfert zu. Auch sie hält den Reservebetrieb wirtschaftlich nicht für sinnvoll. "Dies ist aufwendig und teuer. Aufwand und Ertrag stehen also in keinem Verhältnis", so Kemfert. Statt auf Atom- und Kohlestrom würde sie eher u.a. auf den "Ausbau erneuerbarer Energien und Speicheroptionen" sowie "ein effektives Energie- und Lastmanagement" setzen.

Haben wir überhaupt genügend Brennstäbe, um die Atommeiler weiterzubetreiben?

Für den Weiterbetrieb der AKW stellt sich neben den wirtschaftlichen Fragen auch eine rein technische: Selbst, wenn die Politik entscheiden würde, die Meiler über das Ende des Jahres hinaus weiter zu betreiben, würde das mit den aktuellen Brennelementen darin gehen?

Ja, sagt Marksteiner. Allerding nur für einen begrenzten Zeitraum als Notfallreserve. "Sie verlieren zwar nach und nach Leistung, aber diese Mengen ließen sich wohl bis Frühjahr nutzen." Spätestens im Sommer wäre Schluss, dann müssten neue Brennstäbe für die AKW her.

Diese werden aber individuell für jedes Kraftwerk hergestellt und die Lieferung würde zwischen 12 und 18 Monate dauern. "Wenn die Atomkraftwerke auch im Winter 2023 laufen sollen, müsste dafür bald eine Entscheidung fallen", sagt Marksteiner. Bislang sei das aber nicht geplant.

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