Gaskrise: "Kein Grund zur Panik - aber wir können uns auch nicht zurücklehnen"

Stand: 29.07.2022, 09:08 Uhr

Wird es im Winter kalt in deutschen Wohnungen? "Es gibt jetzt keinen Grund, in Panik zu verfallen - aber wir können uns auch nicht zurücklehnen", sagt Ökonom Stefan Kooths.

Stefan Kooths ist Vizepräsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel. Er hat gemeinsam mit anderen Forschenden Gas-Szenarien für den Winter entwickelt.

WDR: Herr Kooths, besteht die Gefahr, dass die deutsche Energieversorgung im Winter nicht mehr funktioniert?

Stefan Kooths bei einer Pressekonferenz.

Stefan Kooths, IfW Kiel

Stefan Kooths: Das Bild ist - wie so oft - nicht schwarz und weiß, sondern eher grau. Wir haben verschiedene Konstellationen durchgespielt: Wo kann Gas relativ einfach gespart werden? Wo gibt es alternative Lieferquellen? In unserem mittleren Szenario ist keine Gasmangel-Lage zu erwarten. Mittleres Szenario bedeutet: In 50 Prozent der Fälle werden die Ergebnisse schlechter, in 50 Prozent werden sie besser.

Der Worst Case wäre, dass wirklich alles schiefgeht: keine Einsparmöglichkeiten, keine Lieferungen von anderer Seite. Dann würde es wirklich sehr, sehr teuer werden. Und uns würde eine scharfe Rezession bevorstehen. Aber hier will ich auch nicht dramatisieren. Die Botschaft sollte sein: Es gibt jetzt keinen Grund, in Panik zu verfallen - aber wir können uns auch nicht zurücklehnen.

"Es gibt jetzt keinen Grund, in Panik zu verfallen - aber wir können uns auch nicht zurücklehnen." Stefan Kooths, IfW Kiel

WDR: Also hängt die Situation davon ab, welche anderen Möglichkeiten der Gasversorgung gefunden werden - und wie viel jeder Einzelne spart?

Kooths: So ist es. Hier kommt es auch darauf an, wie wir mit der Gasbepreisung weiter verfahren. Davon hängt ja nicht zuletzt ab, wie sich die privaten Haushalte verhalten. Je früher wir Preissignale bekommen und je früher die Verbraucher wissen, was auf sie zukommt, desto besser. Doch noch gibt es Unklarheiten.

Man muss also befürchten, dass die Haushalte einfach noch mal abwarten und sich vielleicht auch noch Hoffnungen darauf machen, dass es doch nicht so schlimm kommt. Oder dass man selber nicht betroffen wäre, weil man unterstützt wird. Also: Je früher die Konditionen klar sind, desto besser können sich alle darauf einstellen.

Das gilt auch für die Industrie. Auch da wäre es nützlich, jetzt schnell zu erfahren: Wie würde denn verfahren, wenn Gas rationiert würde? Das können wir ja nicht ausschließen. Eine Möglichkeit wäre, auf Auktionsmodelle zu setzen. Das möchte die Bundesregierung auch. Dann könnten wir davon ausgehen, dass Gas dann dort eingespart wird, wo es die geringsten gesamtwirtschaftlichen Verluste mit sich bringt. Aber auch hier sind die Konditionen noch nicht ganz klar. Mehr Tempo würde allen Beteiligten helfen, intelligenter mit der Situation umzugehen.

"Mehr Tempo würde allen Beteiligten helfen, intelligenter mit der Situation umzugehen." Stefan Kooths, IfW Kiel

WDR: Könnte die Lücke durch andere Energieträger geschlossen werden?

Kooths: Ausgeglichen werden kann sie nicht. Aber alles, was die Gasverwendung für die Elektrizitätsproduktion ersetzt, ist natürlich ein wichtiger Beitrag. Übrigens auf beiden Seiten: Wenn wir mit teuren Gaskraftwerken hantieren, dann wird ja auch der Strompreis noch weiter steigen. Es spielt also eine wichtige Rolle, ob wir - über Atomenergie - für Entlastung sorgen können im gesamten Energiesektor.

WDR: Wie gut sind die Gasspeicher denn jetzt gefüllt?

Kooths: Wir sind jetzt bei 67 Prozent. Das entspricht auch genau dem, was man gemäß unseres Modells erwarten würde. Wir sind in der Spur. Wie es jetzt weitergeht, hängt aber natürlich auch von Russland ab.

Unsere Berechnung geht ja davon aus, dass Russland weiterhin 20 Prozent liefert. Das ist so auch noch der Fall. Das kann natürlich mehr, aber auch weniger werden. Wenn es bei 20 Prozent bleibt, gelten die Zahlen, die ich vorhin genannt habe. Selbst wenn es zu einem völligen Ausfall käme, bedeutet das noch nicht, dass wir zwingend in eine Gasmangel-Lage kommen.

Die Fragen stellte Rebecca Link. Das Gespräch wurde für die Online-Version sprachlich bearbeitet und gekürzt.

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