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Geflüchtete in Netphen: Bürger helfen bei Unterbringung

Stand: 22.09.2023, 17:33 Uhr

Auch Netphen kämpft mit der Menge an Geflüchteten, die die Stadt aufnehmen muss. Die Kapazitäten dort sind am Limit. Um das zu schaffen, helfen auch die Bürger mit.

Flüchtlingssammelunterkunft in der Georg-Heinemann-Halle in Netphen

Eine Parzelle in der Georg Heimann-Halle in Netphen

Durch die abgehängten Bauzäune, die auf dem Sportfeld in der Georg-Heimann-Halle in Netphen stehen, wirkt die Mehrzweckhalle wie eine verlassene Krankenstation. Klinisch weiße Plastikfolien hängen zwischen den einzelnen, nicht einmal zehn Quadratmeter großen Parzellen. In jedem dieser improvisierten Räume stehen neben zwei Stockbetten nur ein Schrank und ein Stuhl. Im Notfall müssen in jeder Parzelle vier Geflüchtete untergebracht werden.

"Noch hoffen wir, dass wir die Halle nicht nutzen müssen", sagt Thorsten Vitt, der als Fachbereichsleiter Soziales und Schulen bei der Stadt Netphen für die Unterbringung von Flüchtlingen zuständig ist. Denn noch ist die Halle leer. Bislang reichen die Kapazitäten, die die Stadt im Kreis Siegen-Wittgenstein für Geflüchtete bereithält.

Situation angespannter als 2015

"Wir sind aber kurz davor, unsere Grenzen zu erreichen", sagt Vitt. Das Problem: Durch die Ukraine-Krise sowie die Flüchtlingsströme, die aktuell nach Deutschland kommen, müssen immer mehr Menschen untergebracht werden. Den Druck, der dadurch auf die Bundesländer entsteht, geben diese an die Bezirksregierungen weiter.

"Aktuell haben wir unsere offizielle Erfüllungsquote noch nicht erreicht", erklärt Vitt. Das bedeute, dass die Stadt jederzeit 195 weitere Geflüchtete zugewiesen bekommen könnte, für die sie dann eine Unterkunft finden muss. "Im Moment ist die Lage angespannter als 2015", sagt Vitt.

Der Hauptgrund dafür ist der Krieg gegen die Ukraine. Neben den Geflüchteten aus anderen Ländern kamen allein 2022 etwa 500 Ukrainer nach Netphen. Die Zahl sank zwar im aktuellen Jahr, doch auch 2023 kamen bereits mehr als 135 Geflüchtete.

"2015 schafften wir es noch, viele der Menschen auch in Privatwohnungen unterzubringen", sagt Vitt. Einige Netphener nahmen damals Flüchtlinge sogar bei sich auf, gaben ihnen ein einiges Zimmer. "Das ist jetzt aber nicht mehr so", sagt Vitt. Die Stimmung gegenüber den Flüchtlingen sei noch immer gut, der Raum und auch die Bereitschaft sie unterzubringen, seien aber weniger geworden.

Kommunikationsprobleme mit Ukrainern

Um das auszugleichen, sucht die Stadt andere Wege. Nur einen Steinwurf entfernt vom Rathaus hat die Verwaltung eine ehemalige Tagesklinik gekauft. Eine Zeit lang war darin das Corona-Impfzentrum untergebracht. Mittlerweile wohnen dort fast 60 Geflüchtete aus der Ukraine.

Der Flur des alten Gebäudes wirkt etwas heruntergekommen. Der Teppichboden hat Flecken, einige Lampen auf dem Gang funktionieren nicht. Ein größeres Problem als der Zustand des Gebäudes ist aber die Kommunikation zwischen den Bewohnern der Unterkunft und den Hausmeistern und Sozialarbeitern der Stadt. Die meisten der Ukrainer sprechen kein Englisch. Eine Übersetzungs-App auf dem Handy ist oft der einzige Weg, um sich untereinander zu verständigen.

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Anna Polishuk mit ihrer Tochter Varvara

Auch für Anna Polishuk. Die Ukrainerin kam vor zwei Monaten mit ihren zwei Töchtern aus Mykolajiw nach Netphen. Ihr Mann Pavel wurde eingezogen und musste in der Ukraine bleiben. "Wir sind sehr glücklich, dass wir hier sein können", sagt die 28-Jährige. "Bei der Aufnahme hat man uns von der Stadt sehr gut geholfen", übersetzt die App. Dass sie nur ein kleines Zimmer mit ihren zwei neun und zwei Jahre alten Töchtern hat und die Unterkunft sehr voll ist, stört sie nicht.

Lärm ist okay, zu viel Müll nicht

Auch die Netphener, die in der direkten Nachbarschaft wohnen, sehen die Lage entspannt. "Natürlich ist es da auch mal lauter, wenn draußen gegrillt wird", sagt Bernd Kuban, der schräg gegenüber der ehemaligen Tagesklinik wohnt. "Das stört mich aber nicht."

Auch Karin Hatzig hat kein Problem damit, wenn die Bewohner der Unterkunft abends "Party machen" wie sie es formuliert. Sie wohnt mit Ihrem Mann Peter auf der Rückseite des Flüchtlingsheims. "Was mich aber stört, ist der Müll", sagt sie. Abgesehen davon, dass die Bewohner den Müll nicht trennen würden, reichten auch die Mülleimer nicht. "Dann kommen Ratten, Waschbären und was weiß ich noch", sagt Hatzig. "Ich bin deswegen sogar schon auf dem Rathaus gewesen."

Hilfe bei der Wohnungssuche

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Peter Hatzig und die Ukrainerin Marina

Ein Grund, den geflüchteten Menschen nicht zu helfen, ist das für Karin Hatzig und ihren Mann aber nicht. Vor gut einem Jahr lernten sie über die kleine Mauer an ihrer Terrasse hinweg Marina kennen. Eine junge Mutter aus der Ukraine, die auch in der ehemaligen Tagesklinik untergebracht ist.

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Peter Hatzig

"Demnächst zieht sie aber in ihre eigenen vier Wände um", sagt Peter Hatzig, nicht ohne etwas Stolz. Bei der Suche danach habe er Marina unterstützt, half bei den Behördengängen und vermittelte zwischen der Ukrainerin und der Wohnungsbaugenossenschaft, der die Wohnung gehört. "Das war auch manchmal etwas schwierig, weil Marina noch nicht wirklich Deutsch sprechen kann", sagt Hatzig.

Aus Aleppo nach Netphen

Diese Sprachbarriere hat Mahmoud Jokhadar schon überwunden. Der Syrer flüchtete 2015 aus Aleppo. Nach einer Odyssee über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien und Ungarn kam er letztlich in eine Sammelunterkunft nach Netphen. Doch dort blieb der studierte Rechtsanwalt nicht lange. "Ich konnte da nicht sitzen und nichts tun", sagt der 42-Jährige. "Ich wollte die Sprache lernen und mit Menschen reden."

Mahmoud Jokhadar, Hausmeister bei der Stadt Netphen

Mahmoud Jokhadar im Hausmeisterbüro in der Georg-Heimann-Halle

Kein halbes Jahr nach seiner Ankunft fing Jokhadar im Altenheim Deuz als Hausmeister an. "Eigentlich sollte ich nur zwei Stunden am Tag kommen", erinnert er sich. "Ich bin aber immer länger geblieben, um mit den Menschen dort zu reden." Im Mai 2016 hilft ihm der Leiter des Altenheims eine eigene Wohnung zu finden. Und nicht nur das. Ein Jahr später macht Jokhadar erst seinen deutschen Führerschein, kurz darauf auch noch einen Busführerschein und arbeitet neben seinem Job im Altenheim als Busfahrer.

Mit dem Geld, das er verdient und spart, schafft er es, 2017 ein Visum für seine Frau und seine zwei Kinder zu kaufen, die daraufhin von Damaskus aus nach Kairo ausreisen können. Seit 2019 sind sie auch in Netphen. Weil seine Frau als Mikrobiologin keine Stelle fand, arbeitete sie in einer Kita, mittlerweile hat auch sie einen Job im Altenheim Deuz.

Mahmoud Jokhadar hingegen ist mittlerweile bei der Stadt angestellt. "Ich will gerne in den Bereich Soziales", sagt er. Auch, um anderen Menschen zu helfen, die wie er nach Netphen kommen. Bislang arbeitet er noch als Hausmeister - unter anderem in der Georg-Heimann-Halle. Sollten dort Flüchtlinge untergebracht werden, die nur Arabisch sprechen, kann ihnen Jokhadar nicht nur sprachlich helfen. Er kennt sich in seiner neuen Heimat auch bestens aus. Aber auch er hofft, dass die Halle überhaupt nicht gebraucht wird.