"Muttis Bester" tritt noch mal an
Norbert Röttgen kandidiert zur Wahl
Stand: 18.09.2013, 08:22 Uhr
Was macht eigentlich ... Norbert Röttgen? Der ehemalige CDU-Bundesumweltminister, den Kanzlerin Merkel in einem aufsehenerregenden Akt buchstäblich wegen schlechter Noten entließ? Er kandidiert. Für den Bundestag. "Muttis Bester" will es noch einmal wissen.
Von Nina Magoley
Eigentlich will Norbert Röttgen nicht mit Journalisten sprechen. Schon gar nicht über seine Person. "Hab' ich mit den anderen auch nicht gemacht", ruft er im Vorbeigehen und stürmt durch die geöffnete Eingangstür des Golfclubs. 80, 90 Gäste sind dort drinnen bereits versammelt, Röttgens Nachbar-Ortsverein, die CDU Sankt Augustin, hat geladen. Einige Kameras klicken, als Röttgen den Raum betritt. Viele sind aber auch gekommen, um die zweite Politprominenz zu erleben, die am Dienstagabend (17.09.2013) einen Vortrag halten soll: Die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth.
Süssmuth hat Verspätung - Zeit für den CDU-Kandidaten des Wahlkreises Rhein-Sieg-Kreis II, seine Bürgenähe zu demonstrieren. Es geht von Tisch zu Tisch. "Hallo, guten Tag, schön, dass Sie gekommen sind." Einer 89-jährigen Frau schüttelt Röttgen lange die Hand. "Für die CDU bin ich immer zu haben", sagt die alte Dame, Röttgen lächelt artig. "Muttis Bester", Machtmensch, Getriebener - Titel gaben die Medien dem immer adrett wirkenden Röttgen zahlreiche. Musterschüler soll er gewesen sein, Einser-Abiturient mit anschließendem Begabten-Stipendium. Schon als Schüler sei er der Jungen Union (JU) in Rheinbach beigetreten, so ist zu lesen, und schon damals habe er verkündet, eines Tages Bundeskanzler sein zu wollen.
Entlassung von heute auf morgen
Der Ehrgeiz zahlt sich aus: Nach dem Jurastudium wird Röttgen erst JU-Landesvorsitzender, dann Landesvorsitzender der CDU NRW. 2009 holt Bundeskanzlerin Merkel ihn als Umweltminister ins Bundeskabinett. Als es Mitte 2012 in NRW zu einer erneuten Landtagswahl kommt, kandidiert Röttgen, von seinem Berliner Ministersessel aus, für das Amt des NRW-Ministerpräsidenten. Röttgen wolle langfristig Kanzler werden, heißt es. Doch die Wähler in NRW sind empört und strafen den Karrierepolitiker ab: Die NRW-CDU fährt mit 26 Prozent das historisch schlechteste Wahlergebnis ein. Bundeskanzlerin Angela Merkel, lange Zeit Förderin des aufstrebenden Jungpolitikers aus Königswinter, entlässt Röttgen buchstäblich von heute auf morgen aus seinem Ministeramt. "Muttis Bester muss gehen" titeln einige Zeitungen.
Wandern im Pleistal, Bierzapfen auf dem Hoffest
Seitdem ist es still um den Gefallenen geworden - zumindest auf bundespolitischem Parkett. Zwar bekommt Röttgen einen Platz im Auswärtigen Ausschuss, auf seiner Facebookseite scheint die Welt aber auf das heimatliche Königswinter und Umgebung zusammengeschrumpft. Bilder zeigen den Ex-Minister beim Besuch der Katholischen Landjugendbewegung in Rhöndorf, beim Wandern im Pleistal, beim Bierzapfen auf dem Hoffest der CDU Mülldorf. Auf einem Foto trägt er ein bunt gestreiftes Polo-Shirt, "ich wünsche einen sonnigen und erholsamen Sommer" steht darunter. Lokalpolitik eben.
An diesem Abend im Golfclub von Sankt Augustin aber scheint ihn ein neuer Hauch Berliner Luft zu umwehen. Röttgen selbst ist es, der Rita Süssmuth eingeladen hat. Er will es noch einmal wissen, und dazu braucht er Unterstützung. Rita Süssmuth ist jetzt da, und Norbert Röttgen ergreift das Mikrofon zur Begrüßung. Jetzt für den Bundestag zu kandidieren bedeute, das Mandat für eine Politik in historischem Umbruch anzustreben, sagt er. Europa sei ihm wichtig, ebenso eine gute Verkehrsinfrastruktur, ohne die die Wirtschaft nicht florieren könne. Dann übergibt er das Wort an seine Parteikollegin.
Wahlniederlagen tun immer weh
"Der braucht meine Unterstützung eigentlich gar nicht", hebt Süssmuth an und blickt zu Röttgen hinab, der sich neben sie an den Tisch gesetzt und inzwischen ein Pils vor sich stehen hat. Röttgens Lebenslauf habe etwas "bilderbuchartiges - immer gradlinig nach oben", konstatiert Süssmuth. Und der unrühmliche Rausschmiss? "Wahlniederlagen", sagt Rita Süssmuth, "tun immer weh", aber sie selbst habe aus jeder Niederlage gelernt. "Und Norbert Röttgen hat noch viel vor." Röttgen blickt undurchdringlich, doch ein bisschen scheint er sich zu wünschen, dass sein Gast nun endlich mit dem Vortrag anfangen möge. Das tut die große alte Dame der Politik dann auch - sie erzählt von den Religionen, die sich im Grunde alle viel ähnlicher seien, als ihre Anhänger zugeben wollen, und davon, dass Frauen, die Angehörige pflegen, aufgrund derzeitiger Versorgungsgesetze geradewegs in die Altersarmut steuern würden. Politiker, sagt Süssmuth, würden den Menschen oft nicht die Wahrheit sagen. Röttgen zieht eine Schnute.
Die 76-jährige Christdemokratin spricht souverän, und bei ihren nicht immer CDU-konformen Thesen geht öfters ein unwilliges Raunen durch Teile des Publikums. Röttgen sitzt daneben und sieht jetzt ein bisschen wie ein Konfirmand aus, der die wohlmeinende Rede seiner Tante über sich ergehen lassen muss - die Lippen meist geschürzt, die Stirn von Zeit zu Zeit in Falten. Stimmt er seiner eigenwilligen Parteikollegin zu, oder ist hier gerade der viel beschriebene Besserwisser zu sehen? Norbert Röttgen sei ein Dickkopf, sagt Süssmuth schließlich - und das solle er auch bleiben. Röttgen springt auf, nimmt das Mikrofon. "Danke an Rita Süssmuth" sagt er schnell in Richtung Publikum, und jetzt könne man Fragen stellen.
"Die Strompreise steigen", sagt ein älterer Herr, schuld daran sei die Energiewende. Das Stichwort für Norbert Röttgen. Die Energiewende, hebt er an, sei das größte Modernisierungsprogramm für die Wirtschaft der letzten Jahrzehnte. "Wir wissen längst, dass Kernenergie und Kohlekraftwerke nicht zukunftsfähig sind", redet er sich in Fahrt. Die Strompreise seien auch früher stetig gestiegen, "wir wollen mit Erfindungsgeist nutzen, was die Natur uns bietet: Sonne, Wasser, Wind".
"Prinz der CDU, der in Berlin anfing zu leuchten"
Als die Diskussionsrunde zu Ende geht, möchte Klaus Schumacher, Bürgermeister von Sankt Augustin, noch etwas sagen. "Für uns im Rhein-Sieg-Kreis", sagt er an den Kandidaten gewandt, sei "Norbert Röttgen Prinz der CDU, der in Berlin anfing zu leuchten". Überrascht schaut Röttgen von seinem Handy auf, während der Bürgermeister weiter mit bewegter Stimme zu ihm spricht: "Darum schüttele Dich, nach Deinem tiefen Fall, rücke Deine Krone zurecht und mach', dass Du nach Berlin kommst!" Mit so viel Emotion hat der oft als unnahbar beschriebene Röttgen nicht gerechnet, das ist offensichtlich - doch schnell hat er sich wieder gefangen. Unter Applaus schüttelt er Schumacher kurz die Hand, dann ist die Veranstaltung beendet.
Röttgen wirkt jetzt gelöster als zu Anfang - und plötzlich lässt er sich doch noch auf ein persönliches Gespräch ein. Seine Bedingung: "Wenn es mir nicht gefällt, streichen wir alles." Ganz verheilt scheinen die Wunden der Niederlage offenbar noch nicht. Was ihn dazu bewege, sich noch mal auf bundespolitisches Parkett zu wagen? Es gehe ihm nicht um Ämter oder Karriere, behauptet Röttgen, sondern darum, "etwas zu verändern". Um Nachhaltigkeit, "denn der derzeitige Politikstil blendet die Zukunft aus, von der Verschuldung über den demografischen Wandel bis zur Energieversorgung". Keine Angst vor neuen Niederlagen? "Niederlagen kommen vor", sagt er, und es sei eine Aufgabe, "solche Zeiten mit Anstand und Würde zu begehen".
Energiewende als christliche Schöpfungsethik
Bei der Konsequenz, mit der der CDU-Mann an diesem Abend die Energiewende propagiert, scheinen neue Karambolagen schon vorprogrammiert - mit konservativen Parteikollegen, die die Entwicklungen ausbremsen wollen, mit Kohle-Lobbyisten. "Vollkommen einseitig" würde die Politik die Energiewende negativ reden, die Diskussion rund um das Thema Stromkosten verzerren, ohne auf die Gründe zu sehen." Dabei sei die Energiewende "ein wirklicher Neuanfang, ein Wandel von industriellen Großstrukturen ohne Wettbewerb zu einem neuen, intelligenten Ansatz in Bürgerhand". Geradezu grün klingen solche Thesen aus dem Mund eines CDU-Politikers. Nein, belehrt der gläubige Katholik und dreifache Vater, die Energiewende entspringe "einer ur-christdemokratischen Politik": Es gehe um die christliche Schöpfungsethik, "eine Bewahrungspolitik".
Wird er damit noch mal punkten können? Seit den Sommerferien ist Norbert Röttgen auf Wahlkampftour, sieben Tage die Woche. Als wäre nichts gewesen. Gleiche Brille wie eh und je, gleiche Frisur. "Die Menschen sind interessiert", habe er festgestellt. Verzeihen die Menschen in NRW ihm auch, dass er sich bei der Landtagswahl die Hintertür nach Berlin offen ließ? Lässt sich das gebrochene Vertrauen reparieren? "Ich sage allen, dass das ein Fehler war." Die Wahl wird zeigen, ob das hilft.