Münte geht, Münte kommt
SPD-Wahlkampf in Herne
Stand: 06.08.2013, 00:00 Uhr
Michelle Müntefering möchte für die SPD in den Bundestag. Ausgerechnet jetzt, wo ihr Mann Franz in Berlin die Zelte abbricht. Während sie im Wahlkampf in Herne fleißig Stimmen sammelt, genießt er sichtlich den Ruhestand.
Von Maike Jansen
Der Nachmittag auf dem Wanner Markt beginnt für Michelle Müntefering mit einer bösen Überraschung: "Dat is ja ne Katastrophe!", ruft die 33-Jährige, als sie durch den kleinen Bundesligaplaner blättert, den sie später an die Besucher verteilen soll. Die Katastrophe heißt Peer Steinbrück und trägt einen schwarz-gelben Schal von Borussia Dortmund. "Dat geht ja gaanich!", beschwert sich Müntefering bei ihrem Wahlkampfleiter, "hättse mir dat ma früher gesacht!" Wanne ist blau-weiß, hier hält man zu Schalke, nicht zum BVB. Es ist Wahlkampfzeit und Michelle Müntefering möchte in den Bundestag. Als Direktkandidatin der SPD im Wahlkreis 142 Bochum/Herne.
Herne ist politisch rot
Die Startvoraussetzungen sind gut: Bei der Bundestagswahl 2009 konnte die SPD hier 51,7 Prozent der Erststimmen einfahren - Herne ist zwar sportlich blau-weiß, politisch aber traditionell rot. "Ich will mich in Berlin für die Menschen einsetzen und für das Ruhrgebiet, das meine Heimat ist", sagt Müntefering, wenn man sie fragt, warum es sie weg aus ihrer Heimatstadt zieht. Ausgerechnet jetzt, wo ihr Mann Franz Müntefering sich aus Berlin verabschiedet hat.
Es ist viel geschrieben worden über die Wachablösung bei den Münteferings. Darüber, dass er sich zurückzieht und sie gerade erst loslegt. "Die Enkelin", hat der Spiegel sie getauft und ihr fünf Seiten Platz eingeräumt - doch schon im ersten Satz ging es um Franz Müntefering: "Er ist 40 Jahre älter als sie und war zweimal Parteichef der SPD". Das ist die Messlatte, das Vorbild, auf das sie nun ständig angesprochen wird.
Seit 15 Jahren in der Politik
Michelle Müntefering beantwortet Fragen nach ihrem Mann betont gelassen: "Ich bin selbst Journalistin", sagt sie dann, "und verstehe auch die Mechanismen der Medien. Aber ich mache eigenständige Politik, dafür trete ich an." Sie sagt das freundlich, nicht genervt. Geduldig erzählt sie von ihrer politischen Arbeit vor Ort, den 15 Jahren Politik, die sie nun schon hinter sich hat, der Arbeit im Rat und ihrer Klassensprecherrolle, die sie einfach nicht loslässt: "Als ich noch bei den Jusos war, gab es nur ältere Politiker im Rat. Da war uns klar: Einer von uns muss da jetzt rein. Die Wahl fiel auf mich."
Auch an diesem Nachmittag, beim Stadtteilfest der SPD auf dem Wanner Markt, steht Michelle Müntefering im Mittelpunkt - auch wenn sie ihren prominenten Mann mitgebracht hat. "Ich hab heute den Franz dabei, der kennt hier den Ortsvorsitzenden", hatte sie zur Begrüßung gesagt - aber da war "Franz" auch schon zwischen Bierstand und Reibekuchenzelt verschwunden. Stattdessen schart sich das "rote Team" um seine Kandidatin, versorgt Müntefering mit Fußballplanern.
Wenig Worte und "Glück auf"
Gut gelaunt macht sie sich auf den Weg an das andere Ende des Platzes, um den Besuchern ihre politische Agenda zu skizzieren. Der Soli ist ein großes Thema im Ruhrgebiet, gerechtere Löhne und mehr Geld für Schulen. Michelle Müntefering redet frei und in deutlichen Worten. Von der Kohle, die ihre Eltern noch aus der Erde geholt hätten - "und in Bayern ham se sich damit den Hintern warmgehalten." Ein kämpferischer Satz, trotzdem klatscht in diesem Moment niemand. Zu sehr scheinen die Besucher mit ihren eigenen Themen beschäftigt. Die Kandidatin reagiert souverän: "Es ist nicht der Ort oder der Tag für große Reden", beschließt sie, "deshalb sach ich wat ganz Einfaches ausm Ruhrgebiet: Glück auf." Eine echte Müntefering: Nicht zu viele Worte machen, das scheint auch ihre Devise zu sein.
Doch damit fängt der Nachmittag für die Kandidatin erst an. Mit den Menschen "ins Gespräch" zu kommen hat sie angekündigt, und fast jeder scheint sie hier beim Wort nehmen zu wollen: "Hallo Michelle", schallt es von allen Richtungen. Die 33-Jährige ist bekannt in der Stadt, als Schulpolitikerin im Rat, aber auch als ehemalige Wahlkampfhelferin. Sie kennt den Trubel in den Wochen vor der Wahl und sie genießt ihn. Ein paar ältere Damen sorgen sich um den Neubau einer Rehaklinik in ihrer Nachbarschaft, ein junger Mann möchte mit der Kandidatin über die Gefahren des Frackings sprechen. Müntefering hört zu, schaltet blitzschnell um. "In der Kommunalpolitik haben wir Spezialisten für die verschiedenen Themenfelder - und bei Detailfragen unterstützen wir uns gegenseitig", sagt sie. In der Parkplatzfrage bei der Rehaklinik muss dann der Bezirksbürgermeister weiterhelfen.
Sie macht Wahlkampf, er fährt sie heim
Franz Müntefering bekommt von all den Fragen nichts mit. Gleich zu Beginn hat er auf dem Markt einen alten Bekannten getroffen, seit einer halben Stunde steht er nun schon an einem Stehtisch neben dem Bierwagen, lacht und plaudert. Den Wahlkampf überlässt er sichtlich anderen. "Wo ist eigentlich der Franz?", erkundigt sich Michelle Müntefering nach einer Weile bei ihren Wahlkampfhelfern, wirkt aber sofort beruhigt, als die in Richtung Bierzelt deuten. Er sei mitgekommen, damit sie "heute gemütlich ein Bier trinken" könne, hatte sie zu Beginn erzählt: "Und er kann mich dann nach Hause fahren." So sieht sie wohl aus, die Neuordnung im Hause Müntefering.