Der Neanderthaler
Steinbrück in seinem Wahlkreis
Stand: 02.08.2013, 06:00 Uhr
Im Kreis Mettmann können die Bürger Peer Steinbrück auch mit ihrer Erststimme wählen - der SPD-Kanzlerkandidat hat hier seinen Wahlkreis. Doch obwohl der 66-Jährige hier schon das zweite Mal als Direktkandidat antritt, fremdelt Steinbrück noch sichtlich mit seiner Wahlheimat.
Von Maike Jansen
Peer Steinbrück sitzt auf einer Bierbank in der Sonne und wartet darauf, aufgerufen zu werden. Die Bühne, die auf dem Rathausplatz in Mettmann ein paar Meter weiter aufgebaut ist, kann er nicht sehen. Ein Pulk von Fotografen und Kameramännern hat sich vor ihm aufgebaut, jede seiner Gesten wird beobachtet. "Nun gehen Sie doch mal weg, ich kann ja gar nichts sehen", raunzt er die Journalisten an - vergeblich. Ein junger Wahlkämpfer drängelt sich an Steinbrücks Tisch, legt ihm ein T-Shirt vor. "Supeer", ist darauf zu lesen und nun soll Peer darauf doch bitte unterschreiben.
Aber Steinbrück wird abgelenkt. "Wir begrüßen den künftigen Kanzler der Bundesrepublik Deutschland", ruft Kerstin Griese von der Bühne - der Satz soll ihn groß machen. Hier schafft er Distanz. Denn Peer Steinbrück ist nicht auf irgendeinem der vielen Marktplätze, auf denen er in diesen Tagen nach Wählerstimmen jagt. Er ist in seinem eigenen Wahlkreis, dem Wahlkreis Mettmann I, zu dem auch das bekannte Neanderthal gehört.
Steinbrück kam als Retter nach Mettmann
2009 trat er hier, im Speckgürtel von Düsseldorf, das erste Mal an. Auch damals wollte Steinbrück ursprünglich Kanzler werden: Als in der SPD 2008 noch darüber diskutiert wurde, welchen der beiden "Stones" - also Peer Steinbrück oder Frank-Walter Steinmeier - man zum Kanzlerkandidaten küren sollte, gab der damalige Außenminister Steinmeier bekannt, bei der Wahl 2009 als Direktkandidat in Brandenburg antreten zu wollen.
Steinbrück geriet in Zugzwang: Die stärkere Bindung an die Parteibasis hätte ein entscheidender Vorteil für seinen Konkurrenten Steinmeier sein können. So begab sich Steinbrück ebenfalls auf Wahlkreissuche und wurde im rheinischen Neanderthal fündig. Dort hatte die SPD bei der Bundestagswahl 2005 ihr Direktmandat an die CDU-Kandidatin Michaela Noll verloren - der populäre Finanzminister Steinbrück sollte es zurückholen.
Doch es kam anders: Erst musste Steinbrück die Kanzlerkandidatur an Steinmeier abtreten, bei der Wahl selbst verlor er dann auch noch deutlich gegen die CDU-Kandidatin Noll - mit 44,5 zu 33,8 Prozent der Erststimmen. Eine doppelte Niederlage, die Steinbrück bei dieser Bundestagswahl wieder wettmachen will. Kanzlerkandidat ist er bereits, nun gilt es, den Wahlkreis und die gesamte Wahl zu gewinnen.
Der Kandidat spricht lieber über Bundespolitik
Der Junge mit dem T-Shirt hat Pech: Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen steht Steinbrück auf, schiebt sich durch den Fotografenpulk und marschiert Richtung Bühne. Zwei Sicherheitsleute begleiten ihn, die Zuschauer auf dem Platz klatschen. Auch sie beginnen jetzt über die Fotografen zu schimpfen, die ihnen den Blick verstellen. Den Blick auf ihren Kandidaten.
Während am Rand der Platzes unter roten SPD-Schirmchen noch Waffeln gebacken werden und Kuchen verkauft wird, ein Clown bunte Luftballons an Kinder verteilt und beim Ortsverein Haan Gummibärchen am Glücksrad gewonnen werden, spricht Peer Steinbrück über die Freiheit. Über Willy Brandt und Friedrich Ebert, die große Geschichte der SPD. Über Bürgerrechte und den Abhörskandal, über Kinderbetreuung und die Bezahlung von Frauen. Über Steuersünder und Pflegereformen. Es ist eine Rede, die Steinbrück so auch in Dresden, Flensburg oder Nürnberg hätte halten können.
Neben Kraft wirkt Steinbrück blass
Während seine Konkurrentin Michaela Noll für die CDU in der Langenfelder Fußgängerzone Blumen verteilt, sich in Vereinen engagiert und in ihrem Wahlkreis lebt, ist Steinbrück an diesem Mittag aus dem heimischen Bonn angereist - für eine Rede, danach muss er weiter. Dazu hat er sich noch prominente Unterstützung mitgebracht: Pünktlich um 14 Uhr trifft er am Rand des Rathausplatzes NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, das zweite Highlight dieses beschaulichen Bürgerfestes.
Auch Kraft kommt nicht aus Mettmann, sondern aus Mülheim, hat also eine ähnlich weite Anreise wie Steinbrück. Was man nicht merkt, wenn sie an den Ständen entlang schlendert. Ununterbrochen schüttelt die Ministerpräsidentin Hände, lacht und winkt Bekannten aus der Ferne zu. Peer Steinbrück, immerhin ehemaliger nordrhein-westfälischer Ministerpräsident, wirkt daneben wie ein ausländisches Staatsoberhaupt - neugierig beäugt, aber stets distanziert. Geradezu euphorisch stürzt er schließlich auf einen grauhaarigen Mann in der Menge zu, begrüßt ihn überschwänglich, scherzt, lacht.
Weitere Besuche in der Wahl-Heimat
"Die Arbeit in meinem Wahlkreis ist für mich eine wichtige Erdung meiner politischen Arbeit", schreibt Steinbrück auf seiner Homepage, auf der auch die "Vielfalt und Herzlichkeit der Menschen" in Mettmann lobt. Über 300 Termine habe er in den vergangenen vier Jahren in seinem Wahlkreis wahrgenommen, sie seien "ein wichtiger Impuls für mein politisches Handeln", verspricht der Kandidat. Nach seinem Blitzbesuch in Mettmann sammelt Steinbrück heute (02.08.2013) weitere Impulse in Monheim, Mettmann und Haan.
Ein Kinderprojekt, die Kreisbauernschaft, ein Firmenbesuch und zwei Wohnzimmergespräche warten dort auf ihn. Möglicherweise steht irgendwo auch wieder ein junger Mann mit einem T-Shirt und der Bitte um ein Autogramm. Vielleicht lässt Steinbrück ihn diesmal nicht stehen. Sondern nimmt sich ein Beispiel an Hannelore Kraft: die griff beherzt nach dem Stift und unterschrieb.