"Fahren Sie noch Fahrrad?"
Bärbel Höhn im Wahlkampfporträt
Stand: 05.09.2013, 11:43 Uhr
Sie ist ein alter Hase im politischen Geschäft: Lange Jahre NRW-Umweltministerin, seit neun Jahren Vizefraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag. Jetzt tourt Bärbel Höhn als Spitzenkandidatin aus NRW durchs Land.
Von Nina Magoley
Keine Angst, das Schlusswort werde schon nicht zu lang, beruhigt sie den Moderator, "ich bin nämlich eine, die auf die gestellte Fragen antwortet und nicht noch drei andere Antworten mit reinpackt". Der DGB hat an diesem Morgen nach Herne geladen, etwa eintausend Gewerkschaftler sitzen im Saal. Neben Höhn auf der Bühne weitere Politprominenz: Spitzenkandidaten wie Sarah Wagenknecht, Norbert Lammert und Andrea Nahles. "Neue Ordnung in der Arbeitswelt" lautet das Thema. Eineinhalb Stunden hat die Grüne, die auf Platz eins der NRW-Landesliste steht, mitdiskutiert. Am Ende gibt es Beifall, Gewerkschafter laufen zur Bühne, knipsen Fotos von den Politikern mit ihren Handys. Ein Mann möchte zur Erinnerung Arm in Arm mit Bärbel Höhn fotografiert werden. Kein Problem. Peter Plew, der "die Chefin" heute durch den Tag chauffiert, übernimmt den Job, Bärbel Höhn lächelt in die Kamera.
"Barbel Höhn auf Tour"
Draußen am Auto, auf dem in dicken Lettern "Bärbel Höhn auf Tour" zu lesen ist, wartet eine Hernerin, die noch ein Autogramm möchte, "für Helmut, bitte". "Gerne", sagt Höhn, und zückt den Stift. Ein paar freundliche Worte, dann geht es weiter zum nächsten Termin. Peter Plew gibt die Adresse ins Navi ein, schon rollt das Hybridauto fast lautlos an. Höhn sitzt hinten und ordnet ihre Haare. Bunte Bluse, schwarze Hose, darüber ein lindgrüner Blazer. "Weil heute auch das Fernsehen kommt", grinst sie. Der wievielte Tag ihrer Wahlkampftour das ist, kann die 61-Jährige gar nicht mehr sagen. Schon vor den Sommerferien ging es los: Erst Süddeutschland, dann der Norden, jetzt NRW. 75 Termine stehen hier auf ihrem Kalender, 5.000 Kilometer wird sie am Ende gefahren sein. Schon jetzt hat Höhn unzählige Hände geschüttelt, hunderte Male erklärt, warum es sich lohne, die Grünen zu wählen. Sie hat in ungezählten Fußgängerzonen gestanden, hat sich persönliche Anliegen von Bürgern gehört, Autogramme gegeben oder sich umarmen lassen. Tage, die um acht Uhr morgens beginnen und nicht vor halb zwölf Uhr abends enden. "Dann sitze ich meist noch im Büro", sagt Höhn, und zwischendurch versuche sie, "ein paar Dinge" einzukaufen.
"Heute grille ich mit Ihnen"
Nichts von dieser Ochsentour ist ihr anzumerken, als sie gegen ein Uhr mittags in der Bochumer Fußgängerzone aus dem Auto steigt. Höhn ist direkt umringt von Menschen. Ihr Lächeln wirkt herzlich, der Blick aufmerksam. Show-Kochen steht jetzt auf dem Plan – es geht um gesünderes Essen. Auf einer kleinen Bühne haben die Bochumer Parteikollegen eine Art Grillküche aufgebaut. Auf Biertischen liegen Einladungsflyer, "Voller Energie" steht unter Höhns Foto, und: "Heute grille ich mit Ihnen". Im Nu hat sich die Grüne eine Schürze umgebunden, steht hinter Schüsseln mit kleingeschnittener Paprika, Pilzen und Tofuwürfeln. "Die Chefin" soll jetzt Grillspieße daraus basteln. Noch ist nicht viel los, auf den Bierbänken haben einige Rentner Platz genommen. "Tagsüber sind es meist arbeitslose Menschen oder Pensionierte", hat Höhn zuvor im Auto erzählt. "Menschen, die die Frage beschäftigt, wie sie in ihrem Leben auskommen sollen, die sich Sorgen machen um steigende Stromkosten, Krankenversicherung oder Pflege im Alter."
Billigschnitzel und multiresistente Keime
Die ersten Gemüsespieße liegen jetzt auf dem Grill, Höhn, immer noch in ihrer Küchenschürze, ergreift das Mikrofon. "Wir wollen Sie heute neugierig darauf machen, wie lecker man auch ohne Fleisch genießen kann", ruft sie dem Publikum zu. Und nein, die Grünen seien nicht für ein Fleischverbot. "Wir wollen kein Verbot, sondern ein Angebot machen: nämlich einfach mal darüber nachzudenken, wodurch zum Beispiel Probleme wie multiresistente Keime entstehen." Sie redet von Massentierhaltung, billigen Schnitzeln, von Monokulturen auf den Feldern und einem notwendigen Umdenken in der Landwirtschaft.
Ihre Stimme klingt unaufgeregt, ihre Worte sind klar. "Der glaube ich, was sie erzählt", sagt eine Zuhörerin, "man kann sie verstehen", sagt ein anderer. Plötzlich eine ältere Stimme von hinten: "Ach komm Mädken, hör doch auf!" ruft ein Mann, "nach der Wahl ist das alles Schnee von gestern!". Bärbel Höhn wedelt mit einem Tofuspieß: "Kommen Sie doch rauf und reden mit uns", ruft sie zurück. Dann kommen immer mehr Fragen: Warum steigen die Strompreise? Ist eine schwarz-grüne Koalition denkbar? Warum findet mein Vater als Altenpfleger keinen Job, fragt ein junges Mädchen, und eine ältere Frau will wissen: "Fahren Sie noch Fahrrad?" Na klar, antwortet Höhn, nur das Klapprad habe sie eingemottet.
"Das personifizierte Investitionshindernis"
Zehn Jahre lang, von 1995 bis 2005, war Bärbel Höhn Umweltministerin in Nordrhein-Westfalen. Seit 2005 ist sie Bundestagsabgeordnete, 2006 wählten die Bundesgrünen sie zur Vize-Fraktionsvorsitzenden. Mit ihrer gelassenen Hartnäckigkeit ist sie bei den Politkollegen längst gefürchtet. Höhn trug dazu bei, dass das Millionengrab Metrorapid in NRW gekippt wurde, sie verhinderte den Bau eines Gaskraftwerks in Köln. Sie nervte den damaligen Ministerpräsidenten Wolfgang Clement (SPD) mit ihrem Widerstand gegen die Ausweitung des Braunkohletagebaus und zog sich den Ärger der Landwirte zu, als sie als allererste BSE-Massentests anordnete. Höhn richtete Feinstaubmessungen ein unmittelbar nachdem die EU eine Richtlinie dazu verabschiedet hatte, und wurde gegen Dioxin in Hühnereiern aktiv. "Das personifizierte Investitionshindernis" nannte die Opposition die streitbare Grüne – und ihr Elan scheint ungebrochen.
Echte Westfalen
"Besonders der Straßenwahlkampf macht mir immer wieder Spaß", sagt die 61-Jährige, möglichst viel mit Menschen reden will sie, "auch mit solchen, die gar nicht Grün wählen". Hören, welche Themen sie beschäftigen. Bärbel Höhn weiß, dass sie bei vielen Wählern als besonders glaubwürdige Politikerin gilt. "Ich versuche, nicht in auswendig gelernten Phrasen zu sprechen und Fragen wirklich zu beantworten", sagt sie. Höhn steht mittlerweile im Publikum und knabbert selber an einem Tofuspieß. "Frau Höhn, ich komme aus Oldenburg", sagt eine ältere Frau. "Och", antwortet die in Flensburg geborene Höhn, "wissen Sie, dass ich lange in Wilhelmshaven gelebt habe?" Und fügt hinzu: "Jetzt sind wir beide echte Westfalen." "Nee", erwidert die Frau erstaunt. "Doch", sagt Höhn, "denn in Nordrhein-Westfalen leben viele Menschen, die mal von woanders kamen".
Ausruhen? Unbekannt!
600 Portionen Tofuspieße und Auberginenröllchen haben die Grünen nach zwei Stunden an Passanten verteilt. Die Aktion nähert sich ihrem Ende, Abfahrtstermin im Tageskalender: 15.30 Uhr. Ein WDR-Fernsehteam möchte noch schnell ein Interview. Wo ihre Wähler geblieben seien, fragt der Reporter, in Anspielung auf die gerade abgesackten Umfragewerte der Grünen. "Unsere Themen stehen neben Syrien und NSA gerade nicht so im Fokus", antwortet Höhn, aber entscheidend seien ohnehin erst die letzten drei Tage vor der Wahl. Dann zieht sie ihre Schürze aus. Der lindgrüne Blazer kam gar nicht zum Einsatz.
Ein für den Nachmittag geplanter Besuch in einer Zeitungsredaktion fällt aus. Gelegenheit für die Oberhausenerin, für ein paar Stunden nach Hause zu fahren – um sich auszuruhen, wie man vermuten könnte. "Ausruhen?" – Fahrer Peter Plew macht große Augen. "Das Wort kennt die Chefin gar nicht", ruft er aus, "die saugt ihre Energie aus der Begegnung mit den Leuten". Als Bärbel Höhn am Abend dann zu ihrem letzten Termin an diesem Tag in Essen ankommt, hat sie die Zeit in ihrem Büro damit verbracht, "ein paar Dinge im Internet nachzugucken". Und ja, eine halbe Stunde sei sie auch zuhause gewesen, sagt sie und wirkt entspannt.
"Das sag ich dem Johannes"
Es geht um den Energiemarkt an diesem Abend. Auf Einladung der Essener Grünen hat die Energieexpertin Claudia Kemfert ihr neues Buch vorgestellt, anschließend übergibt sie "an die Lokalmatadorin" Bärbel Höhn. Die redet über Strompreise, über längst vorhandene Überschüsse grünen Stroms, sie erzählt vom vergangenen Winter, als wegen der abgeschalteten Atomkraftwerke die Angst umging, man würde im Kalten sitzen müssen, weil der Strom aus Erneuerbaren Energien nicht reichen würde. Tatsächlich aber gab es in Deutschland so viel davon, dass Strom zu hohen Preisen nach Frankreich verkauft werden konnte. Das Publikum hört aufmerksam zu, eine Stunde lang hagelt es teils schwierige Fragen.
Gegen 21 Uhr beendet die Moderatorin die Diskussion: "Ihr könnt Euch gleich sicher noch ein bisschen mit der Bärbel unterhalten" - wenig später ist die Grüne Vizefraktionschefin umlagert. Als irgendwann die meisten Zuhörer gegangen sind, drängen sich noch drei Männer um die Politikerin. Ingenieure, die eine neue Kraftwerktechnologie entwickelt haben. Ob die Kandidatin nicht mal mit NRW-Umweltminister Johannes Remmel darüber reden könnte. Höhn hört ihren Ausführungen zu, gibt zu bedenken, dass sie, bevor sie das "dem Johannes" sagt, natürlich erstmal selber prüfen müsste, ob die Idee taugt. Noch einmal heben die Männer an, die Technik genau zu beschreiben. Aufmerksam folgt Höhn ihren Worten, sagt dann "wie gesagt", lächelt und lobt, verspricht, sich die Sache anzusehen. Ganz in Ruhe packt sie schließlich ihre Sachen. Morgen früh geht es weiter.