Sturm auf Regierungsgebäude: Die Parallelen zwischen den USA und Brasilien
Stand: 09.01.2023, 18:10 Uhr
In Brasilien haben Anhänger von Ex-Präsident Bolsonaro Regierungsgebäude gestürmt. Die Vorgänge ähneln dem Sturm auf das Kapitol in den USA vor zwei Jahren. Experten sehen enge Verbindungen der weltweiten Rechten.
Von Christina Höwelhans
In der brasilianischen Hauptstadt Brasilia haben am Sonntagnachmittag (Ortszeit) tausende Menschen die Regierungsgebäude gestürmt. Sie zerbrachen Fensterscheiben und beschmierten Wände. Die Polizei bekam die Lage zunächst nicht unter Kontrolle, erst nach Stunden kam Verstärkung. Bis zum Abend wurden mehr als 200 Menschen festgenommen. Der Angriff erinnert an die Erstürmung des US-Kapitols in Washington vor zwei Jahren.
Außenministerin Baerbock betont deutsche Solidarität
Außenministerin Annalena Baerbock sagte dem neuen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva die Solidarität Deutschlands zu. "Als Demokratien halten wir fest zusammen", erklärte die Grünen-Politikerin bei einer Pressekonferenz in Berlin. Bei Twitter hatte sie zuvor von einem "feigen und gewalttätigen Angriff auf die Demokratie" gesprochen.
Marcia Ramalho ist Vorsitzende von Köln-Rio e.V., einem Verein, der die Städtepartnerschaft zwischen Köln und Rio de Janeiro organisiert. Sie zeigte sich schockiert über die Bilder aus ihrer Heimat: "Ich war bestürzt über die Attacke auf die höchsten Institutionen in Brasilien", sagte Ramalho dem WDR.
Die Angreifer von Brasilia sind mutmaßlich Anhänger des rechtsextremen Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro. Diese hatten nach der Präsidentschaftswahl im Oktober immer wieder gegen Lulas Sieg protestiert und die Armee zu einem Militärputsch aufgerufen. Bis heute hat Bolsonaro seine Niederlage nicht anerkannt - genau wie Trump seine Niederlage bei den US-Präsidentschaftswahlen 2020.
Bolsonaro weist Verantwortung von sich
Lula machte seinen Vorgänger Bolsonaro für die Ausschreitungen verantwortlich und forderte Aufklärung:
3.000 Anhänger sind offenbar in Bussen nach Brasilia gebracht worden, berichten lokale Medien. Bolsonaro meldete sich am Abend bei Twitter: Er weise alle Vorwürfe zurück, schrieb er. Friedliche Demonstrationen seien Teil der Demokratie. Mit der Erstürmung von Regierungsgebäuden werde aber eine Linie überschritten.
Expertinnen sehen Bolsonaro als indirekt beteiligt
Mayra Goulart, Professorin für Sozialwissenschaften an der Universität von Rio de Janeiro, weist Bolsonaro durchaus eine Verantwortung zu: So habe der Ex-Präsident sich während seiner Amtszeit oft wohlwollend über den Sturm des Kapitols in Washington geäußert. Zudem habe er in unzähligen Reden als Abgeordneter im Nationalkongress das politische System in Brasilien kritisiert: "Aber nicht auf eine konstruktive Weise, sondern destruktiv."
ARD-Korrespondentin Xenia Böttcher sieht Bolsonaro ebenfalls indirekt beteiligt. Er habe zwar nicht direkt zu einer Erstürmung der Regierungsgebäude aufgerufen: "Aber er hat seine Anhänger auch nie demotiviert. Er hat immer von Schlachten und Kriegen gesprochen."
Die Angreifer sollen sich in Telegram-Gruppen organisiert und eine Demonstration unter dem Motto "Machtergreifung" angekündigt haben. Das berichten lokale Medien. Bei der Gewalt hat offenbar auch ein Bolsonaro-Vertrauter eine zentrale Rolle gespielt: Der Sicherheitschef von Brasilia, Anderson Torres, sei einer Bitte des Senats nach einer vorbeugenden Verstärkung der Sicherheitskräfte nicht nachgekommen. Torres war unter Bolsonaro Justizminister. Er wurde vom neuen Präsidenten Lula da Silva nach den Ereignissen des gestrigen Tages als Sicherheitschef von Brasilia entlassen.
Verbindungen der brasilianischen Rechten in die USA
Bolsonaro ist kurz vor dem Jahreswechsel in die USA ausgereist, hält sich zurzeit in Florida auf. Seine Anwälte sollen ihm geraten haben, Brasilien zu verlassen, um nicht für mögliche Unruhen verantwortlich gemacht zu werden. Für den Journalisten und Autoren Niklas Franzen ist es "kein Zufall", dass Bolsonaro ausgerechnet in die USA ausgereist ist: "Es gibt enge Verbindungen des Bolsonaro-Lagers in die USA", sagte er dem WDR.
Franzen lebt zeitweise in São Paulo und hat im vergangenen Jahr das Buch "Brasilien über alles. Bolsonaro und die rechte Revolte" veröffentlicht. Er sieht den Sturm auf das US-Kapitol als Vorbild für die Unruhen in Brasilia, die Abläufe würden sich gleichen. Außerdem sei Bolsonaros Sohn Eduardo kurz nach der Gewalt in Washington vor zwei Jahren in die USA gereist.
AfD-Politikerin von Storch pflegt Kontakte zu Bolsonaro-Umfeld
Franzen weist auch auf Verbindungen bis nach Deutschland hin. So habe die AfD-Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch in Brasilien 2021 mit dem damaligen Präsidenten Bolsonaro und seinem Umfeld getroffen. Nach der Präsidentenschaftswahl im vergangenen Jahr habe sie mehrfach öffentlich Zweifel am Wahlausgang geäußert. Von Storch und ihr Ehemann Sven von Storch hätten außerdem Verbindungen zur Gesellschaft zur Verteidigung von Tradition, Familie und Privateigentum (TFP). Das christlich-aristokratische Netzwerk sei in Brasilien gegründet worden und sehe sich als Vorkämpfer einer konservativen "Konterrevolution".