Stolpersteine auf dem Weg ins Berufsleben: Warum Willige keine Azubistelle bekommen

Stand: 17.08.2022, 12:00 Uhr

Auch dieses Jahr bleiben zehntausende Lehrstellen in NRW unbesetzt. Die Gründe sind vielfältig. Vor allem der Schulabschluss kann den Berufsweg der jungen Menschen entscheidend beeinflussen.

Von Christian Zelle

Viele Unternehmen – vor allem kleinere Betriebe mit weniger als 200 Mitarbeitern – haben größere Probleme, geeignete Auszubildende zu finden. Deutlich leichter hat es da aber etwa der große Landmaschinenhersteller Claas in Harsewinkel, der nach eigenem Bekunden alle seine Ausbildungsplätze in diesem Jahr besetzen konnte.

In meinem Freundeskreis waren viele orientierungslos und unsicher, was sie vielleicht machen wollen oder was sie sich überhaupt vorstellen können. Kira (19), Auszubildende bei Claas
Kira (19) beginnt bei Claas eine Ausbildung zur Industriemechanikerin.

Kira (19) beginnt bei Claas eine Ausbildung zur Industriemechanikerin.

Kira aus Harsewinkel etwa hat sich für den Berufszweig der Industriemechanikerin bei Claas entschieden. "Ich war schon immer sehr technikinteressiert und hab mit meinem Papa früher schon ein bisschen an Autos rumgeschraubt", sagt die 19-Jährige. Die Abiturientin ist damit eine Ausnahme – als Frau in diesem Ausbildungsgang, aber auch als Auszubildende mit Hochschulreife. Nur 12,9 Prozent der Ausbildungsbewerber können ein Abitur vorweisen, mehr als die Hälfte der Abiturienten entscheidet sich für ein Studium.

44.000 Ausbildungsstellen in NRW unbesetzt

"Für Jugendliche mit Haupt- oder Realschulabschluss stellt eine Ausbildung die einzige nachschulische Bildungsoption dar", sagt Clemens Wieland, Experte für Jugend und Arbeit bei der Bertelsmann-Stiftung. Eine Entscheidung über ihren weiteren Lebensweg ist diesen Schülern damit erstmal abgenommen – gleichzeitig aber auch viele Chancen. Selbst der Ausbildungsmarkt empfängt sie, trotz des Fachkräftemangels und vieler offenen Stellen, nicht mit offenen Armen.

44.000 Ausbildungsstellen seien rund zwei Wochen vor dem offiziellen Ausbildungsstart am ersten September in NRW unbesetzt, sagt Torsten Withake, Leiter der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit in Düsseldorf. Das klingt für jene, die eine Stelle suchen, wie eine gute Nachricht, aber freie Stelle und Suchender kommen zu oft nicht zusammen.

Betriebe halten viele Bewerber für ungeeignet

Das kann verschiedene Gründe haben. Wieland kennt die wichtigsten: "Man muss leider sagen: Je niedriger die Schulbildung, desto schlechter sind die Chancen auf dem Ausbildungsmarkt", sagt er. Manchmal lägen Angebot und Nachfrage räumlich zu weit voneinander entfernt, oft käme aber selbst "trotz Interesse am angebotenen Ausbildungsplatz kein Vertrag zustande".

Clemens Wieland von der Bertelsmann-Stiftung

Clemens Wieland

Als gelernter Ökonom weiß Wieland, dass Unternehmen gut wirtschaften müssen und nur Auszubildende nehmen, mit denen sie dies tun können. Um sie zu bekommen, intensivieren vor allem größere Unternehmen ihre Rekrutierungsbemühungen. Das geht wie etwa bei Claas bis zu Social-Media-Präsenzen, über die sie die jungen Menschen für ihren Betrieb begeistern wollen.

Durch Praktika lernen sich Jugendliche und Betriebe kennen. Jugendliche, deren Schulnoten nicht so gut sind, können dabei durch ihr persönliches Auftreten überzeugen. Clemens Wieland

Das Problem der Bewerber, die am Ende leer ausgehen, bleibt: "Zuletzt gab es in Deutschland rund 2,33 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 34 Jahren, die über keinen Berufsabschluss verfügten. Das entspricht einer Quote von 15,5 Prozent – mit steigender Tendenz", so Wieland. Bei Menschen ohne Schulabschluss liegt die Quote sogar bei 64,4 Prozent.

Diskriminierung spielt ebenfalls eine Rolle

Eine weitere Barriere auf dem Weg ins Berufsleben, ist die Herkunft, und zwar selbst bei gleicher schulischer Qualifikation: "Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen seit Jahren, dass junge Menschen mit Migrationsgeschichte schlechtere Chancen beim Übergang von der Schule in die berufliche Ausbildung haben", klagt Wieland.

Besonders schwer bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz haben es junge Menschen mit türkischer oder arabischer Herkunft. Clemens Wieland

Der aktuelle Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes bestätigt das. Die meisten von der Antidiskriminierungsstelle registrierten Beratungs- und Diskriminierungsstelle betreffen laut der Bundesbeauftragten Ferda Ataman den Arbeitsmarkt. Es gehe dabei oft nicht um bösen Willen, sondern zum Beispiel darum, dass Leute jeweils Menschen einstellten, die ihnen ähnlich seien. "Das führt dazu, dass viele Menschen ausgeschlossen werden", sagte Ataman.

Corona belastet den Ausbildungsmarkt zusätzlich

Zusätzlich spielt auch die Pandemie immer noch eine große Rolle. "Ein großes Problem seit Corona ist, dass viele Möglichkeiten der Berufsorientierung weggefallen oder nur eingeschränkt verfügbar sind“, so Wieland. Dazu gehörten beispielsweise Betriebspraktika, Schnuppertage und Ausbildungsmessen.

Vor allem Praktika könnten helfen, die Zahl unbesetzter Stellen und unversorgter Bewerber zu reduzieren. Trotz dieser Probleme ist Wieland davon überzeugt, dass das Ausbildungssystem in Deutschland in weiten Teilen "nach wie vor sehr gut" funktioniert. Wie viele der 44.000 unbesetzten Stellen noch vermittelt werden, bleibt abzuwarten.

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