Felssturz in den Tiroler Alpen | sv

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Felssturz in Tirol: Wie der Klimawandel Lawinen in den Alpen auslöst

Stand: 12.06.2023, 20:54 Uhr

In einem Gebirge in Tirol haben sich am Sonntag riesige Gesteinsmassen gelöst und sind wie eine Lawine bergab gerollt. Verletzte oder Tote gibt es nicht. Der Felssturz ist aber ein weiteres Zeichen für den Klimawandel, sagen Wissenschaftler.

"Hundert Meter vom Gipfel sind weggebrochen", sagt der Leiter der örtlichen Bergrettung, Christian Walter, im Gespräch mit der dpa. "In dieser Größenordnung sieht man das nicht oft. (...) Kleinere Felsabbrüche gibt es bei uns fast jährlich. Aber in diesem Ausmaß ist das schon beträchtlich", sagt Galtürs Bürgermeister Hermann Huber (ÖVP).

Nach einem Erkundungsflug am Montag schätzte Tirols Chef-Geologe Thomas Figl, dass mindestens 100.000 Kubikmeter Gestein vom Südgipfel des Fluchthorn-Massivs bei Galtür gestürzt sind. Die gute Nachricht: Die Alpinpolizei geht nicht davon aus, dass Menschen zu Schaden gekommen sind.

Wie kommt es zu einem Fels- oder Bergsturz?

Bei dem Helikopterflug seien klare Anzeichen zu erkennen gewesen, dass das schwindende Permafrost-Eis im Gestein die Ursache für das Naturereignis war, sagte Thomas Figl. "Das Eis schmilzt wegen der stattfindenden Klimaerwärmung, und das sorgt eben dafür, dass die Berge bröckeln", erklärte der Geologe.

Das Eis ist der Klebstoff der Berge, und dieser Klebstoff geht jetzt schön langsam verloren. Tirols Chef-Geologe Thomas Figl

Heißt: Nicht nur das Eis am Berg taut auf, sondern auch im Berg, also in den Felswänden, die vor allem durch den Permafrost im Inneren zusammengehalten werden. Wird dieses Eis zu Wasser, destabilisiert sich der ganze Berg. In die entstehenden Klüfte dringen Schmelz- und Regenwasser ein und setzen den Berg unter Druck.

Die Sprengkraft der Wassermassen kann ganze Bergflanken absprengen, es kommt zum Fels- oder Bergsturz. Explosionsartig bricht ein Stück Berg auseinander und rast als Geröll-Lawine ins Tal, angetrieben von den gespeicherten Wassermassen.

Galtür - da war doch was?

Galtür war im Jahr 1999 Schauplatz einer Katastrophe, als dort eine riesige Lawine niederging. 38 Menschen starben, die meisten waren Deutsche. Einige Wanderrouten rund um das Fluchthorn sind seit Sonntag vorsorglich geschlossen. Die Gemeinde Galtür ist hingegen nicht betroffen. Das Dorf ist mehr als neun Kilometer entfernt und liegt in einer anderen Richtung als die Schneise der etwa zwei Kilometer langen Gesteinslawine.

Wie sieht's andernorts aus?

Auch rund 60 Kilometer weiter südwestlich in der Schweiz rumort es am Berg oberhalb des Dorfes Brienz. Am Wochenende sind auch da riesige dicke Gesteinsbrocken hinuntergedonnert. Dort hat sich eine langjährige Gesteinsrutschung im Frühjahr so beschleunigt, dass die gut 80 Einwohner in der ersten Maihälfte vorsichtshalber in Sicherheit gebracht wurden.

Bislang sind die Brocken oberhalb des Dorfes liegengeblieben. Es ist aber nicht auszuschließen, dass auch das Dorf getroffen werden könnte. Im Unterschied zu Galtür gibt es bei Brienz keinen Permafrost. Der Berg bewegt sich dort schon seit Hunderten Jahren.

Und was ist mit Deutschland?

Bei einem ebenfalls einsturzbedrohten Berg im Allgäu sehen die Behörden keine unmittelbare Gefahr. Der Hochvogel, einer der bekanntesten Gipfel der Allgäuer Alpen wenige Kilometer von Oberstdorf entfernt, bricht seit vielen Jahren langsam auseinander, es könnte dadurch zu einem riesigen Felssturz kommen.

Eine Sprecherin des Landkreises Oberallgäu sagte am Montag, dass die Gesteinsmassen in einem unbewohnten Gebiet niedergehen würden. Dort gebe es nur einen Wanderweg, der aber bereits seit sehr mehr als einem Jahrzehnt wegen des Risikos gesperrt sei.

Am Hochvogel hatte sich eine gewaltige Felsspalte im Bereich des 2.592 Meter hohen Gipfels gebildet. Der Berg steht auf der Grenze zwischen Bayern und Tirol. Wissenschaftler der Münchner Universitäten und weiterer Einrichtungen dokumentieren seit Jahren die Bewegungen des Massivs.

Nach Berechnungen könnten bis zu 260.000 Kubikmeter Fels ins Tal stürzen. Die Behörden in Deutschland und Österreich glauben dennoch, dass es dann in den nächst gelegenen Ortschaften allenfalls Staubwolken geben könnte.

Was sagt Reinhold Messner?

Reinhold Messner

Reinhold Messner

Der bekannte Extrembergsteiger ist oft in den Dolomiten unterwegs - jenen Bergen, die er sein zuhause nennt. Und er erkennt manchmal schon aus mehreren Kilometern Entfernung "an der Farbe der Felsen, wo etwas herausgebrochen ist und wie groß die Stücke waren". Und dass das immer schneller gehe.

"Was früher in fünf Jahren passiert ist, passiert jetzt in einem Sommer. (...) Die Abbrüche nehmen rasant zu." Extrembergsteiger Reinhold Messner

Vorfälle wie dieser in Tirol zeigten, wie klein und unbedeutend wir Menschen seien im Vergleich zu dieser gewaltigen Natur.

Worauf sollten Wanderer und Urlauber achten?

"Im Normalfall ist das Risiko durch Naturgefahren auf den Wanderwegen der Alpen gering", schreibt das Institut für Schnee-und Lawinenforschung SLF in Davos. Zwar gebe es immer ein Restrisiko. Statistisch gesehen sei es aber deutlich wahrscheinlicher, beim Wandern abzustürzen oder anderweitig selbstverschuldet zu Schaden zu kommen, als von einem Stein getroffen zu werden.

"Grundsätzlich gilt: je hochalpiner und ausgesetzter der Weg, desto höher das Risiko. Die Wandernden nehmen das Risiko eigenverantwortlich auf sich. Ist eine Passage ausgesetzt, auf keinen Fall darin stehen bleiben, sondern zügig weitergehen".

Auch das Wetter spiele eine Rolle. Bei starkem Regen und wenn der Schnee schmilzt, sollten Wanderer steile Flanken und ausgesetzte Wege meiden. "In Geröllfeldern nützt auch ein Blick nach oben. Stehen dort Tiere wie Gämsen, ist Vorsicht angesagt". Denn sie können einzelne Steine lostreten und einen Steinschlag auslösen.

Über dieses Thema berichten wir auch in der Aktuellen Stunde am 12.06.2023.

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