Buchcover: "Zauberberg 2" von Heinz Strunk

"Zauberberg 2" von Heinz Strunk

Stand: 27.11.2024, 09:18 Uhr

Heinz Strunk interpretiert einen Literatur-Klassiker neu. Zum Jubiläum von Thomas Manns Original, das in diesen Tagen vor 100 Jahren erschien, veröffentlicht der Rowohlt-Verlag jetzt Strunks "Zauberberg 2".

Heinz Strunk: Zauberberg 2
Erscheinungstermin: 28.11.2024
Rowohlt Verlag, 288 Seiten, 25 Euro

Jonas Heidbrink ist gerade mal Mitte 30 und hat schon ausgesorgt. Er lebt in Hamburg, hat sein Software-Startup großgemacht und verkauft.

"Jetzt hatte ich die Taschen voller Geld und war frei, freier geht’s nicht."

Geld hin oder her - gut geht es seiner Hauptfigur keineswegs, sagt Heinz Strunk.

"Wenn Autoren behaupten, sie hätten mit den Figuren nichts zu tun – das ist eine Lüge. Ich hab natürlich sehr viel mit Heidbrink zu tun und mir geht es tatsächlich ähnlich: Also finanziell leide ich schon seit längerem keine Not mehr, aber darum geht’s in meinem Leben nicht."

Jonas Heidbrink hat Depressionen und eine Angststörung. Deshalb geht er in eine psychosomatische Klinik an der Grenze zu Polen. Immer gleicher Klinikalltag: Mahlzeiten, Therapien, medizinische Untersuchungen.

"Keine verrückten Besucher, keine Liebesabenteuer, keine Überraschungen, nichts, nur Vitalwerte, Suppe und Langeweile. Nach dem Essen nimmt er eine Schmerztablette und legt sich aufs Bett. Dann liegt er da wie von einem Bestatter hergerichtet, die Arme dicht am Körper."

Thomas Manns "Zauberberg" über den Lungenklinik-Patienten Hans Castorp holt Heinz Strunk ins Heute. Er tauscht die Schweizer Berge mit dem sumpfigen Niemandsland Mecklenburg-Vorpommerns. Und auch die Krankheiten hat er aktualisiert:

"So lustig ich das finde mit den Liege-Kuren, den vielen, die im Zauberberg geschildert werden, finde ich das Thema psychosomatische oder psychische Erkrankung viel ergiebiger und natürlich auch viel zeitgemäßer. (Es gibt keine Lungenkliniken mehr, was soll ich heute noch so tun, als gebe es Lungenkliniken, das wäre ja albern.) Und ich kenne mich in dem Bereich psychische Störungen ganz gut aus (lacht)."

Strunk selbst hatte eine Psychose, kennt Spielsucht und Depressionen. Die Idee für den "Zauberberg 2" ist 7 Jahre alt, vor 3 Jahren dann begann er mit dem Schreiben:

"Ich wusste überhaupt nicht, dass der Zauberberg 100-jähriges Jubiläum hat in diesem Jahr. Ich wurde drauf hingewiesen. Da dachte ich: Wenn ich mir diese einmalige Gelegenheit entgehen lasse, das wäre ja geradezu fahrlässig."

… ein cleverer Marketing-Move. An Selbstbewusstsein mangelt’s Strunk nicht, sich neben Thomas Mann zu stellen. Er provoziert gern. Sein Buch ist aber mehr als das. Er ging für die Recherche als Patient in eine Klinik. Das Ergebnis: eine ernstzunehmende Zauberberg-Version. Die Hauptfigur ist kranker als zunächst gedacht und sieht einmal sogar dem eigenen Tod ins Auge, allerdings nicht beim Skiausflug im Hochgebirge, Manns berühmter „Schneetraum“, sondern beim Schwimmen am Stettiner Haff. Manns Figuren Settembrini und Naphta, beide Mentoren für Castorp und im philosophischen Dauerstreit, werden bei Strunk zum weltmännischen Bernhard Zeissner, einem wichtigen Gefährten, der in endlosen Monologen die Welt erklärt.

"Zeissner ist die Verkörperung natürlicher Autorität, einer dieser raumgreifenden Männer, denen sich Heidbrink noch nie gewachsen gefühlt hat. Beruflich granitharter Hund, privat Salonlöwe, Connaisseur, Bonvivant."

Es gibt etliche Anspielungen und sogar ganze übernommene Passagen, die im Anhang kenntlich gemacht werden. Ziemlich witzig: Manche Strunk-Sätze klingen nach Thomas Mann, manche Mann-Sätze nach Heinz Strunk. Letztlich braucht das Buch aber weder im Schatten, noch im Glanz des Originals zu stehen. Auf den großen Namen draufzuspringen, hat Strunk eigentlich nicht nötig. Sein Roman ist nachdenklich, atmosphärisch und angenehm leise erzählt. Der unwiderstehlich-muffelige Strunk-Ton sitzt wie eh und je. Die Figuren teilen die Angst vor der eigenen Sterblichkeit und verhandeln damit eine der größten Fragen des Menschseins: Worin finden wir Trost? Vielleicht geht es darum, sich zu verbünden. Heidbrink zumindest tanzt:

"Und was in der Vorstellung peinigend und dämlich und blamabel war, entwickelt sich zu Heidbrinks erstem schönem Gruppenmoment seines Aufenthalts. So unbeholfen sie herumhampeln, irgendetwas verwandelt sich. (Heidbrink ist derart gerührt, dass sich seine Kopfhaut zusammenzieht. Die Zeit verlangsamt sich. Der Raum verschwindet.)"

Das macht den Klinik-Kosmos – trotz all seiner Ereignislosigkeit – literarisch auch so großartig: Hier finden sich verlorene Gestalten. Die Momente wirken echt, die Dialoge unspektakulär, aber nah. Es ist ein sehr persönliches Heinz-Strunk-Buch geworden, hat man den Eindruck. Höchst melancholisch und auf der Suche nach den großen Antworten. Und irgendwie auch Liebeserklärung an Thomas Mann, sagt Strunk – plötzlich ganz kleinlaut:

"Ja, dass ich einfach sagen muss, dass er es stilistisch zu einer derartigen Meisterschaft gebracht hat, da muss man erstmal hinkommen."