Buchcover: "Am Hang" von Markus Werner

"Am Hang" von Markus Werner

Stand: 07.01.2025, 07:00 Uhr

Fesselnd wie ein Krimi, vielschichtig wie eine philosophische Abhandlung – in seinem letzten Roman "Am Hang", der jetzt zu seinem 80. Geburtstag in einer neuen Ausgabe erscheint, zeigt sich die ganze Meisterschaft des 2016 verstorbenen Schweizer Schriftstellers Markus Werner. Eine Rezension von Andrea Gerk.

Markus Werner: Am Hang
Gebundene Geschenkausgabe in Leinen.
S. Fischer Verlage, 2024.
208 Seiten, 24 Euro.

Es geht um zwei ganz unterschiedliche Männer, ihr Verhältnis zu Frauen, und damit auch zur Welt. Der Erzähler, Clarin, ist ein junger, leichtlebiger Womanizer. Als Scheidungsanwalt will er ein Arbeitswochenende in seinem Tessiner Ferienhaus zu verbringen, um einen Fachaufsatz fertigzustellen. Als er zum Abendessen die Terrasse des Hotel Bellavista aufsucht, landet er – weil alles besetzt ist – am Tisch eines etwas älteren Mannes, der sich als Thomas Loos vorstellt. Nach gewissen Anlaufschwierigkeiten und einigen Karaffen Wein geraten die beiden Fremden in eine Debatte über Sinn und Unsinn der Ehe, die der junge Scheidungsanwalt – auch aus beruflicher Erfahrung – für einen Irrweg hält:

"Loos, der mir mit so großer Aufmerksamkeit zugehört hatte, dass ich meine Darlegungen gern noch vertieft und fortgesetzt hätte, unterbrach mich und sagte: Sie sind also Junggeselle. – Ein überzeugter, wie Sie gemerkt haben dürften. – Dann ist ja Ihre menschliche Natur nicht überfordert, das freut mich, sagte er, und während ich noch überlegte, wie er das meinen könnte, mokant oder ernst, sagte er leise: Mir ist sie Heimat geworden. – Ich suchte seinen Blick, Loos aber schaute übers Tal. Wer? Fragte ich. Die Ehe, sagte er. Gewesen? – Er nickte. Sie sind – verwitet? – Er trank."

Überhaupt werden – wie meist bei Markus Werner – erstaunliche Mengen Wein getrunken, während geredet und philosophiert wird. Dabei geht es vor allem Loos um ein Unwohlsein am Lärm der Welt, der hektischen Betriebsamkeit – genau wie der Autor selbst einmal bekannt hat, dass "die Stille und Langsamkeit früherer Zeiten" seiner Natur "gemäßer wären als die ohrenbetäubende Raserei, die uns Heutigen fast die Besinnung raubt":

"Verlorene Tage gebe es nicht, meinte Loos, und Antriebsmangel, verstanden als ziviler Ungehorsam, als Gegenkraft zum großen Treiben, sei ein Symptom der Gesundheit. Alles, was der Verlangsamung diene, sogar ein ausgedehntes Frühstück, komme der Volksgesundheit zugute, die so gefährdet sei wie nie zuvor, weil mehr und mehr Menschen das Gefühl hätten, der rasenden Mechanik nicht mehr gewachsen zu sein und auf der Strecke zu bleiben."

Elegant und mit einer Prise Humor lässt Markus Werner so immer wieder profunde Gesellschaftskritik in sein konzentriertes Kammerspiel einfließen. Melancholische Momente und fast wütende Ausbrüche wechseln sich im Laufe der wenigen Tage ab, an denen die beiden Männer sich immer wieder treffen und weitersprechen. Wobei immer deutlicher wird, dass die Frau, der Loos in unverbrüchlicher Treue nachtrauert, das Verbindungsglied zwischen beiden sein muss:

"Du hast mir sehr geholfen, sagte er. – Ich habe dir gern zugehört, du brauchst mir nicht dafür zu danken, und dass dich das Reden, wenn ich dich richtig verstehe, erleichtert hat, das finde ich schön. – Loos trat einen Schritt auf mich zu und sagte mit gepresster Stimme und nahe an mein Ohr: Leg dich ins Bett mit deiner Fehldeutung, und vergiß nicht, die Tür zu verriegeln."

Spannend wie in einem richtig guten Krimi erzählt Markus Werner in diesem, seinem letzten Roman von Lebenslügen und tragischen Fehlern, die durch nichts mehr gut zu machen sind. An mancher Stelle, in der die zwei Männer über Frauen sprechen, merkt man dem Buch durchaus an, dass es vor zwanzig Jahren und damit vor Metoo erschienen ist. Aber das fällt kaum ins Gewicht in Anbetracht der thematischen Vielschichtigkeit, der eleganten Sprache und raffinierten Machart dieses Textes, der Markus Werner einmal mehr als einen zeitlosen und bedeutenden Schriftsteller zeigt.