"Die Leute von Oetimu" von Felix K. Nesi
Stand: 06.01.2025, 07:00 Uhr
Felix K. Nesi hat einen bunten, prallen Roman über seine Heimatinsel Timor veröffentlicht: "Die Leute von Oetimu. Eine garantiert wahre Geschichte aus Timor." Es sind Geschichten von Liebe, Sex, Grausamkeit und Krieg. Vor einem ganz realen Hintergrund: dem Kampf für die Unabhängigkeit der Insel Timor. Eine Rezension von Simone Hamm.
Felix K. Nesi: Die Leute von Oetimu
Aus dem Indonesischen übersetzt und mit einem Nachwort von Sabine Müller.
Edition Nautilus, 2024.
312 Seiten, 25 Euro.
Felix K. Nesi hat seinen Roman "Die Leute von Oetimu. Eine garantiert wahre Geschichte aus Timor" im Stil der Oral History seines Volkes geschrieben – mit großer Sprachkraft, Witz und Ironie.
In "Die Leute von Oetimu" tauchen unglaublich viele Personen auf, deren Geschichten alle lose miteinander verbunden sind. Da ist Silvy, die so klug ist, dass sie auf die eine teure Privatschule gehen soll, und selbst dort, weil sie alle anderen Schüler und auch die Lehrer überragt, bald in der Bibliothek arbeiten wird. Silvy ist bildschön. Sergeant Ipi kann sein Glück kaum fassen, als die schönste Frau im Dorf ihn fragt, ob er sie heiraten wolle. Silvy glaubt, nach einer Vergewaltigung durch den brutalen Linus schwanger zu sein. Sie braucht einen annehmbaren Vater. Linus wäre zu gern Soldat geworden – es reicht aber nur zum Spitzel, der Studenten aushorcht. Manchmal kommen Regierungsbeamte in einem großen Wagen in das kleine Dorf, wollen die Privatschule sehen:
"Auf dem Rücksitz saß eine Frau mittleren Alters, sie drehte das Seitenfenster herunter und warf Münzen und Bonbons hinaus. Sie hoffte, die Dorfkinder würden sich daraufstürzen. Doch die Kinder bückten sich weder nach den Münzen noch nach den Bonbons, sie gingen davon aus, dass die Frau kleine Opfergaben brachte und so auf ihre Art die Ahnen begrüßte."
Die Kinder der Fischer, der Hafenkulis, der Prostituierten gehen auf die vierzehn Kilometer weiter gelegene staatliche Oberschule.
"Den Hin- und Rückweg legten die Kinder in den öffentlichen Sammeltaxis zurück. Wenn die Kinder ausreichend Geld dabei hatten, zahlten sie für die Fahrt. Wenn sie kein Geld dabei hatten, ließen die Mädchen es über sich ergehen, dass der Fahrer und sein Gehilfe ihre Brüste begrapschten, während die Jungen sich, weil sie keine Brüste hatten, resigniert schlagen ließen."
Felix K. Nesi spart Terror und Schrecken, brutale Gewalt nicht aus. Er hat seinen magisch realistischen Roman vor ganz realem Hintergrund angelegt. Timor, eine sogenannte Gewürzinsel, wurde im 16. Jahrhundert erst von den Portugiesen, dann von den Holländern besetzt. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Insel geteilt, nach dem Zweiten Weltkrieg von Japanern besetzt. Westtimor gehörte ab 1949 zu Indonesien, Osttimor blieb portugiesisch. Erst 2002 – nach langem Kampf – wurde Timor unabhängig.
Im vergangenen Jahr ist Prabowo Subianto zum Präsidenten Indonesiens gewählt worden. Er ist ehemaliger Kommandeur der Spezialkräfte und Schwiegersohn des Militärdiktators Suharto. Menschenrechtsaktivisten werfen ihm vor, mitverantwortlich an einem Massaker in Timor gewesen zu sein. Er wurde deswegen nie angeklagt. Auch ein pro-indonesischer Offizier, der ein Massaker begangen hat, kommt in "Die Leute von Oemitu" vor. Das erfordert schon Mut. Felix K. Nesi hat ihn. Auch alle Figuren aus Oetimu, die schöne, kluge Frau, der skrupellose Vergewaltiger, der ehrgeizige Sergeant wirken real und plastisch. Was sie erleben, schildert Nesi oft in bizarren und fast surrealen Bildern.
Am Siki hat ein Lager der japanischen Besatzer niedergebrannt, weil er seine Stute retten wollte. Aus keinem anderen Grund:
"Seine Heldengeschichte hatte Am Siri zu einem im ganzen Land bekannten und geachteten Mann gemacht. Sein Ruf eilte ihm bis auf die entlegensten Inseln voraus. Man nannte ihn einen Helden, der getötet hatte, um Bangsa aus dem eisernen Griff der Japaner zu befreien. Am Siri kannte das Wort Bangsa für 'Volk' nicht und wollte nichts von dem ihm zugeleiteten Ruhm wissen."
"Die Leute von Oetimu" ist wuchtig und kraftvoll, sehr phantasievoll geschrieben. Nesi zieht die Leser regelecht in einen Strudel von wilden Anekdoten und Geschichten hinein. Es gelingt ihm – und das ist eine große Leistung –, dass die Leser ihm folgen können – trotz des irrsinnigen Tempos und der vielen Protagonisten. Verwirrendes klärt sich auf. Phantastisches bleibt phantastisch. Felix K. Nesi hat in seiner Heimat einen Nerv getroffen und viele literarische Auszeichnungen erhalten. Auch in Deutschland wünscht man ihm viele Leser.