Buchcover: "Engel & Heilige" von Eliot Weinberger

"Engel & Heilige" von Eliot Weinberger

Stand: 24.11.2023, 12:00 Uhr

Der Amerikaner Eliot Weinberger streift in seinem Essay „Engel & Heilige“ durch theologische Schriften aus vielen Jahrhunderten. Entstanden ist ein wunderbar amüsantes weltliterarisches Kompendium zu Fantasmen in der Religion, findet Rezensentin Nicole Strecker.

Eliot Weinberger: Engel & Heilige
Übersetzt aus dem Englischen von Beatrice Faßbender.
Berenberg Verlag, 2023.
168 Seiten. 28 Euro.

"Engel & Heilige" von Eliot Weinberger

Lesestoff – neue Bücher 24.11.2023 05:33 Min. Verfügbar bis 23.11.2024 WDR Online Von Nicole Strecker


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Nach diesem Buch weiß man einfach alles über Engel – oder eigentlich: nichts. Denn es gibt kein einzigen Aspekt bei diesem Thema, in dem Einigkeit unter den Quellen herrschen würde. Das fängt schon bei ihrer Anzahl an. So um die 300 Millionen Engel gibt es, sagen die einen. Andere veranschlagen fast 500.000 Myriaden. Und wieder andere fragen schlicht: Wie soll man Engel als körperlose Wesen überhaupt zählen?

"Sähen wir einen Engel in aller Klarheit, wir würden vor Wonne sterben."

Das sagte Birgitta von Schweden, Mystikerin aus dem 14. Jahrhundert. Nur eine historische Quelle unter zahllosen, die Eliot Weinberger in seinem süffisanten Essay konsultiert hat, um mehr über diese metapyhsischen Phänomene herauszufinden.

Sie bezaubern die Menschen seit Jahrtausenden, könnten heute Regalkilometer an Kitsch-Devotionalien füllen - und doch bedeuteten sie offenbar schon immer für jeden etwas ganz anderes. Sie haben keinen Körper, aber verströmen einen himmlischen Duft, glaubt etwa Johannes von Damaskus.

Für den englischen Dichter John Milton sind sie gender-fluide und haben Sex. Und Thomas von Aquin, einer der wichtigsten Experten für Eliot Weinberger in Sachen Engels-Kunde, hat sich mit ihrer Kommunikation beschäftigt. Sie sprechen nicht, sie imitieren nur Sprache, indem sie in der Luft Lauten formen, erklärt der Philosoph.

"Was den Inhalt dieser imitierenden Rede angeht, blieb es strittig, ob die Engel von sich aus sprechen oder ob Gott durch sie spricht – ob sie also, mit unseren Begriffen ausgedrückt, bewusste Individuen oder Funkgeräte sind."

Engel als göttliche Funkgeräte – es sind diese sprachlichen Nuancen, die erkennen lassen: So ganz ernst nimmt Eliot Weinberger sein Sujet dann doch nicht. Der Amerikaner ist ein meisterhafter Archäologe für entlegenste Textfelder.

Im aktuellen Buch sind es Epigraphien, Zitate und Sentenzen aus theologischen Schriften und Chroniken. Die Textfundstücke bringt er dann in Dialog miteinander. Dieses Verfahren hat er schon in früheren Essaybänden wie "Das Wesentliche" oder "Vogelgeister" angewandt.

Auch sein neuer Essay "Engel & Heilige" bewegt sich mit quasi engelsgleicher Teleportation über den Globus und durch die Jahrhunderte. Im ersten Teil nähert er sich mit dem gewissenhaften Forscherdrang des Ethnologen den himmlischen Heerscharen.

Im zweiten Teil des Buches widmet sich Weinberger dann einem literaturgeschichtlich wenig beachteten Genre: der Hagiographie, der Biografie von Heiligen. Und über die weiß man heute wirklich so gut wie gar nichts mehr. Da wäre etwa die Türkin Thekla im 1. Jahrhundert, die einfach nicht tot zu kriegen war: nicht durch den Scheiterhaufen, nicht durch wilde Tiere in der Arena, nicht durch einen Blitz im Wasserbecken. Oder der Italiener Philipp Neri, ein Veganer des 16. Jahrhunderts.

"Er aß weder Tiere noch tierische Produkte. Sein Herz war so groß, dass man bei seinem Tod feststellte, dass einige seiner Rippen gebrochen waren."

Wer kennt schon den Franzosen Guinefort, den Heiligen, der eigentlich ein Hund war. Oder den Ägypter Johannes Klimakos, 6. Jahrhundert, der seine Zeitgenossen mit Lebensweisheiten wie diesen bereicherte:

"Ein blinder Bogenschütze taugt nichts. […] Einen Mann, der sein Todesurteil vernommen hat, schert es nicht, wie die Theater geführt werden. […] Wer sich ernsthaft mit dem Tod befasst, verringert die Menge dessen, was er zu sagen hat."

Banalstes und Schlaustes – Asketen kennen da eben keinen Unterschied. Und wie war das noch mit dem Heiligen Adolf von Osnabrück?

"Er war ein wohltätiger Bischof, nach dem Hitler benannt wurde."

Ob das stimmt? So ganz sicher darf man sich bei Eliot Weinberger nicht sein, führt doch sein faszinierend skurriles Sammelsurium mit subtilem Humor vor, mit welcher autoritären Geste hier christliche Chronisten und Theologen das Paranormale zum Dogma erhoben. So zeigt dieses weltliterarische Kompendium zu "Engeln & Heiligen" doch vor allem: Religion ist ein Fantasma. Einfach 'wunder-bar' – im Wortsinn.