Buchcover: "Erste Töchter" von Ljuba Arnautović

"Erste Töchter" von Ljuba Arnautović

Stand: 22.08.2024, 18:38 Uhr

Im dritten Band ihrer Trilogie beschreibt die Schriftstellerin Ljuba Arnautović die Nachwirkungen der politischen Wirren im 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart. "Erste Töchter" schildert das Leben eines zerrissenen Vaters und die Leiden seiner beiden Töchter. Eine Rezension von Stefan Berkholz.Im dritten Band ihrer Trilogie beschreibt die Schriftstellerin Ljuba Arnautović die Nachwirkungen der politischen Wirren im 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart. "Erste Töchter" schildert das Leben eines zerrissenen Vaters und die Leiden seiner beiden Töchter. Eine Rezension von Stefan Berkholz.

Ljuba Arnautović: Erste Töchter
Roman, Zsolnay, 160 Seiten, 23 Euro.

"Erste Töchter" von Ljuba Arnautović

Lesestoff – neue Bücher 26.08.2024 05:24 Min. Verfügbar bis 26.08.2025 WDR Online Von Stefan Berkholz


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Was für ein Scheusal, was für eine zerrüttete, egomanische Seele der Vater Karl war, hatten wir bereits im Vorgängerroman "Junischnee" von 2021 erfahren. Nun führt Ljuba Arnautović den Lebensweg ihres Vaters weiter aus. Um jeden Preis will der Traumatisierte seinen Platz in der Nachkriegszeit finden, möglichst anerkannt und wohlhabend. Er bringt es bis zum Hochstapler.

"Karl treibt ein ruheloser Geist um. Gierig will er nachholen, was ihm vermeintlich versagt geblieben ist. Er möchte eine Familie, ein Heim, stabile Verhältnisse, aber genauso jagt er einer verlorenen Jugend nach, sucht nach all den Vergnügungen, die er glaubt, verpasst zu haben."

Karl war staatlicher Willkür unter Stalin ausgesetzt. Nach den blutigen Straßenkämpfen in Wien wird er von seinen kommunistischen Eltern 1934 als Jugendlicher – im guten Glauben – nach Moskau geschickt. Dort geraten die Kinder rasch zwischen die Ideologien, erst Stalin und Hitler im Pakt, dann Hitler gegen Stalin, Verschleppung in den Gulag, zehn Jahre in der Verbannung. 1953 kommt Karl frei und kehrt drei Jahre später mit Frau und Kind in die Heimat Österreich zurück. Wurzellos, heimatlos, ohne inneren Halt.

"Bei seiner Rückkehr nach Wien 1956 bringt Karl die russische Sprache als einzige Kompetenz mit. Seine Muttersprache hat er in den Straflagern großteils vergessen. Besonders beim Schreiben macht er unzählige Fehler. Er fragt auf der Straße nach einer Adresse. Auf dem Zettel, den er den Passanten hinhält, steht 'Katerburggasse', er hat es nach Gehör aufgeschrieben. Das Bezirksamt in der Gatterburggasse findet er an diesem Tag nicht."

Ljuba Arnautović vertieft in diesem dritten Band ihrer Trilogie die Irrungen und Wirrungen einer zerstörten Seele, die in ihrer Umgebung für Unfrieden und Verstörung sorgt. Ein Geschundener, der andere später schindet, letztlich so verloren und verstört wie alle späten Rückkehrer.

"Wenn Karl betrunken ist, prahlt er: ‘Ich habe eine 25-jährige geheiratet, und als sie 35 war, hab ich mir wieder eine 25-jährige genommen, und als die 35 war, hab ich mir wieder eine 25-jährige genommen.‘ Zu seinem Status die passende Ehe. Zu seinen Ehen der passende Status."

Ljuba Arnautović protokolliert die Nachkriegsgeschichte weitgehend distanziert und emotionslos. Wolfgang Leonhard, der Historiker und Überlebende des Stalin-Terrors, taucht als Besucher auf, als Geliebter von Mutter Erika. Mehr aber auch nicht. Der Schriftsteller Oskar Maria Graf wird erwähnt, als früherer Bewohner eines Münchner Wohnhauses, in das Karl zeitweise einzieht, mehr aber auch nicht. Rudi Dutschke wird als "Sprecher des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds" vorgestellt, nichts weiter zu seiner Bedeutung als Projektions- und Hassfigur. Die Autorin lässt Familienwirrnisse, Verstrickungen und Traumata vor der Leserschaft abrollen, aber es fehlen Dialoge, es fehlt tiefere Analyse. Getrennte, auseinander gerissene Schwestern zwischen Wien und München. Lebensentwürfe, Lebensträume. Landkommune, Absetzbewegungen. Staatsgewalt, hier wie da. Verfolgungswahn auch im Westen zu Zeiten der RAF. Dann das kriminell kapitalistisch gewordene Moskau, mafiose Zustände, eine Entführung von Karl.

"In diesem Moment regt sie sich wieder, diese Ahnung von Zusammengehörigkeit. Ihr Vater hatte die Schwestern damals auseinandergerissen, jetzt führt er sie – wenn auch auf eine verquere Art – wieder zusammen. Luna und Lara hatten damals begonnen, eine Distanz zwischen sich zu spannen, eine Schutzvorrichtung gegen den Schmerz der Trennung. Diese Distanz brauchen sie doch längst nicht mehr."

Etwas zu brav und konventionell kommen diese 39 schmalen Kapitel auf 160 Seiten daher. Es sind Lebenssplitter und die Zeitsprünge verwirren. Ljuba Arnautović erzählt nicht bündig, ihre Figuren sind von außen betrachtet, das Innenleben berührt die Autorin weniger. Etwas lau und enttäuschend wirkt dieser dritte Teil der autofiktionalen Trilogie.