Buchcover: "Karma" von Alexander Schimmelbusch

"Karma" von Alexander Schimmelbusch

Stand: 20.08.2024, 09:05 Uhr

Alexander Schimmelbuschs Roman "Karma" entwirft die Welt im Jahr 2033, wenn die KI allmählich das Regiment übernimmt. Ein aufregendes Gedankenexperiment, das sich allerdings im Beschreibungsfuror verliert. Eine Rezension von Nicole Strecker.

Alexander Schimmelbusch: Karma
Rowohlt Verlag, 304 Seiten. 24 Euro.

WDR 3 Lesestoff: "Karma" von Alexander Schimmelbusch

Lesestoff – neue Bücher 23.08.2024 05:38 Min. Verfügbar bis 23.08.2025 WDR Online Von Nicole Strecker


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Es ist der Herbst des Jahres 2033, neun Jahre in der Zukunft. Wir befinden uns in den Brandenburgischen Wäldern nahe Berlin auf einem Meeting der Omen SE, einem der erfolgreichsten Tech-Konzerne Deutschlands. Hier werden High-End-Produkte entwickelt für, wie es heißt, die medizinische Wellness und spirituelle Entdeckung. Konkret bedeutet das: KI-betriebene Infrastrukturen, wie zum Beispiel: "Freudiana" mit virtuellen Psychotherapeuten. Oder "Darkroom", eine Software mittels der in Sekunden ein Blutbild des potenziellen Sexpartners erstellt werden kann, um ansteckende Krankheiten auszuschließen. Dank ihres fulminanten Erfolgs kann Omen SE es sich leisten, einige ihrer Spitzenkräfte in den verfrühten Ruhestand zu schicken. Die fünf kreativen Köpfe bekommen an diesem Abend nun eigens für sie gebaute, edel ausgestattete Bungalows geschenkt. Aber vorher hält die weibliche CEO des Konzerns noch eine ihrer berüchtigten Reden, in der sie nicht nur den Geist des Konzerns, sondern gleich den der Nation beschwört.

"Wir Deutsche träumen immer von einer besseren Welt, vom Aufgehen in der Natur, von unserer rauschhaften Transformation – durch den Kampf, verehrte Anwesende, oder durch die romantische Liebe."

Kampf oder Liebe und allerlei verquaste Deutschtümelei. Es dürfte kein Zufall sein, dass Alexander Schimmelbusch die Jahreszahl '33' gewählt hat für seine zeitnahe Science Fiction. Nur ergreift gerade kein Hitler die Macht, sondern die Künstliche Intelligenz - und wird dabei offenbar ähnlich unterschätzt in ihrer destruktiven Kraft. Hatte Nazi-Deutschland die Lebensreformbewegung als ideologischen Wegbereiter, so ist es in Schimmelbuschs Roman offenbar der esoterische Wellness-Kult der Omen SE, der wortreich die philanthropische Sozialutopie predigt - tatsächlich aber knallhart profitorientiert, populistisch und raubtier-kapitalistisch funktioniert.

"Bei der Omen SE handelte es sich um einen Plattforminnovator, dessen Mission es war, Märkte zu dominieren, Überschüsse zu erwirtschaften und auf Basis dieser für alle Stakeholder ein System aus Anreizen zu strukturieren."

Unverkennbar weiß hier einer, wovon er schreibt. Schimmelbusch hat selbst mehrere Jahre als Investmentbanker an der Londoner und Frankfurter Börse gearbeitet und seine Insider-Kenntnisse aus den Topetagen der Managerwelt machen gewissermaßen sein Branding als Schriftsteller aus. Tatsächlich gerät die Handlung in diesem Roman zur Nebensache angesichts eines ständig durchdrehenden Sprachturbos. Es ist schon faszinierend, wie Schimmelbusch seine fünf vom Ennui des Ruhestands geplagten Protagonisten endlos im Lifestyle-Jargon herum-assoziieren lässt. Wie etwa der psychisch labile und sexuell gehemmte Ex-Angestellte Daniel, dessen Hirn in Stress-Situationen häufig in floskelige Laber-Flashs gerät.

"Einfach mal runterkommen, mal durchatmen, mal das Tempo rausnehmen, mal downshiften, also ein paar Gänge zurückschalten, um das Gefühl der Fremdbestimmung loszuwerden. Einfach mal detoxen, also rein mental, den Desktop aufräumen und mega-viel in den Papierkorb verschieben, um wieder Platz für Neues zu schaffen und ein Stück weit auch Kreativität zu stimulieren. Es war an der Zeit, das Wesentliche zu erkennen und auf diesem Fundament seine persönlichen Ziele neu zu definieren. Essential war auch das Reconnecten, hatte er gelesen, sich also nicht mehr abgeschnitten zu fühlen von seiner Umwelt, vor allem aber von sich selbst, um wieder Vertrauen in seinen inneren Kompass zu gewinnen und in einer von Disruption geprägten Gegenwart nicht den Überblick zu verlieren..."

...und so geht das immer weiter im Stream of Consciousness von Daniel.

Die totalitäre Gehirnwäsche verrät sich immer auch durch ihre Sprache, macht uns Schimmelbusch hier eindrücklich klar. Dabei sind seine fünf Protagonisten alle selbst schon so sinnbefreit-seelenlos wie die KIs, die sich um ihr Wohlbefinden kümmern. Lauter gefühlskalte, narzisstische Zyniker mit ausgeprägter Obsession für teuren Alkohol. Wirklich interessant sind diese Figuren nicht, und bei seiner Passion für Exkurse, wie etwa seitenlangen Beschreibungen von Edel-Weinen, geht Schimmelbusch doch irgendwann das Gesamtkonstrukt seiner satirischen Dystopie verloren. So beeindruckend die Beschreibungspotenz, so bedeutungslos ist sie auch. In den 1960er Jahren sprach der Philosoph Georg Lukács vom „Grand Hotel Abgrund“, in das sich die Intellektuellen Anfang der 1930er Jahre zurückgezogen hätten, also an einen Ort des Komforts, während draußen die Apokalypse hereinbrach. Genauso hocken nun auch die fünf Spitzenkräfte in Schimmelbuschs Roman in ihren Luxusbungalows. Es ist schlecht bestellt ums Karma dieser Frühruheständler, und es wird kein gutes Ende nehmen - für die Figuren nicht, und für diese konsumfixierte, retro-faschistoide Welt unter dem Regiment der KI auch nicht.