Buchcover: "Von guten Eltern" von Richard Russo

"Von guten Eltern" von Richard Russo

Stand: 21.06.2024, 07:00 Uhr

Es ist nie spät neu anzufangen. Richard Russos letzter Band der Fools-Trilogie "Von guten Eltern" ist einfühlsam, witzig und auf unterhaltsame Art sehr politisch. Eine Rezension von Simone Hamm.

Richard Russo: Von guten Eltern
Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Monika Köpfer.
DuMont, 2024.
576 Seiten, 28 Euro.

"Von guten Eltern" von Richard Russo

Lesestoff – neue Bücher 21.06.2024 05:26 Min. Verfügbar bis 21.06.2025 WDR Online Von Simone Hamm


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An drei Tagen im Februar 2010 spielt Richard Russos Roman "Von guten Eltern", der letzte Band einer Trilogie, an der Russo dreißig Jahre lang gearbeitet hat. Es beginnt mit einer Leiche: In einem leeren Gebäude mit dem schönen Namen Sans Souci – ohne Sorgen –, hat sich ein Mann erhängt. Er ist nicht mehr zu identifizieren. Officer Raymer, obwohl offiziell im Ruhestand, übernimmt die Ermittlungen. Ein Journalist will den Suizid auf die Titelseite bringen:

"Vielleicht hatte der Kerl vom Sans Souci einen Kredit abgeschlossen, und die Bank hat seine Hypothek gekündigt. Oder er hat wegen der Rezession seinen Job verloren und hatte kein Dach mehr über dem Kopf. Glaubst du, so ein Mist passiert hier nicht?"

Hier, das ist das fiktive Städtchen North Bath in Upstate New York, in dem Russos Trilogie spielt. Inzwischen ist es völlig bedeutungslos. In "Von guten Eltern" ist North Bath eingemeindet worden und gehört jetzt zum bürgerlich-bohèmehaften Ort Schuyler mit seinen edlen Weinbars.

Richard Russos Romane spielen in Kleinstädten, die bessere Zeiten gesehen haben. Seine Protagonisten arbeiten in schlecht gehenden Bars oder rustikalen Restaurants, in denen man die Gäste an einer Hand abzählen kann, fahren Abschleppwagen, renovieren Häuser oder sind Polizisten wie Charice Bond und ihr Ex-Freund Dough Raymer, der ehemalige Polizeichef von North Bath.

Immer noch fühlen die beiden sich zueinander hingezogen. Raymer ist Mitte fünfzig, übergewichtig, weiß. Charice ist jung, hübsch und schwarz. Das macht es ihr als Polizeichefin von Schuyler, die überwiegend weiße Männer unter sich hat, ziemlich schwer.

Richard Russo ist selbst in der Provinz aufgewachsen. Er kennt die Menschen, die er beschreibt. Er mag sie. Er erhebt sich nicht über sie. Einen Polizisten läßt er schimpfen:

"Sie meinen, wir sind alle Amerikaner? Blödsinn. Wir leben alle in Amerika. Das ist nicht das Gleiche."

Denn viele Menschen in der amerikanischen Provinz fühlen sich abgedrängt und vergessen. Sie verzweifeln, sie hoffen, sie träumen. Sie haben kein Selbstbewusstsein. Ihr Vertrauen in die Politiker in Washington haben sie verloren. Und damit liefert Russo zugleich den Schlüssel zum Denken und Fühlen im gegenwärtigen Amerika. Er erklärt ganz beiläufig, wie es möglich war, dass Donald Trump zum Präsidenten gewählt worden ist und vielleicht sogar wieder gewählt werden wird.

Als Erwachsene leiden Russos Protagonisten an den Verletzungen, die ihre Eltern Ihnen zugefügt haben, als sie Kinder waren. Collegeprofessor Peter hat nach seiner Scheidung seinen Sohn Thomas viele Jahre lang vernachlässigt. Jetzt taucht er plötzlich wieder auf in North Bath, trotzig, aggressiv, verlottert, ein einziger lebendiger Vorwurf an den Vater.

"Peter war jäh bewusst geworden, dass sich allmählich das Muster in seinem Lebensteppich herausschälte, und (…) es (würde) noch viele Jahre dauern, bis der unvermeidliche Mix aus beabsichtigten und unbeabsichtigten Konsequenzen, aus Schicksal und freiem Willen, Fehleinschätzungen und purem Glück ein erkennbares Muster hervorbringen würde."

Peter hat die Fehler seines Vaters wiederholt. Auch der hat sich nie viel um ihn gekümmert. Aber er hat ihm einen Leitspruch hinterlassen:

"Mach was, irgendwas. Wenn es nicht funktioniert, mach was anderes."

Und genau das wird Peter tun. Russo wechselt die Perspektiven, erzählt in der dritten Person, zitiert aus Briefen des verlorenen Sohnes Thomas, schreibt mitfühlend, aber nie sentimental und voller Witz.

"Von guten Eltern" ist viel hoffnungsvoller, viel optimistischer als die beiden ersten Bände der Trilogie. Peter reflektiert, geht auf seinen Sohn zu. Charice wehrt sich erfolgreich gegen Rassismus und Frauenverachtung. Sie und Dough Raymer finden wieder zueinander. North Bath ist – auch wenn es jetzt Teil einer anderen Stadt ist – noch nicht verloren.