"Die Katze" von Georges Simenon
Stand: 04.12.2024, 10:13 Uhr
Hier schwingt die Abrissbirne: Georges Simenons später Roman "Die Katze" schildert eine Ehehölle, in der nur noch der gegenseitige Hass zum Halt wird. Es ist ein Buch, das dem Anspruch dieses Schriftstellers gerecht wird: die Menschen "nackt" und unverstellt zu zeigen, ohne Beschönigung.
Georges Simenon: Die Katze
Aus dem Französischen von Hansjürgen Wille, Barbara Klau und Cornelia Künne. Nachwort Andreas Platthaus
Kampa Verlag, 192 Seiten, 24 Euro
Seit Jahren redet dieses Pariser Paar kein Wort miteinander. Um Vergiftungen auszuschließen, hat in der Küche jeder seinen eigenen abschließbaren Schrank mit Lebensmitteln. Geheiratet haben sie erst mit Mitte sechzig: Émile Bouin, der gelernte Mauer, später Straßenbauinspektor, jetzt zu Rotwein und Zigarren neigender Rentner. Und Marguerite, die Tochter eines Keksfabrikanten und Erbin einiger Mietshäuser. Beide verwitwet, wollen sie der Einsamkeit der letzten Lebensjahre entgehen.
"Sie hatte ihn geheiratet aus Angst, allein zu bleiben, niemanden zu haben, der sie pflegte, wenn es nötig wurde. Und auch, weil ein Mann ins Haus gehörte, und sei es, um Brennholz zu hacken und den Müll nach draußen zu tragen."
Simenons Roman "Die Katze" schildert, wie aus Nachbarschaftshilfe eine Vernunftehe entsteht, in der – neben den Liebesfreuden – schließlich alle Vernunft abhanden kommt.
Émile ist mit seinem Kater bei Marguerite eingezogen. Das Tier ist ihr zuwider, wenn es an ihren Beinen entlangstreicht und sie vorwurfsvoll anschaut. Aber Émile lässt den Kater sogar im Ehebett schlafen. Schnurrt er oder schnarcht er? Das hängt ganz von seiner oder ihrer Perspektive ab, die Simenon – auch wenn der Roman weitgehend aus der Sicht Émiles erzählt ist – kunstvoll in der Schwebe hält.
Zwar vernehmen wir zumeist Émiles Klagen über Marguerite, aber es gibt auch ein Kapitel, in dem sich der Blickwinkel jäh dreht. Da bekommt Marguerite Besuch von einer Frau, der gegenüber sie ihre angestaute Verbitterung über Émile herauslässt, während der wie erstarrt in seinem Sessel danebensitzt und alles mitanhört – eine surreale Szene der Erniedrigung.
Surreal könnte es auch erscheinen, dass ein Paar sich bloß noch geknüllte Zettel mit knappen, gehässigen Botschaften zuwirft. Aber das ist nicht ausgedacht. Simenon verarbeitet hier die miserable zweite Ehe seiner Mutter. Im Roman beginnt das feindselige Schweigen, als Émiles geliebter Kater verschwindet:
"Er fand ihn ganz hinten an der feuchten Mauer hinter einem Stapel Brennholz. Der Körper war steif und verkrümmt, die offenen Augen starrten glasig. Unter seinem Maul klebte Speichel, und auf dem Lehmboden war grünliches Erbrochens."
Die Indizien sprechen dafür, dass Marguerite das Tier vergiftet hat. Daraufhin malträtiert Émile Marguerites Papagei – und fortan findet keiner der beiden den anderen mehr eines Wortes würdig. Dennoch belauern und kontrollieren sie einander unaufhörlich. Sie hassen und sie brauchen sich. Indem sie sich ihrer Abneigung versichern, finden sie eine Abfuhr für ihre existentielle Misere und Unzufriedenheit.
Subtil gleitet der Erzählstrom immer wieder in die Vergangenheit. So gelingt es Simenon, dem Ehedrama Hintergründigkeit zu verleihen. Émile denkt viel an seine verunglückte Frau Angèle, die so ganz anders war als die preziöse Marguerite: sinnenfroh, lebenslustig, trinkfreudig. Immer wieder stehen ihm Szenen ihres unkomplizierten einstigen Liebesglücks vor Augen. Marguerite wiederum trauert der Zeit hinterher, als ihr verstorbener Ehemann, ein erster Geiger, der zuhause eher die zweite spielte, sie poetisch "seine zarte Taube" nannte.
Mit schmalem Wortschatz erzeugt Simenon große Wirkung, mit einfachen Sätzen schafft er Atmosphäre, und die überarbeitete, aufgefrischte Übersetzung macht die meisterhafte Lakonie noch prägnanter. Wenn die täglichen Gänge von Émile geschildert werden, verdichtet sich das unentrinnbare Elend des Lebens:
"Auf seinem fünfzehnminütigen Spaziergang war er an einem Krankenhaus, einem Gefängnis, einer Irrenanstalt, einer Schwesternschule, einer Kirche und einer Feuerwehrkaserne vorbeigekommen. War das nicht eine Art Resümee des menschlichen Daseins? Fehlte nur der Friedhof, der auch nicht weit entfernt war."
Zerstörung und Ruin werden krass symbolisiert, wenn im Finale schwere Baumaschinen anrücken, um die alte Häuserreihe gegenüber abzureißen, die Marguerites Vater einst errichten ließ. Zugleich setzt der Lärm draußen einen grotesken Kontrapunkt zum erbitterten Schweigen des Paars drinnen, von dem einer schließlich allein und verstört zurückbleibt.
Nicht jeder Roman Simenons ist ein Meisterwerk, aber "Die Katze", angereichert durch ein instruktives Nachwort von Andreas Platthaus, gehört zweifellos zu den besten. Eine lohnenswerte Wiederentdeckung.