Buchcover: "Nach uns der Himmel" von Simone Buchholz

"Nach uns der Himmel" von Simone Buchholz

Stand: 18.12.2024, 07:00 Uhr

Warum das Paradies nur eine Bar sein kann: Simone Buchholz‘ neuer Roman "Nach uns der Himmel" ist wunderbar-tröstliches Kammerspiel, bei dem es um Sein oder Nicht-Sein geht. Eine Rezension von Andrea Gerk.

Simone Buchholz: Nach uns der Himmel
Suhrkamp Nova, 2024.
218 Seiten, 20 Euro.

Bei Menschen mit Flugangst dürfte schon der Prolog von Simone Buchholz‘ neuem Roman schweren Nervenkitzel auslösen, denn der Urlaubsflieger, der ihre acht Protagonisten auf eine griechische Insel bringen soll, gerät in richtig üble Turbulenzen:

"Die Gewalt hebt die Menschen aus ihren Sitzen und drückt sie in die Sicherheitsgurte, sie hebelt die Gepäckfächer auf, sie lässt die Koffer und Taschen fliegen, Arme werden nach oben gerissen, um Köpfe zu schützen, Mägen drehen sich um, und Herzen verlieren die Fassung, die Stewards werden auf ihren leichten Sitzen hin und her geschleudert, und sogar dem Erfahrensten von ihnen, dem graumelierten Chefsteward, ist die Panik aufs Gesicht geflogen, nichts ist mehr wie sonst in heiklen Situationen, keine Witze mehr, kein Augenzwinkern, kein ‚Wird schon gut gehen, Leute‘."

Eine knappe halbe Stunde – zwischen Leben und Tod – nach der nichts mehr ist wie zuvor. Obwohl: Zunächst scheinen alle gut gelandet zu sein, auf ihrer traumhaft schönen Ferieninsel und sie können da weitermachen, wo sie genau genommen nie aufgehört hatten: Das Ehepaar, das nur noch wegen seines schwerkranken Sohnes Vincent, zusammen ist; die zwei Paare, die sich hintergehen, aber zusammen in Urlaub fahren und die Start-Up-Unternehmerin Heidi, die ihren Krebs verdrängen will. Soweit, so gut. Doch irgendwas stimmt dann doch nicht: Es gibt gar keine anderen Urlauber, die Inselbewohner wirken auf irritierende Weise abwesend und die Figuren vergessen immer mehr:

"'Vincent', sagt sie, 'hast du zufällig ein Telefon dabei? Meins ist irgendwie verschwunden seit gestern Abend, oder ich hab es vorhin einfach nicht gefunden.' 'Was ist ein Telefon?' 'Das fragst du? Ernsthaft?' 'Ja', sagt er und legt seine glatte Stirn in ein paar rührende Falten. 'Wow.'"

Der Riss, der durch die Realität geht, wird immer größer und langsam dämmert einem, dass hier die Idee vom Paradies nochmal ganz neu gedacht wurde – als Zwischenwelt, jenseits von Realität und Traum bzw. Sein oder Nicht-Sein.

Denn es gibt noch zwei weitere, ziemlich seltsame Figuren, die auf einer völlig anderen (Erzähl-)Ebene zu Hause sind, an einer Adresse, bei der dann doch die Krimi-Autorin durchkommt. Denn "4621 Cahuenga Boulevard, Los Angeles" ist das fiktive Büro von Raymond Chandlers legendärem Privatdetektiv Philipp Marlowe. Hier siedelt Simone Buchholz in diesem hinreißenden Kammerspiel die Verwaltung der Zwischenwelt an – ein System, zu dem eine Art Marlowe-Wiedergänger gehört, der sich um die menschlichen Seelen kümmern soll und eine Inspektorin aus dem Controlling, die für die Fehlervermeidung bzw. -korrektur zuständig ist:

"'Ding Nummer eins wird sein, die acht Leute dahin zu schaffen, wo sie hingehören, damit das geregelt ist, bevor es zu sehr auffällt.' 'Auch das dachte ich mir.' 'Ding Nummer zwei wird sein, dass wir jemanden brauchen, der in Zukunft ihren Job übernimmt.' (…) 'Ich werde nicht einfach aussortiert?' 'Nichts da, Sie machen schön weiter.' Der Barkeeper stellt uns die Drinks hin, ich serviere die Zigaretten dazu."

Cool, witzig und mit ihrem ganz eigenen Sound hat Simone Buchholz die griechische Götterwelt ins Heute gebeamt und dabei einen so poetischen wie philosophischen Gedankenraum entworfen: Darin geht es um das Leben, den Tod und unsere Angst davor, bzw. um die Vorstellungen vom Jenseits, zu der hier äußerst tröstliche Gegenbilder entworfen werden:

"'Es ist eine Bar? Also, es ist nicht die Hölle oder so?' Natürlich ist es eine Bar, denke ich. Was soll es denn sonst sein, meine Güte. Manche Leute haben echt verrückte Ideen."

Ja wirklich! Und zum Glück können manche aus ihren "echt verrückten Ideen" derart wunderbare, tröstliche-heitere und zum Weiterspinnen anregende Romane schreiben wie Simone Buchholz.