Buchcover: "Teufels Bruder" von Matthias Lohre

"Teufels Bruder" von Matthias Lohre

Stand: 14.01.2025, 07:00 Uhr

Wie aus dem Schulversager Thomas Mann der Autor der weltberühmten "Buddenbrooks" wurde: Matthias Lohre taucht mit den jungen Brüdern Mann nach Italien ab und legt eine etwas andere Coming-of-Age-Geschichte vor. Eine Rezension von Corinne Orlowski.

Matthias Lohre: Teufels Bruder
Piper Verlag, 2025.
544 Seiten, 25 Euro.

Thomas Mann war ein Mysterium. Er ließ niemanden in sein Herz blicken. Nur im Werk sei er frei gewesen, so ein Biograf. 1896 ist er, der dreimalige Sitzenbleiber, 21 Jahre alt und mit seiner Mutter von Lübeck nach München gezogen. Dem bürgerlichen Leben hat er eine Absage erteilt. Schriftsteller will er werden.

"Er wusste ja, er musste anders schreiben: besser, reifer, tiefer. Nur, wo anfangen? Musste man dafür nicht anders denken, anders fühlen, anders leben – gar ein anderer sein?"

Vielleicht hilft da eine Reise nach Italien, zum bewunderten, vier Jahre älteren Bruder Heinrich. Der verkörpert alles, wonach Thomas sich sehnt. Also fährt er zu ihm und verbringt anderthalb Jahre in Venedig, Rom, Palestrina und Neapel.

Der Autor Matthias Lohre stellt hier einen schüchternen jungen Mann vor, und folgt ihm auf der Suche nach einem Platz im Leben. Den Leser nimmt er wie einen unsichtbaren Begleiter mit. So kommt man dem von Selbstzweifeln geplagten Schulversager ganz nah und verfolgt gebannt, wie aus ihm der Autor der weltberühmten "Buddenbrooks" wird.

"Thomas ersehnte ein Mindestmaß an Kooperation seitens einer Welt. Stattdessen führte sie ihm immer wieder vor Augen, wie wenig sie sich darum scherte, dass er sich einzig für die Literatur gemacht hielt – schien ihm zuzuflüstern, dass das, was er 'Bestimmung' nannte, bloß die Kehrseite seines Unvermögens war, etwas Nützliches zu tun."

Der frühe Tod des übermächtigen Vaters verbindet die beiden Brüder Heinrich und Thomas. Doch im Charakter sind sie grundverschieden. Beide sind in Geldnot und wollen Texte an den zwielichtigen Verleger Schröter verkaufen. Sie beginnen eine Art Schreibwettkampf, der bald zu einem handfesten Bruderzwist ausufert. Für Thomas geht es bei diesen Fingerübungen aber um etwas viel Grundsätzlicheres: Wie etwas aufregendes, nie zuvor Dagewesenes schreiben? Da begegnet er in Venedig einem Jüngling.

"Nicht die Schönheit des Jungen hatte ihn bewogen, ihm zu folgen. Sondern das, was er in dessen Gesicht gelesen hatte: diese Mischung aus Traurigkeit (die sich einstellt, wenn man die Beschaffenheit der Welt erkennt), Scham und Ekel. Mit einem Wort: Enttäuschung."

Seine Geschichte – hier ist sie. Thomas ist ganz betört von dem 15-Jährigen, den er nun in einer Novelle verewigen will. Er folgt ihm bis nach Neapel und wird dort etwas zutiefst Schockierendes erleben. Erst kurz vor seinem Tod wird Mann gestehen, er sei in jenem Sommer dem leibhaftigen Teufel begegnet. Diese Bekenntnis hat Lohre derart fasziniert, dass er seinen ganzen Roman auf diese Vision zulaufen lässt. Lohre ist überzeugt: sie hat Thomas Mann geprägt und zur Schlüsselszene in "Doktor Faustus" inspiriert.

"Als er sich umwandte, saß auf dem roten Rosshaarsofa ein Mann. Im irisierenden Licht des Feuerwerks sah Thomas borstiges Haupthaar, das unter einem Hut hervorragte. 'Wollen Sie nicht wissen, wie es ihm geht?' Thomas hielt, wie von einem Schlag getroffen, inne."

Nur schade, dass Lohres Roman direkt nach der Teufelsvision abbricht. Der Titel "Teufels Bruder" leitet damit etwas fehl. Denn bis es zu dieser merkwürdigen Begegnung kommt, hat man sich gut 500 Seiten lang gefragt, was es mit dem "Teufelsbruder" auf sich hat.

Wie von höheren Mächten inszeniert, flattert in dieser Zeit auch noch eine Zusage vom S. Fischer Verlag für einen Novellenband rein. Doch die Verabredungen mit Schröter sitzen Thomas im Nacken. In der Not kommt ihm die Idee: ein Roman.

"Vorhin glaubte ich, ich hätte endlich einen Weg ins Freie gefunden. Eine Möglichkeit, von mir zu schreiben – und doch nicht von mir. Alles was ich zu kennen glaubte, sah plötzlich ganz anders aus. Dabei hatte sich die Welt kein Stück verändert. Und doch war alles neu."

Thomas hat seine Bestimmung gefunden, er möchte mit den "Buddenbrooks" dem Vater ein Denkmal setzen. Hier, in Italien, beginnt er sein Lebenswerk. Gerade durch die lebendigen Dialoge weckt Lohre das Interesse am jungen Thomas Mann, sie führen die Leser mitten hinein in die damalige Zeit. Fakt und Fiktion vermischen sich so auf angenehmste Weise.

Doch das ist natürlich nicht ungefährlich, unterschlägt Lohre doch das ein oder andere pikante Detail und verklärt Thomas’ homoerotische Schwärmereien zur reinen Materialsuche. Trotzdem ist Lohre mit "Teufels Bruder" eine wendungsreiche Coming-of-Age-and-Arts-Geschichte gelungen und ein überzeugender Roman über Rivalität unter Geschwistern und die Sehnsucht nach Anerkennung.