Buchcover: "Krummes Holz" von Julja Linhof

"Krummes Holz" von Julja Linhof

Stand: 07.08.2024, 07:00 Uhr

Ein heißer Juli in Südwestfalen. Ein Neunzehnjähriger kehrt an den heruntergekommenen Familienhof zurück. Und muss sich nicht nur mit dem Schweigen und der Abneigung der großen Schwester herumschlagen. Julja Linhof erzählt in ihrem Romandebüt von einer zerrütteten Familie und zieht dabei nicht nur mit einer unheimlich dichten Sprache in einen Bann. Eine Rezension von Oliver Nowack.

Julja Linhof: Krummes Holz
Klett-Cotta, 2024.
272 Seiten, 22 Euro.

"Krummes Holz" von Julja Linhof

Lesestoff – neue Bücher 07.08.2024 05:23 Min. Verfügbar bis 07.08.2025 WDR Online Von Oliver Nowack


Download

"Es ist wirklich so, wie ich mal gelesen habe: Wenn man als Erwachsener an einen Ort zurückkehrt, an dem man zuletzt als Kind war, ist plötzlich alles zusammengeschrumpft und eng. Nur die Bäume, denke ich und lehne die Stirn gegen die Autoscheibe, die sind gewachsen."

Brütend heiß und schwül ist der Juli, in dem der neunzehnjährige Jirka in die südwestfälische Heimat zurückkehrt. Fünf Jahre zuvor hatte er den familiären Bauernhof im Krummen Holz in Richtung eines Internats verlassen. Dort verbrachte er neben dem Schulunterricht viel Zeit mit Zeichnen und Schwimmtraining. Zurückgekehrt an den Hof der Eltern ist er in dieser Zeit nie.

"Ich habe vergessen, wie anders der Sommer hier riecht. Nicht nach heißem Bitumen, wie man es in den engen Straßenzügen großer Städte riecht. Nicht nach Jungenschweiß und Pubertät. Und auch nicht nach Chlor und nassem Waschbeton. […]. Hier ist es etwas, das Nase und Hirn nicht recht greifen können, das ich als Kind als Heißeluftgeruch bezeichnet habe."

Aber nicht nur die Gerüche lassen Jirka an seine Kindheit zurückdenken. Auch die vertrauten Gesichter, die weite Landschaft, die Gebäude in den kleinen Ortschaften, ja sogar die alte Bushaltestelle an der Landstraße wecken Erinnerungen. Genau wie der Hof seiner Eltern. Doch der hat sich verändert.

Auch sonst ist nichts, wie es einmal war. Viele Nachbarn und Bekannte aus dem Umland sind weggezogen. Jirkas Vater Georg ist spurlos verschwunden, die Arbeit auf dem Bauernhof bleibt ungetan. Daheim geblieben ist die demente Großmutter Agnes. Dann lebt Leander dort, der Sohn des letzten Hofverwalters. Und Jirkas ältere Schwester Malene. Sie hatte Jirka immer wieder gebeten, zurückzukommen. Er jedoch hatte ihre Anrufe bis zuletzt ignoriert. Jetzt, wo er zurück ist, begegnet sie ihm zornig:

"'Du hast den richtigen Zeitpunkt verpasst. […] Stattdessen tauchst du jetzt auf. Jetzt, wo alles gelaufen ist.' Ich schweige. 'Kannst du mir das erklären?' Ich schüttle den Kopf. 'Hm?', setzt sie nach. 'Nein, das kann ich nicht', flüstere ich und hole tief Luft für meine nächsten Worte. 'Das ist auch mein Zuhause.' Malene klappt den Mund auf […]. Und dann wird sie sich bewusst, dass sie immer noch die Milchflasche in der Hand hält. Es sind nur Millisekunden, in denen ihr rechter Arm vorschnellt und ein weißer Schwall mein Gesicht und mein Hemd durchtränkt."

Es ist nicht das erste und auch nicht das letzte Mal, dass die beiden Geschwister aneinandergeraten. Auch zwischen Jirka und Leander kommt es zu Streit.

Julja Linhof, die ebenso wie ihre Romanfiguren auf dem Land zwischen Ruhrgebiet und Sauerland aufgewachsen ist, erzählt in „Krummes Holz“ von einer unglücklichen Kindheit, in der Härte und Gewalt ebenso an der Tagesordnung stehen wie Schweigen und Einsamkeit. Das Ganze wird dabei stets aus Jirkas Perspektive geschildert. Dabei bleibt vieles lange im Unklaren. Erst nach und nach kommen immer mehr Einzelheiten und traumatische Ereignisse aus der Vergangenheit ans Tageslicht. Zum Beispiel die väterlichen Prügelstrafen:

"Da ist das Sausen des Leders, wenn Georg es mit einem Ruck aus den Hosenlaschen zieht. Das Klimpern der Schnalle. 'Fang an!' Ich kneife die Augen zusammen. Das hat noch nie geholfen. Das Wasser drückt sich durch meine Wimpern, hinterlässt Salzwege von der Nasenwurzel bis zum Haaransatz. 'Eins…' Ein Sirren in der Luft. Mein hoher quiekender Aufschrei. Selbst als meine Stimme irgendwann dunkler wird, findet sie ohne Anstrengungen zurück zu dieser Tonlage. 'Zwei…' Das Zählen hilft. Auch wenn er glaubt, es sei eine zusätzliche Strafe. Es hilft."

Doch der Roman erzählt nicht nur von einem heißen Sommer, tiefen Wunden und einer Familie voller Zerwürfnisse. Er zeigt, wie trotz all der Differenzen und Klüfte zwischen Jirka, Malene und Leander immer noch Reste von Liebe und Zuneigung vorhanden sind, die das Schweigen und die Verletzungen der drei Hauptfiguren durchbrechen können.

So ist "Krummes Holz" auch ein Roman der Hoffnung. Und ein gelungener obendrein – umso mehr, wenn man bedenkt, dass es sich hier um ein Romandebüt handelt. Wir dürfen gespannt sein, was Julja Linhof in Zukunft zu Papier bringen wird. Ihr Erstlingswerk beeindruckt nicht nur mit einer unheimlich dichten und fesselnden Sprache, sondern ist behutsam, eindrücklich und mitreißend zugleich. Ein ideales Buch – nicht nur für heiße Sommertage.