Buchcover: "Heilung" von Timon Karl Kaleyta

"Heilung" von Timon Karl Kaleyta

Stand: 23.02.2024, 12:00 Uhr

Zwischen skurrilen Therapiemethoden und verzweifelten Selbstfindungsversuchen: In Timon Karl Kaleytas anspielungsreichem Roman "Heilung" sucht ein zum Hausmann degradierter Kunstkritiker seine verlorene Männlichkeit. Eine hochkomische Entlarvung der Versprechungen der modernen Glücksindustrie. Eine Rezension von Oliver Pfohlmann.

Timon Karl Kaleyta: Heilung
Piper Verlag, 2024.
208 Seiten, 22 Euro.

"Heilung" von Timon Karl Kaleyta

Lesestoff – neue Bücher 23.02.2024 05:42 Min. Verfügbar bis 22.02.2025 WDR Online Von Oliver Pfohlmann


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Angeblich finden Männer beruflich erfolgreiche Frauen ja sexy. Komisch nur, wie rasch dieser Umstand beziehungspraktisch zu Problemen führen kann. Umso mehr, wenn seine Karriere umgekehrt in eine Sackgasse gerät.

Ohne ein entsprechend stabiles Ego kann es da leicht zu einer Männlichkeitskrise kommen. Das wissen Paartherapeuten ebenso wie die dubiosen Vertreter eines toxischen Männerbildes à la Andrew Tate. Eine Männlichkeitskrise ist auch der Ausgangspunkt von Timon Karl Kaleytas Roman "Heilung".

Als seine Frau zur weltberühmten Künstlerin aufsteigt, hängt Kaleytas Held und Ich-Erzähler, ein Kunstkritiker, seinen Job an den Nagel und arbeitet fortan für seine Frau, halb als Hausmann, halb als ihr Impresario.

Jetzt, mit Mitte 40, wundert er sich über seine zunehmende Erschöpfung, Schlaflosigkeit und Potenzprobleme. Einen Zusammenhang mit dem Erfolg seiner Frau will er aber nicht erkennen; er rationalisiert seine Entscheidung lieber mit der Überzeugung, dass die Welt besser daran wäre, wenn jeder wüsste, wo sein Platz ist.

"Ich selbst hatte nie das Gefühl gehabt, zu etwas Großem bestimmt zu sein – ich war mir dessen bewusst und akzeptierte es als mein Schicksal. Ein glückliches und zufriedenes Leben nämlich, daran glaube ich trotz allem, was in der Zwischenzeit passiert ist, immer noch fest, hängt in erster Linie von der Fähigkeit ab, sich und sein Potenzial richtig einschätzen zu können. Das größte Unglück und die elendste Unzufriedenheit im Leben so vieler Menschen rühren daher, dass sie ein falsches Bild von sich haben; dass sie nach Erfolgen streben, die ihnen ihre Fähigkeiten gar nicht gestatten."

Seine Frau hat unter diesen Umständen keine Verwendung mehr für ihn. Weil seine maskuline Lethargie ihre Kreativität stört, verschickt sie ihn fast schon gegen seinen Willen in ein exquisites Gesundheitsresort in den Dolomiten, dem "San Vita".

Dort muss Kaleytas Held in diesem anspielungsreichen, hochironischen 200-Seiten-Roman zur Wiederbelebung seiner Virilität allerlei über sich ergehen lassen: kafkaeske Gespräche mit einem Sigmund-Freud-ähnlichen Professor, die Verführungsversuche einer angeblichen Mitpatientin beim gemeinsamen Dampfbad, eine peinlich verlaufende Bärenjagd sowie Gesichtsbehandlungen, wie sie sonst wohl eher schönheitsbewusste Frauen erfahren, Botoxspritzen und "Vampire Lifting" inklusive.

Der Ort, wo die Schönen und Reichen ihr diffuses "Unbehagen" an ihrem privilegierten Dasein loswerden wollen, hat aber auch seine unheimlichen Seiten: Warum werden alle Gäste von Kameras überwacht? Und wohin führen die labyrinthartigen Gänge unter dem Resort?

Gerade die erste Romanhälfte ist eine hochkomische Kombination aus revitalisierten Motiven der Dekadenzliteratur nach 1900 wie Thomas Manns "Zauberberg" und den Versprechungen der Glücksindustrie unserer Tage. Besonders witzig ist der Moment, als der Ich-Erzähler den "wahren" Ursachen für seine Schlafprobleme auf die Spur gekommen zu sein glaubt:

"'Ich habe in den letzten Tagen viel nachgedacht, über meine Unruhe, das Unbehagen', brach es schließlich aus mir heraus. 'Wie Sie es sich gewünscht hatten.' 'Schön für Sie', entgegnete Trinkl hart. 'Soll ich Sie jetzt dafür loben?' Ich wusste weder ein noch aus und verlor die Kontrolle. 'Wissen Sie, meine Großmutter', stotterte ich. 'Sie hat mir früher immer Lieder vorgesungen […] Lieder vom Krieg.' Trinkl blieb stehen und drehte sich zu mir um. 'Mein Gott!', schäumte er. 'Wie ich das nicht mehr aushalte! Immer diese Familiengeschichten. Die bösen Eltern. Die noch böseren Großeltern. Der Krieg. Ja, Herrgott noch mal! Haben Sie eine Ahnung, wie oft ich das höre?'"

Leider hat Kaleytas leichtfüßig erzählter Roman über einen modernen Glückssucher aber auch eine zweite Hälfte. In ihr wird die Ironie zunehmend von einem aufdringlich-regressiven Romantikkitsch à la Hermann Hesse überdeckt.

Dieser Teil erzählt von der Wiederbegegnung des Protagonisten mit einem Freund aus Kindheitstagen, der sich vor dem modernen Leben auf einen abgelegenen Bauernhof geflüchtet hat. Nur gut, dass der Traum vom Leben im Rhythmus der Jahreszeiten nur so lange anhält, bis die pollengeschwängerte Landluft für entsprechende allergische Reaktionen beim Ich-Erzähler sorgt.

Diesen Abstrichen zum Trotz bietet Timon Karl Kaleytas neuer Roman dennoch ein vergnügliches Leseerlebnis. Schade nur, dass Kaleytas Geschichte just da endet, wo es am Spannendsten wird: mit der Rückkehr zur Ehefrau.