"Die Gleichzeitigkeit der Dinge" von Husch Josten
Stand: 05.09.2024, 07:00 Uhr
Von Vergänglichkeit und Lebenslust, aber auch von Liebe und Freundschaft erzählt die Kölner Autorin Husch Josten eindringlich und humorvoll in ihrem neuen Roman „Die Gleichzeitigkeit der Dinge“. Eine Rezension von Andrea Gerk.
Husch Josten: Die Gleichzeitigkeit der Dinge
Berlin Verlag, 2024.
224 Seiten, 22 Euro.
"Sourie freute sich auf den Tod. Davon erzählte er – mein durchaus lebensfroher junger Stammgast – Tessa an dem hellblauen Septembertag, als die beiden in meinem Restaurant auftauchten."
Gleich mit dem ersten Satz ihres neuen Romans springt Husch Josten mitten hinein ins Thema: Es geht um etwas, das wir am liebsten verdrängen – unsere eigene Sterblichkeit. Der Erzähler ist Johannes – Jean – Tobelmann, der seinen Traum vom Schriftsteller-Dasein vor langer Zeit aufgegeben hat, um doch noch das Restaurant seiner Eltern, Groß- und Urgroßeltern in Köln zu übernehmen. Seit Jahrzehnten ist er mit der Fotografin Tessa befreundet, die eines Tages mit dem jungen Mann im „Tobelmann“ auftaucht:
"Sourie war – anders. Zu alt für seine siebenundzwanzig Jahre. Verblüffend belesen. Zwingend. Immer liebenswürdig. Schrullig. Spielerisch. Er übte eine Anziehungskraft auf mich aus, die ich bis heute kaum erklären konnte, sosehr ich mich generell bemühte, persönliche Kontakte zu meiden. Aber er war die Ausnahme, seit er zweieinhalb Jahre zuvor erstmals zum Essen gekommen war."
Sourie – dessen Name nicht umsonst an das französische „sourire“ – „lächeln“ erinnert, hat zwar Philosophie und Geschichte studiert, arbeitet aber als Pförtner im Seniorenheim Augustinum, weil er dort Zeit zum Lesen hat und vor allem „in der Nähe von Menschen sein wollte, die ihre letzte Adresse bezogen haben.“ Der Tod fasziniert ihn wie nichts sonst, ständig redet und philosophiert er darüber in seiner heiteren, alles andere als lebensmüden Art:
"Natürlich hatte ich ihn gefragt, warum er sich derart mit dem Tod beschäftigte. Er hatte gelacht. Es war nicht das erste Mal, dass ihm diese Frage gestellt worden war. Ich hatte eine Tragödie erwartet. Eine unheilbare Erkrankung. Den Verlust eines Familienmitglieds. Einen Unfall. Etwas in der Art. Doch seine Antwort war eine pragmatische gewesen, die einleuchtend klang, mich aber nie ganz überzeugte: „Es ist die Unabwendbarkeit. Je eher man sie realisiert, desto weniger niederschmetternd ist die Sache.'"
An der Pforte des Augustinums hat Sourie auch Tessa kennengelernt, wenn sie ihre betagten Eltern besucht und auf ihrem letzten Weg begleitet hat. Nun, nachdem beide gestorben sind, schlägt er ihr vor, die erste Botschafterin gegen Einsamkeit im Augustinum zu werden und gemeinsam mit ihm alte Menschen zu besuchen, die immer allein sind. Tessa findet Trost in diesem Projekt und eine neue Lebendigkeit bei Sourie, mit dem sie sich in eine leidenschaftliche Affäre stürzt.
Denn natürlich geht es in diesem Roman nicht nur ums Sterben, sondern vor allem auch ums Leben und Lieben, um Eros und Thanatos und – wie schon der Titel des Buchs sagt, um die Gleichzeitigkeit dieser Dinge. Die Besuche der beiden bei den hochbetagten Heimbewohnern, beschreibt Husch Josten so einfühlsam wie humorvoll. Wenn der frühere Zoodirektor Herr Ziegler über das Paarungsverhalten der Stabheuschrecke doziert, die exzentrische Iris Friedemann Sourie aus der Hand liest oder der ehemalige Kommunalpolitiker Roland Knipps vom Wert des scheinbar wertlosen Lebens spricht, sind das mit die eindringlichsten Szenen des Buches:
'"Dieses Leben hier scheint an Wert verloren zu haben, ist nicht mehr das, was es war. Es ist der Abschnitt, dem jede Verheißung fehlt. Endstation.' Er hob beide Hände zur Decke. 'Irgendwann bin ich mir allerdings selbst auf die Nerven gegangen. Doch, hab ich gedacht, das ist halt das Leben, das ich jetzt noch habe. Ich verlängere es nicht künstlich, ich klammere mich nicht wie verrückt daran, es ist da und will noch nicht weg. Also, was mache ich jetzt damit?'"
Auf ganz unterschiedlichen Ebenen spielt Husch Josten das ebenso unausweichliche wie unvorstellbare durch, das uns alle verbindet: Der letzte Atemzug im Alter, durch Krankheit oder auf gewaltsam Weise, etwa bei einem Attentat, wie dem verheerenden Anschlag, der 2015 auf den Pariser Musikclub Bataclan verübt wurde und der in Souries Geschichte eine zentrale Rolle spielt. „Die Gleichzeitigkeit der Dinge“ ist ein tiefgründiges Buch, das auf erstaunlich leichte und heitere Weise von den letzten Fragen erzählt und einen mit einer ganzen Menge anregender Gedanken zurücklässt.