Buchcover: "Paradise Garden" von Elena Fischer

"Paradise Garden" von Elena Fischer

Stand: 05.10.2023, 12:00 Uhr

Sommer am Balkon – Elena Fischer ist mir ihrem für den Deutschen Buchpreis nominiertem Debüt Paradise Garden ist ein so trauriger wie tröstlicher Coming-of-Age Roman gelungen. Eine Rezension von Andrea Gerk.

Elena Fischer: Paradise Garden
Diogenes, 2023.
352 Seiten, 23 Euro.

"Paradise Garden" von Elena Fischer

Lesestoff – neue Bücher 05.10.2023 05:25 Min. Verfügbar bis 04.10.2024 WDR Online Von Andrea Gerk


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Nicht die übliche Wohnblock-Tristesse

Es geht um die 14-jährige Billie, die mit ihrer Mutter in einer Hochhaussiedlung am Stadtrand wohnt. Obwohl es keine gute Adresse ist, wenn es um Bewerbungen geht, herrscht hier trotzdem nicht die übliche Wohnblock-Tristesse.

Billie und ihre Mutter, Marika, verstehen sich mit ihren Nachbarn, etwa Luna, die nachts Torten backt und Ahmed, der mit seinen großen Händen jedes verklemmte Marmeladenglas aufbekommt. Noch dazu hat Billies Mutter viel Fantasie, wenn es darum geht, sich auch ohne viel Geld das Leben schön zu machen:

"Manchmal füllte meine Mutter Fruchtsaft mit Eiswürfeln in große Gläser und schmückte sie mit pinkfarbenen Strohhalmen und Schirmchen. Sie drückte mir die Cocktails in die Hand, nahm zwei Liegestühle und stellte sie nach draußen in den Gang, zwischen unsere Haustür und die Brüstung, von der die Farbe an vielen Stellen abblätterte. Dann spielten wir Urlaub."

Die Großmutter steht vor der Tür

Als die beiden bei einem Radiospiel etwas Geld gewinnen, sieht es so aus, als ob sie zum ersten Mal wirklich verreisen könnten. Aber dann steht Billies ungarische Großmutter überraschend vor der Tür, okkupiert das Kinderzimmer, kocht pausenlos und schimpft. Trotzdem kümmert sich Marika um ihre Mutter, besorgt ihr Arzttermine, irgendein Geheimnis aus der Vergangenheit scheint die beiden zu verbinden.

Doch dann eskaliert ein Streit, die Mutter fällt unglücklich und stirbt – was Elena Fischer im Übrigen schon im ersten Satz des Romans verrät:

"Meine Mutter starb diesen Sommer. Ein Lied im Radio war nur noch Geräusch und keine Einladung mehr mitzusingen, obwohl keine von uns den Text kannte. Ein Regenguss war nur noch Wetter und keine Gelegenheit mehr, nach draußen zu laufen und barfuß in einer Pfütze zu tanzen. Das klingt vielleicht poetisch, aber das ist es nur auf dem Papier. Vierzehn ist ein beschissenes Alter, um seine Mutter zu verlieren. Die Trauer kommt und geht wie Ebbe und Flut, aber da ist sie immer."

Die Abgründe von Trauer und Verlust

Ähnlich wie Benedict Wells Bestseller "Hard Land" – der mit dem Satz beginnt "In diesem Sommer verliebte ich mich, und meine Mutter starb" – ist "Paradise Garden" ein klassischer Coming-of-Age Roman, der auszuloten versucht, in welche Abgründe Trauer und Verlust führen. Wobei Elena Fischer, vom Anfangscoup abgesehen, dann doch ein ganz anderes Buch geschrieben hat als Wells.

Denn nach dem Tod ihrer geliebten Mutter, als das Leben – wie es heißt – in ein vorher und nachher zerfallen ist, beschließt Billie, nicht mit der Großmutter nach Ungarn zu gehen, sondern sich auf die Suche nach ihrem Vater zu machen. Ihre Mutter hat nichts von ihm erzählt, auf der Geburtsurkunde "unbekannt" eintragen lassen, es gibt nur wenige Anhaltspunkte:

"Ich hatte zwei Ortsnamen und ein Foto.
Ich hatte Zeit und ein Auto.
Und ich hatte keinen Grund hierzubleiben."

Also schnappt sich Billie das schrottige Auto – in dem ihre Mutter ihr schon mit 12 das Fahren beigebracht hat und begibt sich auf einen abenteuerlichen Road-Trip an die Nordsee und damit auf eine Reise in Richtung Erwachsenwerden.

Originelle Figuren und überraschende Gedanken

Was dann passiert ist so überraschend wie rührend, so lustig wie herzerwärmend. Ohnehin beherrscht Elena Fischer ihren Stoff mit erstaunlicher Souveränität, ihre Figuren sind originell, ohne ins Klischee zu rutschen, was bei der Ausgangslage – alleinerziehende Mutter, geheimnisvoller Vater, beherzte Tochter und eine Großmutter mit rauer Schale und weichem Kern – kein Wunder wäre.

Aber dazu hat Elena Fischer zu viele überraschende Gedanken zu all den existentiellen Themen, um die es hier geht: Tod, Verlust, aber auch Diskriminierung und Armut. Denn natürlich geht es auch um den Klassismus, die sozialen Unterschiede, die ein so großes Thema in der zeitgenössischen Literatur sind. Aber auch da gelingt Elena Fischer eine andere Perspektive: als Billies Vater sie bedauert, für das Leben, das sie mit ihrer Mutter führen musste, wird sie furchtbar wütend:

"'Unser Leben war schön', sagte ich und betonte das Wort 'schön' extra. 'Ja', sagte mein Vater. 'Deine Mutter mag nicht viel Geld gehabt haben, aber sie hatte Fantasie.'"

Ein leichter Roman, trotz trauriger Themen

Dass Lebensfreude, Liebe und Freundschaft keine Frage des Geldes oder des sozialen Ansehens sind, erscheint auf den ersten Blick wie eine Binsenweisheit. Es ermöglicht aber auch einen respektvolleren Blick auf Menschen, die – zumindest in materieller Hinsicht – vielleicht nicht so viel Glück im Leben hatten.

lena Fischer ist mit "Paradise Garden" gerade in Anbetracht all der traurigen Themen, um die es darin geht, ein erstaunlich leichter und vor allem lesenswerter Roman gelungen.