Buchcover: "Die Stunde des Elefanten" von Otto de Kat

"Die Stunde des Elefanten" von Otto de Kat

Stand: 01.08.2024, 07:00 Uhr

"Die Stunde des Elefanten" erzählt von zwei jungen Niederländern, die als Soldaten im Kolonialkrieg der Niederlande auf Sumatra beteiligt waren. Traumata und Albträume, Sehnsucht und Rachegefühle – der Roman wirft einen eindringlichen und ungeschönten Blick auf den Krieg und seine Folgen. Eine Rezension von Oliver Nowack.

Otto de Kat: Die Stunde des Elefanten
Aus dem Niederländischen von Christiane Burkhardt.
Schöffling & Co., 2024.
224 Seiten, 25 Euro.

"Die Stunde des Elefanten" von Otto de Kat

Lesestoff – neue Bücher 01.08.2024 05:37 Min. Verfügbar bis 01.08.2025 WDR Online Von Oliver Nowack


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Die ersten Seiten von "Die Stunde des Elefanten" mögen auf eine falsche Fährte führen. Denn die eigentliche Handlung des Romans ereignet sich gar nicht in Niederländisch-Ostindien, dem heutigen Indonesien. Sondern auf der niederländischen Nordseeinsel Texel im Jahr 1909. Dort ist Maxim, ein junger Familienvater und pensionierter Offizier der Königlich Niederländisch-Indischen Armee, seit Kurzem Bürgermeister. Und doch spielt Niederländisch-Ostindien eine entscheidende Rolle im Roman. Denn Maxim war einige Jahre zuvor auf Sumatra stationiert – und kämpfte im Atjeh-Krieg, einem Kolonialkrieg der Niederlande gegen das Sultanat Atjeh, der vierzig Jahre lang tobte, von 1873 bis 1914.

Maxim sind die Erinnerungen als Soldat in Niederländisch-Ostindien auch Jahre später noch gegenwärtig – nicht nur aufgrund der schweren Verwundungen, die er davon getragen, und des Auges, das er dort verloren hat.

"In den paar Monaten, die Roy und er jetzt hier waren, war ihr Respekt vor den Inselbewohnern gewachsen. Sie fühlten sich heimisch hier. Doch immer, wenn das Watt austrocknete und er mit seinem einen Auge über die endlose Ebene schaute, sah er das weite Land um Djeuram. Und bei der Löffler-Kolonie auf dem See im Dünengebiet De Muy sah er die Löffler in Kota Radja nach Fischen suchen. Er konnte nicht entkommen und auch nichts vergessen […]."

Die Erinnerungen an Sumatra schildert Otto de Kat ungeheuer detailreich, erzählt dicht und eindringlich von den Erlebnissen seiner Figuren. Auf Texel kündigt sich derweil unerwartet Besuch an. Van Oorschot, der stets nur W.A. genannt wird, ist für einen Heimaturlaub zurück in den Niederlanden. Maxim hatte W.A. während der Genesung von seinen Verletzungen in Kota Radja kennengelernt und sich mit ihm angefreundet. W.A. hatte während des Krieges unter dem Pseudonym "Wekker" einige regierungskritische Zeitungsartikel über die Verbrechen auf Sumatra geschrieben und damit in der niederländischen Heimat für ordentlich Unruhe gesorgt.

Maxim und seine Frau Roy erfreuen sich an der Gesellschaft W.A.s. Die beiden Männer genießen den gegenseitigen Austausch über die Zeit in Niederländisch-Ostindien. W.A. erkennt jedoch, wie sehr die Erinnerungen daran an Maxim nagen, und es wird ihm bewusst, zu welchem Resultat seine Zeitungsartikel wirklich geführt haben:

"Das […] also war das Ergebnis […]: Sorgen, innere Unruhe und Albträume bei Freunden. Die Politik hatte sich mitnichten dadurch geändert, kein General wurde dadurch in seiner Nachtruhe gestört, kein Beamter litt unter dieser Last, alles ging unerbittlich seinen Gang. […] Van Daalen, Van Heutsz, Colijn, Van der Heijden und wie sie alle hießen – die konnten ruhig schlafen, die wurden befördert, bekamen […] immer mehr Medaillen und wurden von der Königin empfangen, verdammt!"

W.A. fasst den Beschluss, nach Niederländisch-Ostindien zurückzukehren, weil er dort inzwischen Direktor einer Eisenbahngesellschaft geworden ist. Er hat mit seiner Heimat gebrochen. Und verspürt eine Sehnsucht nach Fernost…

Zur gleichen Zeit verschlimmert sich der Geisteszustand von Maxim. Seine Albträume nehmen zu, er kann seiner Arbeit als Bürgermeister nicht mehr nachgehen. Und es wird noch dramatischer:

"Roy hatte geglaubt, wirres Gerede käme nur in Romanen vor und wäre der Fantasie sentimentaler Schriftsteller entsprungen. Doch jetzt merkte sie, dass es das tatsächlich gab. Maxim lag schon seit Tagen im Bett, mit Fieber, das immer weiter stieg. Der Arzt […] schaute zweimal am Tag vorbei. 'Ich kenne Sie, Herr Doktor, Sie waren auch dort. Wissen Sie das nicht mehr? In Kota Radja.' […] Jedes Mal, wenn er an sein Bett trat, sagte Maxim: 'Ich kenne Sie, Herr Doktor.'"

Maxim und W.A., zwei junge Männer, geprägt durch die Erlebnisse eines Krieges. Es ist eine Geschichte über tiefe Wunden, Traumata und Schuldgefühle, die Otto de Kat aus den historischen Fakten gesponnen hat. Leider verweilt der Roman an manchen Stellen zu sehr in den Erinnerungen an die Zeit auf Sumatra, sodass die Dramatik um Maxim und W.A. nicht vollends zur Geltung kommt. In der Gesamtheit jedoch überzeugt der Roman mit ungeschönten und authentischen Eindrücken.

"Die Stunde des Elefanten" ist nicht einfach nur eine Geschichte über das dunkle Kapitel der europäischen Kolonialgeschichte. Er verdeutlicht vor allem eines: die Vergangenheit – so weit sie auch entfernt sein mag – erlischt niemals ganz.