Buchcover: "Und alle so still" von Mareike Fallwickl

"Und alle so still" von Mareike Fallwickl

Stand: 14.05.2024, 07:00 Uhr

Stummer Aufstand – In Mareike Fallwickls feministischem Roman "Und alle so still" legen Frauen buchstäblich die (Care-)Arbeit nieder und bringen damit die Verhältnisse zum Tanzen. Eine Rezension von Andrea Gerk.

Mareike Fallwickl: Und alle so still
Rowohlt, 2024.
368 Seiten, 23 Euro.

Es kann tödlich enden, wenn Frauen permanent mit Familien- und Care-Arbeit überlastet sind – davon hat Mareike Fallwickl in ihrem erfolgreichen Roman "Die Wut, die bleibt" erzählt. Diesmal reagieren die Frauen aber früher: Bevor die Last des Lebens sie zerdrückt, gehen sie buchstäblich freiwillig zu Boden:

"Die Frauen liegen da wie hingeworfen, ihre Körper scheinen keinem Muster zu folgen. Sie sehen aus wie etwas Zerschmettertes. Aber verletzt sind sie nicht."

Die Frauen sind in einen Streik getreten, sie verweigern den Dienst an der Gesellschaft. Wie schon beim antiken Dichter Aristophanes, in dessen Komödie "Lysistrata" die Frauen den Sex verweigern und damit die Verhältnisse zum Tanzen bringen, legen die Frauen das System lahm, das sie ausgebeutet hat. Im Krankenhaus zum Beispiel ist niemand mehr, der versorgt und pflegt.

Hier arbeitet auch Nuri als "Bettenschubser", es ist nur einer von drei Jobs, mit denen der junge Mann sich über Wasser hält:

"Sechs Stunden sollte er Betten schubsen, am Ende sind es siebeneinhalb, bevor er einen Moment findet, in dem er in die Umkleide verschwinden und sich ausloggen kann. Für solche wie ihn gibt es keinen Pausenraum."

Nuri ist in Armut aufgewachsen, seine migrantische Mutter spricht kaum Deutsch, die Schule hat er abgebrochen. Den Neunzehnjährigen zeigt Mareike Fallwickl ebenso als Opfer des kapitalistischen Systems wie die fünfzigjährige Ruth, die jahrelang ihren schwer behinderten Sohn betreut hat und sich nun, nach seinem Tod, im Pflegedienst kaputt arbeitet.

"Ruth war allein zuständig für vierundzwanzig Patienten. Vierundzwanzig Menschen, die frisch operiert sind und sich übergeben müssen vom Hydal, die einen Harnkatheter haben oder fortgeschrittene Demenz mit Weglauftendenzen. Dass eine Pflegerin sich ohne Unterstützung bis zum Morgen um derart viele Kranke kümmert, ist normal, nichts Besonderes."

Und dann gibt es in Mareike Fallwickls Roman noch die zwanzigjährige Elin, Influencerin mit einer Million Followern. Sie lebt im Wellnesshotel ihrer Mutter und sucht schnellen Sex mit den Gästen, weil sie innerlich leer und orientierungslos ist:

"Wenn ich mich selbst im Internet sehe, auf den Fotos, bin ich ein Bild, eine Fläche. Und die ist etwas wert. Die kann verkauft werden. [...] Aber dieses Geld stammt direkt von Frauen, denen eingeprägt wird, dass die sich schämen sollen dafür, wie sie aussehen. [...] Ich bin daran beteiligt."

Elin, Ruth, Nuri sind Figuren, die je unterschiedliche gesellschaftliche Notstände verkörpern. Aus ihrer Perspektive erzählt Mareike Fallwickl in kurzen Kapiteln, die von Short-Cut-artigen Einschüben unterbrochen werden. "Die Gebärmutter", "Die Pistole" und "Die Berichterstattung" sind diese Textteile überschrieben:

"Ich bin die vierte Gewalt, die für jene einsteht, deren Rechte angegriffen werden. Ihr habt mich missbraucht. Ihr habt behauptet, mich neutral zu verwenden, ihr habt in Wahrheit eure misogynen, rassistischen, diskriminierenden Filter über jeden Artikel, jede Dokumentation, jedes Interview gelegt."

Anklagend-furios ist Mareike Fallwickls Text an Stellen wie diesen und dann mehr feministisches Manifest als Roman. Zugleich gelingt es ihr immer wieder anschaulich und einfühlsam, die Notlagen ihrer Protagonisten zu beschreiben und auf haarsträubende gesellschaftliche Missstände in Bildung und Pflege hinzuweisen.

Ein Buch also, das enorm wichtige Themen behandelt und ganz offensichtlich, zum Nachdenken anregen will – über (mangelnde) Solidarität – nicht nur unter Frauen – und Widerstand gegen fragwürdige Verhältnisse. Dass Mareike Fallwickls Text manchmal ein wenig plakativ und gewollt daherkommt, gleicht die Verve, mit der er geschrieben ist und das echte Anliegen, das ihm anzumerken ist, locker aus.