"Supermarkt" von José Falero
Stand: 26.01.2024, 12:00 Uhr
Die jungen Brasilianer Pedro und Marques haben ihr Leben als Arbeiter in einem Supermarkt satt. Sie steigen in den Drogenhandel ein, der ihnen zwar Reichtum, aber auch neue Schwierigkeiten beschert. "Supermarkt" von José Falero liefert einen ungeschönten Einblick in die ärmeren Bevölkerungsschichten des heutigen Brasiliens. Eine Rezension von Oliver Nowack.
José Falero: Supermarkt
Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Nicolai von Schweder-Schreiner.
Hoffmann und Campe, 2024.
320 Seiten, 25 Euro.
Die zwei jungen Männer Pedro und Marques arbeiten in einem kleinen Supermarkt am Rande der brasilianischen Großstadt Porto Alegre. Tagein tagaus entladen sie LKWs, räumen Kisten ein, füllen Regale auf und halten die Filiale sauber.
Trotzdem reicht das Geld für sie hinten und vorne nicht. Marques muss um die Existenz seiner Frau und Kinder kämpfen. Und Pedro hadert nicht nur damit, dass seine Mutter und er zu wenig Geld haben, um das kaputte Türschloss ihrer Behausung zu reparieren:
"Hatte er das Pech, in eine Familie von Taugenichtsen geboren worden zu sein? War das die Erklärung dafür, dass sie über all die Jahre hinweg in Armut lebten? Generationen von Faulenzern, die das erniedrigende Leben verdient hatten, in das sie hineingeboren worden waren? Nein, natürlich nicht. Alle seine Vorfahren hatten ihr Leben lang geschuftet, sie gehörten zu der sozialen Schicht, die dieses beschissene Land am Laufen hielt, und wenn sie schon immer arm waren, dann weil hier irgendetwas falsch lief […]. Aber damit war jetzt Schluss, er würde diesen Kreislauf durchbrechen. Er würde reich werden. Wie? Das spielte keine Rolle."
Pedro, fest entschlossen, sich aus der Armut zu befreien, entwickelt einen gewagten Plan: Der Verkauf von Marihuana soll ihn reich machen. Marques, den er mit ins Boot holen mochte, ist lange skeptisch, doch Pedro kann ihn nach mehreren Gesprächen überzeugen.
Bald beginnen die Beiden, in kleinen Mengen Gras in Porto Alegre zu verkaufen. Denn viele der Menschen, vor allem am Rande der Großstadt, leben in heruntergekommenen Vierteln, sind arm, chancenlos und eine ideale Kundschaft.
Mithilfe von Pedros klugem Vorgehen und einiger Bekanntschaften gelingt es den Freunden nach und nach, ihren Drogenhandel auszubauen und unbemerkt an viel Geld zu kommen. Aber der Erfolg ihres Geschäfts verändert Pedro und Marques. Sie werden tollkühner, wagen sogar, während ihrer Arbeit im Supermarkt Drogen an ihre Kunden zu verkaufen. Als ihr Unterfangen auffliegt und der Supermarkt-Chef sie zu sich bestellt, zeigen die beiden jungen Männer weder Reue noch Rücksicht:
"[Marques] sprang auf und trat die Tür zu, dann packte er seinen Chef mit beiden Händen am Kragen und warf ihn wie einen Sack Müll auf den Stuhl, auf dem er eben noch gesessen hatte. Pedro gefiel die Wirkung, die das hatte. […]. 'Glauben Sie mir, Sie wollen keine Spielchen mit uns spielen. Mit uns ist nicht zu spaßen.' […] Eine erfrischende Erkenntnis überkam [Pedro]: Um zu erreichen, was man wollte, musste man nur grausam genug sein."
Aber auch die Welt um Pedro und Marques wandelt sich. Zwar genießen die Freunde ihren neugewonnenen Luxus, doch werden sie immer wieder in gefährliche Auseinandersetzungen verwickelt.
Am Ende des Romans kommen Pedro und Marques gar mit einer gewaltbereiten Stadtbande in Berührung und ihre Geschichte entwickelt sich zu einer Tragödie.
Ungetrübt detailliert, nachdenklich und eindrücklich schildert José Falero in seinem Debütroman die düstere Welt der kleinen Leute im heutigen Brasilien. Falero, der selbst in Porto Alegre aufgewachsen ist, kennt diese Welt und findet den passenden Ton der Menschen dort, ihrer Gespräche und der Dinge, die sie beschäftigen. Dennoch braucht es eine ganze Weile, bis aus einer sozialkritischen Betrachtung eine dramatische Geschichte wird.
Sprachlich verbleibt "Supermarkt" dabei zumeist in einem einfachen, rotzigen und schroffen Ton. Doch es gibt auch tiefgründige Passagen:
"Absolut ungestört, vollkommen selbstvergessen, die Augen geschlossen, […] so genoss ein gewisses Wesen die beste Zeit seines Lebens. Schade, dass es keine Spuren hinterließ. Schade, dass es sich nicht würde daran erinnern können. Schade, dass die Eindrücke aus jener Zeit für immer verschwinden würden, wie Blätter, die der Herbstwind wegfegt und die nie wieder an ihren Zweigen hängen."
"Supermarkt" ist weit mehr als ein Vertreter der modernen Arbeiterliteratur. José Falero macht in seinem Roman viele relevante Themen auf: die Schere zwischen Arm und Reich, die prekäre Situation der Arbeiterschaft im heutigen Brasilien, die Bedrohung durch städtische und kriminelle Gewalt, das Streben nach einem gesellschaftlichen Aufstieg und, wie weit Menschen für ein besseres Leben gehen und gehen dürfen.